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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 2
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Schäfer, Wilhelm: Puppchen
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Zoff, Otto: Ernst Heidrich gefallen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0083

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hatte sich der Greis wieder hingesetzt und die Beine, wie
wenn er fröre, in den blauen Mantel gewickelt, als ein
eiserner Handschuh den Vorhang auseinander riß: Jch
habs gewagt! rief eine gellende Stimme, und als nun
auch die andern aufsprangen, dem frechen Eindringling
zu wehren, hatte sich ein blasser Mann in ritterlicher
Kleidung heraufgeschwungen, der zornig lachend den
Vorhang mit ausgebreiteten Armen auseinander hielt
und den Greisen mit ihren Scholaren trotzte.

Ulrich von Hutten und Erasmus: wie anders ist dies,
als ich es in der Schule lernte, dachte der Maler und
staunte in den Saal hinunter, wo unterdessen der Kapell-
meister mit denMusikanten hinzugelaufen war, den muti-
gen Sänger vom Tisch zu stoßen. Es waren ihrer Viele
gegen Einen, alle in Mönchsgewändern wie er, aber
bevor sie ihn greifen konnten, hatte sich ein Häuflein
der Leute um ihn gesammelt, die ihnen wehrten. Und
wie ein gestautes Wasser sich einen Ausweg sucht, kam es,
daß sie ihn auf ihre Schultern hoben und, einstimmend
in sein Lied, gegen die Tribüne anschritten. Jch will
nicht hören, wie sich die Bettelmönche zanken, kreischte
der Humanist im blauen Mantel; aber Hutten stand mit
ausgebreiteten Armen da wie am Kreuz und lächelte
trotzig: Willst du die Menschheit aufhalten, Erasmus?
Das deutsche Gewissen ist aufgewacht, seinen Gott in den
Göttern eurer Bildung zu suchen! Und schon war es der
ganze Saal, der wie ein breiter Strom gegen die Treppe
drängte und einmütig das Kampflied deutschen Glaubens
sang, bis brausend eine Orgel einfiel und Johann Se-
bastian Bach auf seiner Orgelbank dem Ritter fröhlich
zunickte. So gewaltig quoll das Lied aus seinen Fingern,
daß die Wände hinsanken und alles wieder der unend-
liche Saal der Nacht war, darüber die Sterne standen.
Die Menge singt, was wir anstimmen; aber wir waren
hochmütig und glaubten, dies wäre ein Kirchenlied!
klagte der Maler und wartete kleinmütig in die Nacht.

Wo ist deine Liebe? hörte er den Trommler aber-
mals fragen und sah ihn dicht vor sich stehen mit seinem
einfältigen Bauerngesicht. Meine Kunst ist meine Liebe!
wollte er mit einem letzten Trotz antworten; aber da
wurden die Augen vor ihm hell von einem Schein, wie
eine Bahnhofsuhr von innen erleuchtet ist, und als er das
Wunder anstaunte, öffnete der Trommler den Mantel:
es war sein Herz, das die ganze Brust ausfüllte und mit
brennenden Kerzen besteckt war. Jch habe mir einen
Christbaum darin gemacht, sagte er lächelnd, weil es
so dunkle Nacht war. Willst du mir etwas schenken,
Kamerad? Da eilte er, seine Bilder aufzuraffen, aber
soviel er anbrachte, vor den Kerzen in der Nacht waren die
Farben blind und trüb, und was sie sonst vorstellen
sollten, verstand der Trommler nicht. Gib mir eme
Kerze, rief er verzweifelt, als er danach greifen wollte,
stieß seine Hand an die gläserne Glocke über sich, und die
Erscheinung verschwand.

Lebwohl, Mutter! weinte er und lag als ihr ver-
lassenes Kind allein in seiner Grube, wie wenn cs schon
sein Grab wäre: Jch hatte Bilder gemalt und nicht
gewußt, für wen! Wir wären einsam mit unserer Liebe
gewesen wie Kirmesleute, die ihren Kram im Wagen
für sich haben! Nun bin ich in die fremde Erde ge-
legt und weiß nicht, ob du jemals erfährst, wo meinc

Puppchen.

Grube ist: aber ich sterbe in Deutschland, wie ich nie
daheim gestorben wäre!

Doch kam der Trommler noch mit einer dritten Frage;
das Licht in seinen Augen war erloschen und er stand weit
über Menschenmaß auf dem Rand der Grube, zorn-
lachend, als ob er nun der blasse Ritter wäre: Wo ist
deine Hoffnung? fragte er und seine Stimme hallte
wie Donner durch die Nacht. Aber diesmal blieb das
Herz des Malers nicht stumm: Daß ich aus meiner
gläsernen Hülle käme, schrie er: deine Hand zu nehmen,
weil du mein Bruder bist! Da war es der höhnische
Tod geworden, der mit knöchernen Händen sein Schwert
hob, ihn zu erstechen. Stich zu, stich zu! bat er und faltete
die Hände auf der Brust. Doch traf die blitzende Scharfe
nicht sein Herz, nur die Glasglocke über ihm zersprang,
und so stark war der Prall und sein tausendfaches Echo
über dem Rübenfeld, meilenweit klirrend durch die Nacht,
als ob die Welt in Scherben bräche.

Nun kann ich nicht mehr sterben, klagte der Gefreite
Kratz, hob sich aus der Grube, und fühlte, daß sein Leib
und seine Beine heil waren. Auch war es taghell ge-
worden und der blaue Sommerhimmel stand über dem
Feld, darauf eine doppelte Pappelreihe sanft ansteigend
in die Unendlichkeit führte. Der Trommler war wieder
da und schlug das Kalbfell, aber es kam kein Ton in
die lautlose Stille, auch lag kein Feind mehr in den
Schützengräben; nur die Schläfer standen auf aus ihren
Gruben, weil überall die gläsernen Hüllen zersprungen
waren: Rundum aber wogten Kornfelder gegen Buchen-
walder hinauf, Wiesentäler zogen sich hindurch mit
Stauwehren und Mühlrädern,Dörfer hingen an sonnigen
Lehnen und Straßen mit Obstbäumen; er hörte Kinder
singen und sah beladene Wagen in die Scheuern fahren:
Sie waren im Vaterland!

rnst Heidrich gefallen.

Dem Publikum unbekannt, der Wissenschaft un-
vergeßlich, ist der Kunsthistoriker Ernst Heidrich auf dem
westlichen Kriegsschauplatz gefallen. Was die weiten
Kreise kaum gewußt haben, hier soll es in einem kargen
Nachruf zu seinem Leben gesagt werden: daß er über
die Bedeutung des Gelehrten hinaus jene höhere Be-
deutung hatte, ein Deuter des Lebens zu sein. Und
was in diesen Tagen starker betont werden muß: ein
Deuter des deutschen Menschen zu sein. Sein Arbeits-
gebiet war die deutsche Malerei, ihr hat er sein Leben
gewidmet, und aus ihr hat er — als letzten Zweck —
alle Erkenntnisse unseres innerlichsten Wesens ans Licht
gebracht, die nicht mehr zu vergessen sind.

Als er sich in jungen Jahren daran machte, die
Marienzeichnungen des Albrecht Dürer entwicklungs-
geschichtlich zu untersuchen, gelangte seine prägnante
Stilkritik zu überraschenden Resultaten. An diesen
Marienbildnissen zeigte er nicht nur die Entwicklung des
einen Bildkreises, sondern — damit unlösbar verbunden
— die Entwicklung des ganzen Künstlers. Jndem er
die Blätter analysiert (wobei ihm jeder Strich des
Silberstiftes Geheimnisse verrät) und indem er durch
diese Analyse eine Einreihung der Blätter gibt, zeigt er.
 
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