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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 12
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Habicht, Victor Curt: Mittelrheinische Kunst in Norddeutschland
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Everth, Erich: Psychologie des Sitzmöbels
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0431

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Mittelrhemische Kunst in Nordweskdeutschland.

dadurch unangetastet, nur sind wir reicher geworden.
Wir sehen, daß neben der vielgerühmten kölnischen
Kunst eine nicht minder bedeutende bestanden hat, die
von Mainz. Und es kann uns jetzt immer weniger
wundernehmen, daß da, wo ein Werk wie der Frank-
surter Alabasteraltar entstehen konnte und von wo aus
Einflüsse bis nach Lübeck, Tempzin, Thorn usw. ergingen,
auch das überraschende Schafsen eines Hausbuchmeisters
gedeihen konnte, dessen einzigartige Kunst uns Deutschen
neben der Dürers, Grünewalds und Holbeins endlich auch
viel mehr bckannt und als köstlicher Schatz der Nation er-
kannt zu werden verdient. V. Curt Habicht.

sychologie des Sitzmöbels.

„Jn der Art des Sitzens, in der Körperhaltung
tlsw. kommt die gesellschaftliche Schulung einer
Zeit überaus deutlich zum Ausdruck" hat mal jcmand
gesagt. Sehr wahr. Ein besonders lehrreicher, einfacher
und starker Fall, wie die selbstgeschaffene Umgebung
des Menschen zum Ausdruck des Menschen wird, und
zwar ganz eminent auf dem Wege durch den Körper —
des Formenden wie des Betrachtenden und Benutzen-
den! Es wird hier nicht nur durch den Körper gestaltet,
sondern die ganze Leiblichkeit wird auch mit ihren
sonstigen Bedürfnissen direkt maßgebend.

Dabci ist zunächst ganz allgemein folgendes zu be-
achten: Der Kunst gegenüber pflegt man genauer hin-
zusehen, als sonst im Alltag, schon weil man weiß, es
handle sich um Dinge, die gemacht sind, um gesehen zu
werden; das gilt auch bei der Nutzkunst, die in der Arbeit
für das Auge eines ihrer Aiele neben anderen Acifgaben
hat. Und so verfeinert sich dort alles Empfinden, Vor-
stellen und Fühlen, und auch noch weiterhin dadurch,
daß der Künstler die Dinge nach der ästhetischen, also
anschaulichen Seite intensiver auffaßt als andere Leute
und in der Gebrauchskunst auch für allerlei praktische
Bedürfnisse und ihre Verdeutlichung mehr vorsorgt,
als die faktischen Awecke das technisch und notwendig
erfordern würden. I. B. in der Architektur baut er
nicht nur sicherer, als es gerade genau nötig wäre,
sondern gestaltet die Formen auch so, daß sie recht halt-
bar, stabil und dauernd aussehen, bis hinauf zum
monumentalen Eindruck (etwa mit stützenden Wand-
pfeilern oder mit rings horizontal verbindenden und
umklammernden Gesimsen u. dgl. m.). Oder in der
Möbelkunst gibt er die nötige Bequemlichkeit, die z. B.
beim Sitzmöbel schon das notdürftige Sitzenkönnen weit
hinter sich läßt, und betont sie außerdem noch durch eine
besondere Gestaltung für das Auge, führt vielleicht den
Ausdruck der Behaglichkeit bis ins einzelne weiter durch
auch an Formen, die selber garnicht mehr physisch so
unmittelbar dem benutzenden Körper gegenüber mit-
wirken — also etwa in der besonderen Formung und
Ornamentierung der Füße des Sessels. So läßt er
auch den Benutzer sich wirklich noch viel behaglicher und
bequemer fühlen, weil er die Fürsorge nun auch noch
deutlich sieht und nicht nur an seinem Körper spürt.
Ein sogenannter „konstruktiver Tisch" ist auch nicht jeder,
der wirklich stehen kann, sondern der allein, der eine
besondere künstlerische Bearbeitung aufweist, wodurch

er für die Anschauung viel besser, als gerade notwendig ist,
und wie mit kräftigem Behagen stehen zu können scheint.

Nun also zu unseren Beispielen. Wie der Körper-
schmuck des Menschen eine Akzentuierung der betreffen-
den Glieder seines Körpers bedeutet und nicht bloß die
Aufmerksamkeit auf den Schmuck selber lenkt, und wie
die Kleidung, die der Mensch trägt und die in den ver-
schiedenen Landern und Aeiten verschieden ist, einen
Ausdruck seines Lebensgefühls darstellt, d. h. sowohl
eine Folge wie eine Ursache gewisser Stimmungen —
genau so ist es mit der weiteren Umgebung des Menschen-
körpers, dem Mobiliar seiner Wohnräume und speziell
den ihm genau auf den Leib passenden Sitzmübeln!
Eine Aeit z. B., die eine so bequeme Haltung liebt wie
die unsere mit ihrer starken Arbeit und Ermüdung, hat
Klubsessel. Jn denen fühlt man sich gelöst und weich,
und das sieht man ihnen schon von weitem an! Oder
ein sehr großer Sessel wirkt ernst, weil das Lebensgefühl
des Menschen, der ein so großes Gerät für sich zur Ver-
fügung hat und es gleichsam an sich, um seinen Körper
herum, fühlt, gewichtig ist! So ist denn allerdings sehr
deutlich, wie man an der Hand der Sitzmöbel kultur-
geschichtliche Einblicke gewinnen kann, die keineswegs
Nebensachen betreffen, sondern sehr zentrale Dinge,
das Lebensgefühl und die täglichen durchschnittlichen
Grundstimmungen der Aeiten und Völker. Wenn
Jnterna wie Briefe, Tagebücher, Memoiren ein be-
sonders lebendiges Bild von Menschen geben, so sind
hier ähnliche intime Dokumentc. Wir brauchen nicht
den Standpunkt Hermann Bahrs zu teilen, daß es viel
wichtiger sei für die Kultur (er meint die der breiteren
Massen), gute Möbel zu machen und so „Schönheit im
Alltag" zu erstreben, als Rembrandtsche Bilder zu malen
und den Faust zü schreiben; ohne einzelne „hohe" Werke
ist die allgemeine Hebung des Niveaus in den Niede-
rungen auch nicht möglich; und mancher mag für wenige
Feierstunden viele andere Stunden ertragen, die ihn
ästhetisch nicht befriedigen, wenn sie ihn nur ästhetisch
nicht verletzen, sondern in dieser Hinsicht indifferent
lassen. Freilich hat das allstündliche Üben eines Sinnes
viel für sich; wer täglich eine Stunde Klavier spielt,
kommt weiter, als wenn er alle sechs Tage 6 Stunden
übt; indessen manche von uns sind denn doch schon
so weit, daß sie nicht mehr stündlich an ihrer ästhetischen
Erziehung zu arbeiten brauchen. Jedensalls aber muß
man, auch ohne jede Einseitigkeit, die ganz besonders
eindringliche ästhetische Wirkung des Mobiliars anerken-
nen, mit dem man stündlich umgeht und das man an
seinem Körper fühlt.

Folgen wir nun der geschichtlichen Entwicklung.
Ein ägyptischer Faltstuhl (und ähnlich später ein
römischer Klappsessel) balancieren auf ihren Knick-
beinen etwas unangenehm angestrengt, und man sieht
ihnen an, man müsse selber darauf ein wenig balancieren.
Ein assyrischer Sessel ist steif auch durch seine Höhe;
die Knie des Menschen, der auf ihm sitzt, sind also nicht
schräg weggestreckt, leger und ruhig, sondern bilden un-
gefähr einen rechten Winkel; sind aber auch nicht krampf-
haft und unbequem hochgezogen wie bei niedrigeren
Sitzgelegenheiten oft. Ein griechischer Klismos wirkt
elegant, weil seine vier Füße mit der denkbar geringsten

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