verging aber wenig Ieit, da begannen die Baume alle
drei auSzuschlagen und neue Kronen anzusetzen, zum
Aeichen, daß alle drei Brüder unschuldig seien, und die
Linden wuchsen fort und wurden groß und standen
manche hundert Jahre auf dem Friedhos des Heiligen-
geistspitals zu Berlin.
^ohann Sebastian.
Novelle von Karl Röttger.
Am Tage vor dem Sonntag Jubilate !7Z8, des
Mittags, kam Johann Sebastian aus der Schule und
ging seiner Wohnung zu. Unter dcm linken Arm trug
er einen Stoß Noten, die rechte Hand glitt in regel-
mäßigem Hin und Hcr wie cin Ruder durch die Luft.
Das große volle Gesicht war ein wenig blaß; die Augen
schauten groß und starr in die blaue Luft ihm zu Haupt
und sahen dennoch wohl des holdseligcn Frühlings nicht
viel, so ernst schauten sie. Schwalben schossen dahin,
die Fenster an den Häuscrn standen auf; Blumen standen
auf den Fensterbrettern, Tulpen blühten. Er kam auch
an einem Gärtchen vorüber, das da an der Straße lag,
in einem Häuserwinkel, und mit einem hölzernen Staket
umgeben. Da blühten Primeln und Goldlack; von dem
Dust angerührt, merkte er ein wenig auf, aber schon
war er vorbei, schon kroch sein Sinn in sich sclber
zurück. — Zohann Sebastian steuerte heim. Aus festen,
starken Beinen; sicheren, sesten und doch nicht brutalen
GangeS schritt cr; die hohe, kräftige, breitschulterige
Gcstalt hielt sich gerad, doch nicht steis; wer diesen Mann
ein wenig ansah, konntc wohl daö Empfinden haben,
ein Riese sei ein Mensch gcworden, habe sich eingesügt
in mcnschliche Maße und wisse seine Dynamik wohl
anzupassen der Umwelt, daß sie nicht unter seiner Ge-
walt zcrbreche. Sonst erschien er sogar in mancher
Bewegung, vor allem aber im Gesicht, im Auge, in
den Iügen von großer Iartheit.
Er trat ins Haus. Da roch die Diele nach sleißigem
Scheuern und nach Feuchte. So trat er zart auf, trat
sogar noch einmal zurück und wischte die Füße an einem
trockenen Sackleinen ab, daö da neben der Tür lag.
Dann ging er in die Stube linkcr Hand und ließ eine
Weile dic Tür hinter sich offen stehen. Er hörte seine
Frau weiter hinten in der Küche reden mit Elisabeth,
der Zwölsjährigen, hörte daraus Karolinchen, das Jüngste,
krähen in dcr Kammer nebenan und Elisabeth schnell
hinlaufen und das Ki'ndchen wiegen.
Er hatte dcn Hut an einen Nagel am Türpsosten
gehängt, die Noten auf daö Klavizimbel gelegt und sich
in den Rohrsessel gesetzt; die Tür war offengeblieben —
so sühlte er im Augenblick gar keine Lust, hinzugehen
und sie zu schließcn. Es war keine eigentliche Müdig-
keit, nur das BedürsniS, ein wenig zu sitzen, zu ruhen.
Die Mittagssonne schien herein und beschien sein Gesicht;
da lag die gewaltigc Stirn wie ein hohes Felögewölbe,
überwuchert von schönem dunkelblondem Haar; die Hände
lagen aus dcn Seffellehnen, zwei große, starke, aber
auch gütige, liebe und zarte Tatzen. Und die Augcn
glühten ein wem'g auf, als nun scine Frau hereintrat
und an der Tür stehen blieb.
Zohann Sebastian.
Du bist schon da? sprach sie. Wir haben dich gar-
nicht gehört.
KonntetJhr auch nicht,Frau,sagte Johann Sebastian;
ich kam hercin, derweilen Jhr hantiertet in der Küche
und sprachet. — Wenn Jhr soweit seid, lasset uns essen.
Danach will ich ein Weilchen ruhen. Er sagte dies
ruhig, sest, und doch, alö seien die Gedanken noch weiter
sort.
Hast du Sorgen gehabt, Mann? sag es mir!
Er aber schüttelte den Kopf, winkte mit der Hand,
wie um zu sagen: Laß! Es ist nichtö, Frau. Es ist
nicht mehr, alö ich all mei'n Tag in diesen Jahren mit
dem Widerstand der Menschen zu tun hatte.
Jch weiß, sprach Anna Magdalena, und war rot
im Gesicht vor Zorn; wollen denn diese Menschen dich
nie in Ruhe lassen?
Wie sollten sie? Hab ich doch mein Recht gegen sie
erhalten, sagte er und lachte nun. - Und nach einer
Wei'le: Sie verspüren keinen Hauch der Kunst; ihre
Seele ist dürr, was wissen sie von den Segnungen der
Musica; ich weiß es, sie laffen meine Töne ebenso un-
gern auf sich fallen, wie die Regentropsen; mag sein,
daß ihnen mein Orgelspiel ist, wie wcnn es hagelt und
schneict.
Alsdann laß sie, Mann. Alsdann sind sie un-
geschickt zu menschlicher Freude untcr Menschcn, zu
menschlichem Wesen. Sie legte die Hand auf seine
Schulter und neigte ihr Gesicht: Der König hat dich
geehrt, da er dich zum Kompositeur bei der Hofkapelle
ernannte; er hat das Recht dir zugesprochen im Streit
in diesen Tagen — also — was sind deine Feinde? Du
hast auch deine Freunde. . .
Jch weiß dieö alles, Frau! Und glaubst du etwa,
daß ich, Doktor Bach, könnte müde werden und den
Mcnschen weichen? Aber vcrstchn, daß cS mir leid ist,
daß Feindschaft ist unter den Menschen; daß die Welt
nicht gut ist; könnte ein Meister der Töne eine Dis-
harmome unaufgelöst sein lassen? In meinem Leben
aber quälen mich die unaufgclösten Akkorde nicht minder;
und kann sie doch nicht auflösen; die andern sind da-
wider. D ie s ist Schmerz. Es kann wohl kein Meister
sein, den daö Lebcn nicht am mcisten schmerzte — aber
seine Kunst ist ihm allemal heilig und süß, auch wo
sie schmerzt. Und er stand auf und sagte kurz: Traget
auf, wir wollen essen.
Sie lachte, da sie sah, wie er doch stark war; auch
wenn er litt. Nickte und lief auS der Stube.
* *
*
Als sie gegessen hatten, sagte die Mutter zu den
Kindern: Christoph, du mmmst Christian an die Hand
und dann geht ihr spielen; ihr könnet auch die Murmel
mit euch nehmen; geht in die Sonne und freut euch,
aber lärmt nicht zu laut. Der Vater muß ein weniges
ruhen. Und du, Elisabeth, steh aus und wiege Karo-
linchen ein, hier, es hat satt getrunken und wird gewiß
schlafen . . . Die Frau räumte den Tisch ab; es ward
still im Iimmer, nur daß die Uhr tickte, der Meister
legte sich im Sessel hin, schob das Kissen zurecht und
neigte ein wenig das Haupt. . . Seine Seele sprach zu
sich selber: Zch hätte eö nicht denken können, als ich um
Barbara freite, und auch noch nicht, da ich um Anna
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drei auSzuschlagen und neue Kronen anzusetzen, zum
Aeichen, daß alle drei Brüder unschuldig seien, und die
Linden wuchsen fort und wurden groß und standen
manche hundert Jahre auf dem Friedhos des Heiligen-
geistspitals zu Berlin.
^ohann Sebastian.
Novelle von Karl Röttger.
Am Tage vor dem Sonntag Jubilate !7Z8, des
Mittags, kam Johann Sebastian aus der Schule und
ging seiner Wohnung zu. Unter dcm linken Arm trug
er einen Stoß Noten, die rechte Hand glitt in regel-
mäßigem Hin und Hcr wie cin Ruder durch die Luft.
Das große volle Gesicht war ein wenig blaß; die Augen
schauten groß und starr in die blaue Luft ihm zu Haupt
und sahen dennoch wohl des holdseligcn Frühlings nicht
viel, so ernst schauten sie. Schwalben schossen dahin,
die Fenster an den Häuscrn standen auf; Blumen standen
auf den Fensterbrettern, Tulpen blühten. Er kam auch
an einem Gärtchen vorüber, das da an der Straße lag,
in einem Häuserwinkel, und mit einem hölzernen Staket
umgeben. Da blühten Primeln und Goldlack; von dem
Dust angerührt, merkte er ein wenig auf, aber schon
war er vorbei, schon kroch sein Sinn in sich sclber
zurück. — Zohann Sebastian steuerte heim. Aus festen,
starken Beinen; sicheren, sesten und doch nicht brutalen
GangeS schritt cr; die hohe, kräftige, breitschulterige
Gcstalt hielt sich gerad, doch nicht steis; wer diesen Mann
ein wenig ansah, konntc wohl daö Empfinden haben,
ein Riese sei ein Mensch gcworden, habe sich eingesügt
in mcnschliche Maße und wisse seine Dynamik wohl
anzupassen der Umwelt, daß sie nicht unter seiner Ge-
walt zcrbreche. Sonst erschien er sogar in mancher
Bewegung, vor allem aber im Gesicht, im Auge, in
den Iügen von großer Iartheit.
Er trat ins Haus. Da roch die Diele nach sleißigem
Scheuern und nach Feuchte. So trat er zart auf, trat
sogar noch einmal zurück und wischte die Füße an einem
trockenen Sackleinen ab, daö da neben der Tür lag.
Dann ging er in die Stube linkcr Hand und ließ eine
Weile dic Tür hinter sich offen stehen. Er hörte seine
Frau weiter hinten in der Küche reden mit Elisabeth,
der Zwölsjährigen, hörte daraus Karolinchen, das Jüngste,
krähen in dcr Kammer nebenan und Elisabeth schnell
hinlaufen und das Ki'ndchen wiegen.
Er hatte dcn Hut an einen Nagel am Türpsosten
gehängt, die Noten auf daö Klavizimbel gelegt und sich
in den Rohrsessel gesetzt; die Tür war offengeblieben —
so sühlte er im Augenblick gar keine Lust, hinzugehen
und sie zu schließcn. Es war keine eigentliche Müdig-
keit, nur das BedürsniS, ein wenig zu sitzen, zu ruhen.
Die Mittagssonne schien herein und beschien sein Gesicht;
da lag die gewaltigc Stirn wie ein hohes Felögewölbe,
überwuchert von schönem dunkelblondem Haar; die Hände
lagen aus dcn Seffellehnen, zwei große, starke, aber
auch gütige, liebe und zarte Tatzen. Und die Augcn
glühten ein wem'g auf, als nun scine Frau hereintrat
und an der Tür stehen blieb.
Zohann Sebastian.
Du bist schon da? sprach sie. Wir haben dich gar-
nicht gehört.
KonntetJhr auch nicht,Frau,sagte Johann Sebastian;
ich kam hercin, derweilen Jhr hantiertet in der Küche
und sprachet. — Wenn Jhr soweit seid, lasset uns essen.
Danach will ich ein Weilchen ruhen. Er sagte dies
ruhig, sest, und doch, alö seien die Gedanken noch weiter
sort.
Hast du Sorgen gehabt, Mann? sag es mir!
Er aber schüttelte den Kopf, winkte mit der Hand,
wie um zu sagen: Laß! Es ist nichtö, Frau. Es ist
nicht mehr, alö ich all mei'n Tag in diesen Jahren mit
dem Widerstand der Menschen zu tun hatte.
Jch weiß, sprach Anna Magdalena, und war rot
im Gesicht vor Zorn; wollen denn diese Menschen dich
nie in Ruhe lassen?
Wie sollten sie? Hab ich doch mein Recht gegen sie
erhalten, sagte er und lachte nun. - Und nach einer
Wei'le: Sie verspüren keinen Hauch der Kunst; ihre
Seele ist dürr, was wissen sie von den Segnungen der
Musica; ich weiß es, sie laffen meine Töne ebenso un-
gern auf sich fallen, wie die Regentropsen; mag sein,
daß ihnen mein Orgelspiel ist, wie wcnn es hagelt und
schneict.
Alsdann laß sie, Mann. Alsdann sind sie un-
geschickt zu menschlicher Freude untcr Menschcn, zu
menschlichem Wesen. Sie legte die Hand auf seine
Schulter und neigte ihr Gesicht: Der König hat dich
geehrt, da er dich zum Kompositeur bei der Hofkapelle
ernannte; er hat das Recht dir zugesprochen im Streit
in diesen Tagen — also — was sind deine Feinde? Du
hast auch deine Freunde. . .
Jch weiß dieö alles, Frau! Und glaubst du etwa,
daß ich, Doktor Bach, könnte müde werden und den
Mcnschen weichen? Aber vcrstchn, daß cS mir leid ist,
daß Feindschaft ist unter den Menschen; daß die Welt
nicht gut ist; könnte ein Meister der Töne eine Dis-
harmome unaufgelöst sein lassen? In meinem Leben
aber quälen mich die unaufgclösten Akkorde nicht minder;
und kann sie doch nicht auflösen; die andern sind da-
wider. D ie s ist Schmerz. Es kann wohl kein Meister
sein, den daö Lebcn nicht am mcisten schmerzte — aber
seine Kunst ist ihm allemal heilig und süß, auch wo
sie schmerzt. Und er stand auf und sagte kurz: Traget
auf, wir wollen essen.
Sie lachte, da sie sah, wie er doch stark war; auch
wenn er litt. Nickte und lief auS der Stube.
* *
*
Als sie gegessen hatten, sagte die Mutter zu den
Kindern: Christoph, du mmmst Christian an die Hand
und dann geht ihr spielen; ihr könnet auch die Murmel
mit euch nehmen; geht in die Sonne und freut euch,
aber lärmt nicht zu laut. Der Vater muß ein weniges
ruhen. Und du, Elisabeth, steh aus und wiege Karo-
linchen ein, hier, es hat satt getrunken und wird gewiß
schlafen . . . Die Frau räumte den Tisch ab; es ward
still im Iimmer, nur daß die Uhr tickte, der Meister
legte sich im Sessel hin, schob das Kissen zurecht und
neigte ein wenig das Haupt. . . Seine Seele sprach zu
sich selber: Zch hätte eö nicht denken können, als ich um
Barbara freite, und auch noch nicht, da ich um Anna
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