Iohann Sebastian.
und es war holder Frühlmg draußen; aber man sah
dle Sonne nicht mehr an den Scheiben, es ging wohl
gen den Abcnd. Er kam zu sich, er fühlte Tränen im
Gesicht stehen, nahm daS Sacktuch aus den Rockschößen,
die hinter der Orgelbank ties herabhingen.
Dann schaute das Gesicht deS BälgentreterS hinter
der Orgel hervor: Wird der Herr Kantor heut nicht
mehr spielen? Die Vesper ist schon vorüber.
Es ist gut, Holzweißig, Er kann gehn.
Er saß noch. Dann stand er aus, wie im Traum.
Stand unschlüssig. Wollte er noch etwas hier? Er sah
über die Emporen hin, sah hinab inö Gestühl, — welch
eine Stille im dämmerigen Raum. War das St. Tho-
mas? Aber der Himmel war aufgetan gewesen. Es
war ein Glanz auf seinem Gesicht, ein Friede und ein
Glück. WaS wollte er nur? Er ftand, als habe er etwas
vergessen, als suche er etwas. Er besann sich. — Nein,
die Noten brauchte er nicht; er wußte schon, was er
morgen früh spielen wollte, da lagen dic Vorspiele . . .
Und die Aussetzungen der beiden Ehoräle. . . Er hatte
nichts zu tun hier, er konnte heimgehen ... So stieg
er die Treppe hinab, langsam, behutsam — ein zärtlicher
Riese. . . So ging er durchs Mittelschiff, fühlte noch
einmal die Stille und die heimliche Dämmerung und
wollte eben aus der großen Tür gen Osten herauStreten,
als er in eincr Nische neben sich etwas leise weinen
hörte. Da blieb er erschrocken stehn, sah näher hin
und erkannte seine Frau. Da wußte er zunächft
nichts zu sagen. Dann: Frau! was bedeutet dies?
Und dann, als sie nicht gleich antwortete: Anna
Magdalena, ift dir etwas zugestoßen, oder den Kin-
dern? Sie schüttelte den Kopf. — So sprich, du siehst,
es quält mich.
Da sprach sie: Als du zur Vesper nicht da warst,
gab ich den Kindern jedem ein Brot zu essen, bestellte
Elisabeth zum Achtgeben und ging hierher. Da hab
ich hier gestanden und gelauscht.
So weinst du über das Spiel? Sie nickte: Aber
noch über etwas mehr.
Was dann?
Ich dars es kaum sagen, Mann.
Sag es nur. . .
Da sprach sie, wie eine Bitte schön: Daß du nur
nicht meinest, ich mache dir einen Vorwurf. Sieh, ich
weiß ja nun, daß der Mann oft weg, weit weg ist
von den Seinen. Wandert aus, in Himmel und
Hölle, ganz allein. Und darf niemand von den Scinen
mit ihm gehn. Kann auch wohl niemand mit ihm
gehn? . - .
Da ftand der Meister tief atmend und sagte dann:
Nein, es kann niemand mitgehn. Wann er die heilige
Kunst aus den Himmeln und Höllen holt, ift keiner
bei ihm. DaS ist die Notwendigkeit. Jhn freut das
nicht. Aber es ist so. Niemandem tut das Einsamsein
weher denn ihm selber. Aber sieh doch, Frau, er kehrt
den Seinen i'mmer wieder. Wenn sie ihn nur lieben.
Denn er bedars der Liebe. Sieh, auch ich bin wieder
da. Wir wollen nun heimgehen.
Und er faßte sie und so gingen sie auS der Kirche,
derweilen sie ihre Tränen getrocknet hatte, stolz zu ihm
aufsah und zu lächeln anfing.
nsere Zeit und Bach.
i.
„Endlich versteht man ihn" — so meinen viele, wenn,
nach langer Ruhmesarmut der Einsamkeit, ein verdienter
Künstler Ehren und Gefolgschaft findet.
„Jetzt mißversteht man ihn" — so verbessern die
wenigen, die darum wissen, was Ruhm bedeutet, wie
das Gesetz der Trägheit auch in Dingen des geistigen
Lebens wirkt, wie sich hier ein Selbstschutz durch eine
Art verkehrter Anpassung vollzieht.
So sind, die sich zu den Sehenden zählen, vornweg
darüber mit sich im reinen, daß gerade der Kenner und
Verehrer Bachischer Musik die heutigen Bachvereine und
Bachseste keineswegs als eindeutig hoffnungerregende
Ieichen für unsere Aeit begrüßen wird.
Awar brauchen wir die Ehrlichkeit des Beisalls, mit
dem man diese Musik aus mittelalterlicher Aeit auf-
nimmt, nicht in Zweifel zu ziehen. Jn der Tat, manches
gefällt uns, manches erquickt oder ergreift und erhebt
uns, und wir sind dabei leidlich aufrichtig.
Nun stellen Sie sich aber einmal vor, einer Iuhörer-
schaft, die sich soeben an einem Brandenburgischen
Konzert ersreute, platze mitten in ihre schöne Begeiste-
rung hinein die Nachricht, dieses Stück sei nicht von Bach,
sondern von einem annoch lebenden Autor. Gleich
nebenan befinde er sich; drinnen ini Künstlerzimmer habe
er den so laut kundgegebenen Enthusiasmus gern ver-
nommen, der ihn für seine Iukunft das Beste erwarten
lasse.-
Gewiß, man liebt nicht getäuscht zu werden. Aber
vermerkten Sie es nicht noch übler, daß Sie überhaupt
getäuscht werden konnten? Daß Sie Jhrer historischen
Sicherheit fortan nicht mehr so recht froh sein dürfen?
Ja, nun merken Sie es: Jhrem so gegenwärtig
lebendigen Wohlgefallen an dieser Musik vermischte sich
ein Gefühl davon, daß es mit ihr jetzt vorbei sei — und
das war Jhnen ganz und gar nicht leid! Sie glaubten
Museumsluft zu spüren, dachten: sobald ich will, stehe
ich wieder unter freiem Himmel; sei es dann unter
jungem Grün oder welkem Laub, sei es auf blankem
Neuschnee oder in schmutzigem Matsch: jedenfalls stehe
ich fest im heutigen Datum!
Und da wäre es doch ein Raub auch noch an dieser
kleinsten Gewißheit kümmerlichsten Jnhalts, wenn eine
Ausdrucksweise voriger Iahrhunderte den Änspruch er-
höbe, als gegenwärtig von uns gehört zu werden.
Freilich suchen wir jene besseren Gefilde zu unserer
Erholung auf; ein kleiner Gang, so hoffen wir, soll uns
aus verworrenem Heut in das einfachere Früher bringen,
wo unser Geist ein edles Wohlsein fühlt.
Aber zu Gast wollen wir dahin gehen; keineswegs
ist es uns um eine andere Heimat zu tun. So dürfen
wir uns etwa auch mit denen vergleichen, die von Ieit
zu Ieit einen kurzen Kuraufenthalt nehmen, aber auf
die herbe Lust eines gesunden Lebens verzichten. Beides,
das Museums- und das Badgastgefühl, störte der,
dessen Werk wir soeben mit Genuß gehört hatten, da
wir uns in den Bann des alten Bach beqeben zu haben
wähnten.
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und es war holder Frühlmg draußen; aber man sah
dle Sonne nicht mehr an den Scheiben, es ging wohl
gen den Abcnd. Er kam zu sich, er fühlte Tränen im
Gesicht stehen, nahm daS Sacktuch aus den Rockschößen,
die hinter der Orgelbank ties herabhingen.
Dann schaute das Gesicht deS BälgentreterS hinter
der Orgel hervor: Wird der Herr Kantor heut nicht
mehr spielen? Die Vesper ist schon vorüber.
Es ist gut, Holzweißig, Er kann gehn.
Er saß noch. Dann stand er aus, wie im Traum.
Stand unschlüssig. Wollte er noch etwas hier? Er sah
über die Emporen hin, sah hinab inö Gestühl, — welch
eine Stille im dämmerigen Raum. War das St. Tho-
mas? Aber der Himmel war aufgetan gewesen. Es
war ein Glanz auf seinem Gesicht, ein Friede und ein
Glück. WaS wollte er nur? Er ftand, als habe er etwas
vergessen, als suche er etwas. Er besann sich. — Nein,
die Noten brauchte er nicht; er wußte schon, was er
morgen früh spielen wollte, da lagen dic Vorspiele . . .
Und die Aussetzungen der beiden Ehoräle. . . Er hatte
nichts zu tun hier, er konnte heimgehen ... So stieg
er die Treppe hinab, langsam, behutsam — ein zärtlicher
Riese. . . So ging er durchs Mittelschiff, fühlte noch
einmal die Stille und die heimliche Dämmerung und
wollte eben aus der großen Tür gen Osten herauStreten,
als er in eincr Nische neben sich etwas leise weinen
hörte. Da blieb er erschrocken stehn, sah näher hin
und erkannte seine Frau. Da wußte er zunächft
nichts zu sagen. Dann: Frau! was bedeutet dies?
Und dann, als sie nicht gleich antwortete: Anna
Magdalena, ift dir etwas zugestoßen, oder den Kin-
dern? Sie schüttelte den Kopf. — So sprich, du siehst,
es quält mich.
Da sprach sie: Als du zur Vesper nicht da warst,
gab ich den Kindern jedem ein Brot zu essen, bestellte
Elisabeth zum Achtgeben und ging hierher. Da hab
ich hier gestanden und gelauscht.
So weinst du über das Spiel? Sie nickte: Aber
noch über etwas mehr.
Was dann?
Ich dars es kaum sagen, Mann.
Sag es nur. . .
Da sprach sie, wie eine Bitte schön: Daß du nur
nicht meinest, ich mache dir einen Vorwurf. Sieh, ich
weiß ja nun, daß der Mann oft weg, weit weg ist
von den Seinen. Wandert aus, in Himmel und
Hölle, ganz allein. Und darf niemand von den Scinen
mit ihm gehn. Kann auch wohl niemand mit ihm
gehn? . - .
Da ftand der Meister tief atmend und sagte dann:
Nein, es kann niemand mitgehn. Wann er die heilige
Kunst aus den Himmeln und Höllen holt, ift keiner
bei ihm. DaS ist die Notwendigkeit. Jhn freut das
nicht. Aber es ist so. Niemandem tut das Einsamsein
weher denn ihm selber. Aber sieh doch, Frau, er kehrt
den Seinen i'mmer wieder. Wenn sie ihn nur lieben.
Denn er bedars der Liebe. Sieh, auch ich bin wieder
da. Wir wollen nun heimgehen.
Und er faßte sie und so gingen sie auS der Kirche,
derweilen sie ihre Tränen getrocknet hatte, stolz zu ihm
aufsah und zu lächeln anfing.
nsere Zeit und Bach.
i.
„Endlich versteht man ihn" — so meinen viele, wenn,
nach langer Ruhmesarmut der Einsamkeit, ein verdienter
Künstler Ehren und Gefolgschaft findet.
„Jetzt mißversteht man ihn" — so verbessern die
wenigen, die darum wissen, was Ruhm bedeutet, wie
das Gesetz der Trägheit auch in Dingen des geistigen
Lebens wirkt, wie sich hier ein Selbstschutz durch eine
Art verkehrter Anpassung vollzieht.
So sind, die sich zu den Sehenden zählen, vornweg
darüber mit sich im reinen, daß gerade der Kenner und
Verehrer Bachischer Musik die heutigen Bachvereine und
Bachseste keineswegs als eindeutig hoffnungerregende
Ieichen für unsere Aeit begrüßen wird.
Awar brauchen wir die Ehrlichkeit des Beisalls, mit
dem man diese Musik aus mittelalterlicher Aeit auf-
nimmt, nicht in Zweifel zu ziehen. Jn der Tat, manches
gefällt uns, manches erquickt oder ergreift und erhebt
uns, und wir sind dabei leidlich aufrichtig.
Nun stellen Sie sich aber einmal vor, einer Iuhörer-
schaft, die sich soeben an einem Brandenburgischen
Konzert ersreute, platze mitten in ihre schöne Begeiste-
rung hinein die Nachricht, dieses Stück sei nicht von Bach,
sondern von einem annoch lebenden Autor. Gleich
nebenan befinde er sich; drinnen ini Künstlerzimmer habe
er den so laut kundgegebenen Enthusiasmus gern ver-
nommen, der ihn für seine Iukunft das Beste erwarten
lasse.-
Gewiß, man liebt nicht getäuscht zu werden. Aber
vermerkten Sie es nicht noch übler, daß Sie überhaupt
getäuscht werden konnten? Daß Sie Jhrer historischen
Sicherheit fortan nicht mehr so recht froh sein dürfen?
Ja, nun merken Sie es: Jhrem so gegenwärtig
lebendigen Wohlgefallen an dieser Musik vermischte sich
ein Gefühl davon, daß es mit ihr jetzt vorbei sei — und
das war Jhnen ganz und gar nicht leid! Sie glaubten
Museumsluft zu spüren, dachten: sobald ich will, stehe
ich wieder unter freiem Himmel; sei es dann unter
jungem Grün oder welkem Laub, sei es auf blankem
Neuschnee oder in schmutzigem Matsch: jedenfalls stehe
ich fest im heutigen Datum!
Und da wäre es doch ein Raub auch noch an dieser
kleinsten Gewißheit kümmerlichsten Jnhalts, wenn eine
Ausdrucksweise voriger Iahrhunderte den Änspruch er-
höbe, als gegenwärtig von uns gehört zu werden.
Freilich suchen wir jene besseren Gefilde zu unserer
Erholung auf; ein kleiner Gang, so hoffen wir, soll uns
aus verworrenem Heut in das einfachere Früher bringen,
wo unser Geist ein edles Wohlsein fühlt.
Aber zu Gast wollen wir dahin gehen; keineswegs
ist es uns um eine andere Heimat zu tun. So dürfen
wir uns etwa auch mit denen vergleichen, die von Ieit
zu Ieit einen kurzen Kuraufenthalt nehmen, aber auf
die herbe Lust eines gesunden Lebens verzichten. Beides,
das Museums- und das Badgastgefühl, störte der,
dessen Werk wir soeben mit Genuß gehört hatten, da
wir uns in den Bann des alten Bach beqeben zu haben
wähnten.
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