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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 7
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Röttger, Karl: Die Märchen von der Traurigkeit
DOI Artikel:
Klein, Rudolf: Der alte und der neue Garten
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0261

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Die Märchen von dcr Traurigkeit.

Siehst du — lachte daö Mädchen. Nun wollen
wir noch einmal hinauf gchn und die Funken sprühen
sehn von all der Feuchte an Halmen, Iweigen. Komm!

Er ging mit ihr. Und es war lange still zwischen
ihnen. Bis er, halb unbewußt, ihre Hand faßte. Und
sie mit einem süßen Gefühl es geschehen ließ.

Dann lachte er aus und sagte: Nun weiß ich auch
den Namen, du bist Anna Elisabeth — ja?

Ja doch, lachte sie ihm ins Gesicht.

Was ist dieS nun zwischen uns? Die Liebe?

Sie schwieg erst. Antworte du selbst. Aber es eilt
nicht mit der Antwort.

Ja doch, das ist recht. Aber ich bin immer so ge-
wesen, ich will gleich alleS wissen.

Diese dumme Ungeduld. Er hob aber ihre Hand
auf und küßte sie. Und da auf einmal auch ihren
Mund. Und sagte dabei: Halte mich fest mit Lachen und
Fröhlichkeit. Nicht bloß diesen herrlichen, klaren Herbst-
morgen lang, sondern immcr. DieS ist auch cin Märchen;
es fing an mit der Traurigkcit und endete mit dem
Glanz deineS Angesichts und deiner Scele . . . halte
mich nur immer sest. . .

Da blieb sie stehen, nahm ohne Scheu seinen Kops
in ihre Hände und küßte ihn.

Wenn dies daS letzte Märchen ist, soll es auch ein
recht langes sein -, soll es nie enden . . . unser Mär-
chen von der Freude und der Liebe.

er alte und der neue Garten.

Hand in Hand mit der Reform unserer Archi-
tektur geht eine solche der Gartenanlagen. Sie
ist eine innere Notwendigkeit, weil Haus und Garten eins
sind, es wenigstens sein sollten. Ja, ich möchte behaupten,
daß, ist auch das Reformbedürfnis als solches bezüglich
des Gartens nicht gerade älter, als daü für das Haus
— denn in diesem Sinne gehen sie nebeneinander —
das Gefühl dafür lange vor dem Einsetzen der Reform-
bewegung der modernen Architektur bei einigen wenigen
lebendig war; jedensalls ein Gefühl für die Unsinnigkeit
des in den letzten Jahrzehnten nicht gerade modernen,
aber mondanen englischen Gartens und ein Verstandnis
für das Sinnvolle des alten guten Bauerngartenü im
Verein mit einem schlichten Haus, das heutigen An-
sprüchen zwar nicht mehr gerecht wird, aber auch nicht
durch die Stillosigkeiten der letzten Epoche entstellt
wurde.

Der Garten, gegen den sich die heutige Bewegung
richtet, ist der Villengarten, wie er in den letzten Dezen-
nien des vorigen Jahrhunderts mehr und mehr in
Schwung kam, jener Garten, der sich aus einem Miß-
verstehen des englischen Schloßparkes ergab. Der Aus-
bau dieses englischen Gartens wurzelt in der Romantik,
aber man geht doch wohl fehl, wollte man ihn allein aus
deren Empfindungen als einer Reaktion gegen den fran-
zösischen ableiten und bestimmen. Damals keimten im
geistigen Leben Englands Jdeen, denen nach jeder
Richtung die Führung sicher war, indes in Frankreich
eine alte Kultur zur Neige ging. Höchstwahrscheinlich
sind es diese Jdeen im Verein mit dem Milieu-Charakter,
d. h. mit der Terrainbeschaffenheit gewesen, die seine

Gestalt bedingten, wobei die für eine spatere Nach-
ahnmng so verhängnisvollen Bestandteile des Dekors
mehr nur in den durch die engere Aeitstimmung beein-
flußten romantischen Außerlichkeiten — also in den an
sich vergänglichen Aügen — nicht in jener zu suchen
wären, für die und deren Ausbau sich auch an anderen
Orten analoge Fälle immer wieder finden mögen. Mit
anderen Worten: daS Unsinnige jenes mondänen Gartens
resultierte aus dem Unorganischen seiner Konstruktion;
man reduzierte die Jdee des Schloßparkes auf den Be-
griff des stadtischen HausgartenS, wodurch die labyrin-
thischen Gänge einer Uranlage, in der man sich ziel-,
plan- und uferlos ergehen konnte, zu dem engen Schnörkel
eines Schneckenhauses zusammenschrumpften.

Aber der Wille zum Besseren ist vorhanden. Wie
seine Vollzieher selbst, so kam die Parole aus der Malerei,
und zwar mit dem Schlagwort des „Jndividualismus",
der jedoch für die neu zu erobernden Gebiete zugleich ein
Verhängnisvolles barg: die Architektur ist individualisti-
scher Willkür niemals in dem Grade zugänglich gewesen
wie die Malerei, am wenigsten wie die Malerei der
letzten drei Jahrhunderte. Doch davon sogleich ein
mehreres. Vorerst sei dies bemerkt: der Jndividualismus
in der Architektur befürwortete wieder das freistehende
Haus, dieses aber behinderte in unseren Tagen die Jdee
eines natürlichen Gartens (worunter wir nicht den ro-
mantischen Naturgarten verstehen) eher, statt sie zu für-
dern. Die Kostenhöhe des zu bebauenden Platzes ließ
für gewöhnlich in solchem Falle ringsum ein paar
Streifen Land übrig, womit dem Wesen einer Garten-
anlage nicht gedient war: der Garten muß zu seinem
weitaus größten Teil hintcr dem Haus sich erstrecken,
während davor nicht mehr anzulegen ist, wie sich aus
dem Begriff des Eingangs ergibt und durch dessen archi-
tektonische Anlage bestinmit wird. Auch hier ist das alte
Landhaus vorbildlich: zwei Linden links und rechts von
der Tür, eine Bank, unter jedem Fenster ein Blumen-
beet, das Ganze von einer Hecke umschlossen. Der Gegen-
satz zum mondänen Hausgarten der letzten Jahrzehnte
ist ersichtlich: dort Ausammenschluß nach jeder Richtung
— und innerhalb dieses Zusammenschlusses, darin ruht
seine eigentümliche psychologische Wirkung und sein
Aweckmäßigkeitsgesetz, töst sich erst das Gefühl unserer
inneren Freiheit -— hier Auflösung von dem Eisenstaket,
das die dichte, dem Blick undurchdringliche geschorene
Hecke, oder die Gartenmauer ersetzte, bis zu dem wie
eine Salatschüssel ini Sch'aufenster des Konditorladens
frisierten Teppichbeet, das jedem biologischen Wachs-
tum widerspricht, und den ziellosen Schlangenwegen.
Ebenso betonte nian früher instinktiv hinsichtlich der Be-
pflanzung das richtige, um in bezug aufs Blühen und
immergrünen Schniuck die Reize der Jahreszeiten zu
erwecken: was z. B. riefe die Vorstellung des Frühlings
lebhafter wach, als wenn vor winterlich dunklen Koniferen,
in einem Rasen, der noch in dem feinen Eisgeäder des
letzten Nachtfrostes knistert, der helle Krokus, die Oster-
verkünderin, mit ihrer zarten Glocke den Boden durch-
bricht, das Grün froh und farbig sprenkelt wie mit einem
bunten Eiergelege, und so fort durch die Blütenpracht des
Sommers bis in den Herbst, da die Äste unter der Last
der reifenden Früchte sich biegen und die Astern in sarbig
 
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