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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 5
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Coellen, Ludwig: Geschichtliche Gebundenheit und zeitlose Gültigkeit des Kunstwerkes: ein Gespräch
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0181

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Geschichtliche Gebundenheit und'zeitlose Gültigkeit des Kunstwerkes.

eschichtliche Gebundenheit und zeit-
lose Gültigkeit des Kunftwerkes.

Ein Gespräch. Von vr. Lndwig Coellen.

A. Unsere letzte Unterhaltung war für mich doch
recht belehrend. Jch hatte es nicht für möglich gehalten,
daß mir die neuesten Erscheinungen in der bildenden
Kunst jemals zum Verständnis gelangt wären; nun aber,
nachdem Sie mir gezeigt haben, wie folgerichtig sie aus
dem Geisteszustand der Gegenwart erwachsen, sind mir
sozusagen die Augen aufgegangen: ich verstehe jetzt
wenigstens, was diese Erpressionisten und Futuristen
wollen, oder besser, was sie treibt. Aber zugleich hat
mich diese Erkenntnis tief bedrückt. Wie seltsam, daß
eine Ieit aus ihrem inneren Wesen heraus zu einer Art
der künstlerischen Arbeit gedrangt werden kann, die nur
den Namen einer Abart, ja, ich möchte sagen, einer
Monstrosität verdient!

B. So habc ich also doch nicht bei Jhnen erreicht,
was ich wollte. Jch habe gehofft, ich würde Sie durch
meine, sagen wir, kulturgeschichtliche Begründung der
neuen Bildnerei auch von deren Kunstwert überzeugen
oder doch wenigstens Sie zweifelhaft machen, sodaß
Sie die Notwendigkeit fühlten, Jhr Urteil über sie noch
einmal zu prüfen.

A. Wie hätten Jhre Ausführungen das bewirken
können? Ich gebe zu, daß die Feststellung der kultur-
geschichtlichen Bedingungen einer Kunst eben kultur-
geschichtlich bedeutsam ist, aber mit dem Kunsturteil hat
sie nichts zu tun; wenn sie schon den Menschen, der
begreifen will,interessieren mag und auch dieBesonder-
heit einer Kunst verstehen lehrt, so gibt sie ihm doch
keineswegs einen Maßstab an die Hand, das einzelne
vorhandene Werk einer solchen zu beurteilen. Sie liegt
geradezu außerhalb der eigentlichen Kunstsphäre als
solcher. Jn der unmittelbaren Anschauung erfasse ich das
Kunstwerk an und für sich, und nur aus ihr ergibt sich
mir ein Urteil über seinen Wert; da spielt die kultur-
geschichtliche Seite nicht hinein. Das Kunstwerk steht
jenseits seiner Erzeugungsbedingungen, es hat sich von
ihnen abgelöst und sie hinter sich zurückgelassen und steht
da als ein zu allen Aeiten und für alle Ieiten Gültiges;
sofern es nur eben ein echtes Kunstwerk ist, ist es zeitlos,
„ewig".

B. Was Sie da sagen, ist zum Teil sicherlich richtig.
Jedes Kunstwerk ist eine in sich beschlossene kleine Welt,
ein in sich selbständiges Ganzes, und es bietet sich der An-
schauung dar als ein Unabhängiges, das seinen Wert in
sich selber trägt und ihn nur den Jnstanzen der An-
schauung zum Urteil unterwirft; es nimmt den Be-
schauer in seinen Kreis hinein und gewährt ihm eine
Vollendung des Erlebens, die alles Bedingungsmäßige
ausschließt und keine historische „Unfertigkeit" gewahren
läßt. Darin stimme ich Jhnen durchaus zu, und doch
verknüpft sich mir damit eine Betrachtungsweise, die
scheinbar das Gegenteil besagt. Jch behaupte, daß die
kulturgeschichtlichen Bedingungen dieser Anschauungs-
funktion des Kunstwerkes geradezu übergeordnet sind.
Sie gerade sind es, die das Kunstwerk aus sich erzeugen,
um sich an ihm zu offenbaren; sie sind es, die als

die geistige Potenz einer Aeit in dem Kunstwerk zum
freien Dasein entbunden werden. Darum glaube ich
allerdings auch, daß Sie der kulturgeschichtlichen Ge-
bundenheit nicht jede Beziehung zum Kunsterlebnis
sowohl als zum Kunsturteil absprechen dürfen.

A. Jch fürchte fast, daß Jhnen Jhre philosophischen
Ansichten den Blick für das reine künstlerische Erleben
trüben. Wenn ich Sie recht verstanden habe, ordnen Sie
das Kunsterlebnis dem philosophischen Begreifen unter,
ja noch mehr, Sie tragen ein Moment des Begreifens in
das Kunsterlebnis selber hinein, das für die Anschauung
direkt vernichtend wirkt.

B. So muß es Jhnen allerdings vorkommen,
denn ich habe Jhnen ja nur den Gegensatz aufgestellt,
der hier vorhanden ist, ohne Jhnen zugleich die Ver-
mittlung zu zeigen, die ihn aufhebt. Das wird auch
nicht gerade leicht sein; jedenfalls müssen wir da einen
sicheren Gang für unsere Erörterung gewinnen; darum
schlage ich Jhnen vor: Sie sagen mir zunächst Jhre An-
sicht über das Wesen eines Kunstwerkes und den Maß-
stab des Urteils, der sich daraus ergibt, dann will ich
versuchen, daran anzuknüpfen, um unsere Frage zu
klären.

A. Das scheint auch mir die beste Methode zu sein:
denn meine Position ist sicher und sie hat die Anerkennung
fast aller Kunstfreunde für sich; Sie würden sie also wohl
erschüttern müssen, um Jhrer Meinung Geltung zu ver-
schaffen. Jch halte mich bei meiner Kunstauffassung an
die großen Denker und Dichter des Jdealismus, an Kant,
an Goethe und Schiller; was deren ästhetischen Lehren
zur gemeinsamen Grundlage dient, das hat sich mir auf
das beste in meiner Kunsterfahrung bewährt; sie alle
sprechen dem Kunstwerk eine Würde zu, die den Betrach-
ter zu einer entsprechenden geistigen Höhe erhebt, und
diese Würde gerade schließt unmittelbar Aeit- und Be-
dingungslosigkeit in sich. Wer die letzteren leugnet,
bringt das Kunstwerk zugleich um seine Würde und
zieht es notwendig in die Sphäre der wesenverhüllenden
Erscheinungsgleichgültigkeiten hinab. Verzeihen Sie
mir, daß meine Ehrfurcht vor diesem Bildwesen Gottes,
als welches ich die Kunst ansehe, mich voreilig gegen Sie
zu sprechen treibt, und lassen Sie mich denn mit Worten
zu beschreiben versuchen, was ich unter diesem Aus-
drucke „Bildwesen Gottes" verstehe, und wie jene Würde
des Werkes und die geistige Höhe des Erlebens daraus
folgen. Vielleicht knüpfe ich am besten an einen Aus-
spruch Goethes an; er sagt einmal: „Ein vollkommenes
Kunstwerk ist ein Werk des menschlichen Geistes und in
diesem Sinne auch ein Werk der Natur. Aber indem die
zerstreuten Gegenstände in eins gefaßt und selbst die
gemeinsten in ihrer Bedeutung und Würde aufgenommen
werden, so ist es über die Natur." Damit hat Goethe,
deucht mich, angegeben, was Wesen und Wert der
Kunst begründet: es ist die Iusammenstimmung von
Natur und Ubernatur, die Offenbarung der übernatür-
lichen Bedeutung und Würde der Natur in ihrer voll-
endeten Harmonie mit dieser. Für Goethe, wie für alle
erleuchteten Geister seiner Ieit, gab es keine Welt, keine
Natur außerhalb der Beziehung zum Menschen, der sie
erlebt. Darum war auch ihm Natur nicht „Natur von
außen", sondern „Natur von innen", im Menschengeist
 
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