ie Herbstallee.
Skizze von Karl Röttger.
Es ist wie eine elegische Schönheit und Stille über
das Land gekommen. Das sind die blauen Tage, durch
die der Sonnenglanz blasser scheint. Und die Fernen
scheinen näher herangerückt zu sein, so im blauen Duft
stehn die Dinge im Kreis; die Haine der Ebene, die
Häuser und Dörfer, die Chaufseen, die dem schauenden
Blick quer vorüberziehn. Der Horizont scheint enger
gezogen zu sein; nicht so unendlich weithin dehnt sich
das Land. Milde, leicht verhängte Luft und ein Herbst-
geruch über der träumenden Fläche, über den kurz ge-
schorenen Wiesen, auf denen die Herbstzeitlose blüht,
über den Nckern, die fast ganz kahl sind. Die Wege
liegen still und hell und tauchen in daS Blau der nahen
Fernen unter. Und was noch geschieht in der leichten
Wärme und beginnenden Traurigkeit dieser Tage —
letzte Wagen, die beladen sind und heimgesahren werden,
eines Hütejungen kleincs Lied im Bruch bei seinen
Kühen - allcs, waS da geschieht, ist so klein und ein-
fach und bescheiden vor der Stille und Weite der Land-
schaft, daß es in der großen Einsamkeit nicht mehr
bedeutet wie etwa des Windes Stimme im Heckenlaub,
oder wie ein fallendes Blatt. Denn so ganz groß und
gewaltig wölben und dehnen sich Stille und Einsamkeit
übcr und um das stille Land, daß alles Geschehen
darin auch nur als still und einsam gesehen und ge-
fühlt werden kann. Und das Lied der Lerche im Himmel
ist wie die schwebende Scele dicser Landschaft.
Ich gehe nun jeden Morgen und jeden Abend die
Herbstallee. Die kommt vom Gutöhof herunter, der
mit seinem Herrenhaus, seinen Wirtschaftsgebäuden und
seinen Gärten gegen den Hügel gelehnt ist. Gerad,
mit hohen dunklen Bäumen auf beiden Seiten läuft
die Allee herunter — läuft in das graue Feld aus, auf
die Chaussee, die zum Dorf und wciter zur Bahnstation
führt.
Jch gehe jeden Tag diese Allee, die grauweiß da-
liegt, mit dem ersten buntcn Laub bedeckt. Wege und
Alleen habcn auch ihre Schönheit und ihre Seele, und
wenn man ihrer cine besonderS liebt, so vermag man
doch nicht zu sagen, warum. Sie beginnt unten mit
einer Reihe junger Eichen, deren Laub sich eben zu
färben beginnt. Dann kommcn die alten Platanen und
Ahorne mit vielem buntem Laub, es sind große, schöne,
starke Bäume, und die Kronen der beiden Baumreihen
berühren sich oben über der Mitte deö WegcS.
Der Herbst ist wohl die feierlichste JahreSzeit. Die
Buntheit des Laubes in den Wäldern und Hainen, in
den Parks und Gärten, und die goldcne Laubfülle hin-
gestreut auf den langen einsamen Wegen; die stille
Monotonie der weiten Flächen, die schon fast ganz leer
sind; die letzten Herbstblumen in den Gärten, die
hohen Georginen und Sonnenblumen; die welken Düfte
im zielloS und verloren wehenden Wind — das gibt
alleö eine Stimmung des großen Ernsteö und der
Besinnung.
Fcierlich und bunt ist der Herbst, und die Melancholie
des Grauen und Blauen liegt über der Feierlichkeit und
Buntheit. Wie stille Domgänge einer andern Kirche
sind manche Herbftalleen, und der Weihrauch deö HerbfteS
stimmt die Seele zum Schweigen. Mildschimmernd aber
wölbt sich der ewige Himmel, scheint wie durch zarten
Flor die ewige Sonne.
DaS Laub der Platanen ist gelb, weichgelb, so daß
eine Zartheit in der Farbe bleibt und wenig Glanz.
Aber die Ahorne haben Glut, sie brenncn, ihr Goldgclb,
ihr Rotgelb und Rot hat Stimme; es sagt, ich bin der
wahrgewordene Rausch der Schönheit und des Sterbens,
dir Blicke können in mir ertrinken und einschlafen. —
Im weißlichen Staub des Weges liegen die Blätter
der Bäume wie breite Tupfen, und an den Stellen,
wo die Blätter schon dicht liegen, rauscht der Schritt
des Gehenden . . .
Dann stehe ich am Gatter. Es ist unverschlossen,
man könnte hindurchgehen in den Park; ein paar schlanke
Buchen ftehen zu bciden Seiten des EingangeS. Und
dann rechts und links an der Hecke hin fteht eine Reihe
schöner dunkler Tannen. Aber vor mir im Licht weiß-
goldener Sonne der Park, die schönen Rasenflächen,
auf denen eine schöne Douglastanne oder eine Rotbuche
aufsteht, die Wege schön geharkt und gelb sich hindurch-
windend, und tiefer hinein beginnen die Blumenbeete:
das Rot und Lila der Georginen, das Gelb dcr Sonnen-
blumen, das Weiß der Chrysanthemen schimmcrt her-
über. Dann steht da daö HerrenhauS, mit den Fenstern
in der Sonne, die Mauern grau, die Rahmen der
Fenster weiß, — aber daö Grün des Efeus rankt empor,
und der Glutrausch des wilden WeinS . . . bis hoch hin-
auf um daS Erkertürmchcn . . . Und hinter allem steigt
sanft der Hügel auf mit den dunklen Tannen. - —
Von der Seite herüber kommen Stimmen, wo ein
Eckchen deö Gärtnerhauses durchs Laub schaut. Kinder-
stimmen und dann auf einma! eine tiefe Frauenftimme.
Jch warte noch einen Augenblick; ein Kind, ein Knabe
in blauem Anzug mit bloßem Kopf und das gelbe lange
Haar flatternd, taucht aus dem Halbdunkel und zieht
hinter sich ein Wägelchen mit einem kleinen weißen
Mädchen — o so weiß! — grad scheint die blasse Sonne
auf ihr Gesicht, grad tropft ein roteS Blatt auf ihr
weißeö Häubchen . . . und die schöne Frauenstimme auö
der Tiefe — Wo seid ihr — Alexander? Es rauscht heran.
Jch ziehe mich zurück — ich wende mich und gehe die
Allee zurück. * *
*
An jedem dieser schönen Herbsttage, die überwölbt
sind von wolkenlosem, weißblauem Himmel, gehe ich
nun die Gutöallee. Mir fallcn Lieder ein von irgendwo:
„Dics ist der Herbst" — wenn sich dic Fülle in die nackte Leere
binüber neigt.
Dies ist der Herbst: die bunte volle Schwere
der Schönheit in dcn Parks und Gärtcn schweigt.
Auch dies:
Cin lcises Taumeln und Schwanken,
ein überladenes Booy
mit Bändern und bunten Gedanken
fährt die Erde ins Abendrot.
DaS ist mir einmal bei einem wunderschönen hohen
Abendrot eingefallen, aber ich weiß nicht, woher es
ftammt. Auch jenes andere summte mir ein paarmal
durch den Sinn:
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Skizze von Karl Röttger.
Es ist wie eine elegische Schönheit und Stille über
das Land gekommen. Das sind die blauen Tage, durch
die der Sonnenglanz blasser scheint. Und die Fernen
scheinen näher herangerückt zu sein, so im blauen Duft
stehn die Dinge im Kreis; die Haine der Ebene, die
Häuser und Dörfer, die Chaufseen, die dem schauenden
Blick quer vorüberziehn. Der Horizont scheint enger
gezogen zu sein; nicht so unendlich weithin dehnt sich
das Land. Milde, leicht verhängte Luft und ein Herbst-
geruch über der träumenden Fläche, über den kurz ge-
schorenen Wiesen, auf denen die Herbstzeitlose blüht,
über den Nckern, die fast ganz kahl sind. Die Wege
liegen still und hell und tauchen in daS Blau der nahen
Fernen unter. Und was noch geschieht in der leichten
Wärme und beginnenden Traurigkeit dieser Tage —
letzte Wagen, die beladen sind und heimgesahren werden,
eines Hütejungen kleincs Lied im Bruch bei seinen
Kühen - allcs, waS da geschieht, ist so klein und ein-
fach und bescheiden vor der Stille und Weite der Land-
schaft, daß es in der großen Einsamkeit nicht mehr
bedeutet wie etwa des Windes Stimme im Heckenlaub,
oder wie ein fallendes Blatt. Denn so ganz groß und
gewaltig wölben und dehnen sich Stille und Einsamkeit
übcr und um das stille Land, daß alles Geschehen
darin auch nur als still und einsam gesehen und ge-
fühlt werden kann. Und das Lied der Lerche im Himmel
ist wie die schwebende Scele dicser Landschaft.
Ich gehe nun jeden Morgen und jeden Abend die
Herbstallee. Die kommt vom Gutöhof herunter, der
mit seinem Herrenhaus, seinen Wirtschaftsgebäuden und
seinen Gärten gegen den Hügel gelehnt ist. Gerad,
mit hohen dunklen Bäumen auf beiden Seiten läuft
die Allee herunter — läuft in das graue Feld aus, auf
die Chaussee, die zum Dorf und wciter zur Bahnstation
führt.
Jch gehe jeden Tag diese Allee, die grauweiß da-
liegt, mit dem ersten buntcn Laub bedeckt. Wege und
Alleen habcn auch ihre Schönheit und ihre Seele, und
wenn man ihrer cine besonderS liebt, so vermag man
doch nicht zu sagen, warum. Sie beginnt unten mit
einer Reihe junger Eichen, deren Laub sich eben zu
färben beginnt. Dann kommcn die alten Platanen und
Ahorne mit vielem buntem Laub, es sind große, schöne,
starke Bäume, und die Kronen der beiden Baumreihen
berühren sich oben über der Mitte deö WegcS.
Der Herbst ist wohl die feierlichste JahreSzeit. Die
Buntheit des Laubes in den Wäldern und Hainen, in
den Parks und Gärten, und die goldcne Laubfülle hin-
gestreut auf den langen einsamen Wegen; die stille
Monotonie der weiten Flächen, die schon fast ganz leer
sind; die letzten Herbstblumen in den Gärten, die
hohen Georginen und Sonnenblumen; die welken Düfte
im zielloS und verloren wehenden Wind — das gibt
alleö eine Stimmung des großen Ernsteö und der
Besinnung.
Fcierlich und bunt ist der Herbst, und die Melancholie
des Grauen und Blauen liegt über der Feierlichkeit und
Buntheit. Wie stille Domgänge einer andern Kirche
sind manche Herbftalleen, und der Weihrauch deö HerbfteS
stimmt die Seele zum Schweigen. Mildschimmernd aber
wölbt sich der ewige Himmel, scheint wie durch zarten
Flor die ewige Sonne.
DaS Laub der Platanen ist gelb, weichgelb, so daß
eine Zartheit in der Farbe bleibt und wenig Glanz.
Aber die Ahorne haben Glut, sie brenncn, ihr Goldgclb,
ihr Rotgelb und Rot hat Stimme; es sagt, ich bin der
wahrgewordene Rausch der Schönheit und des Sterbens,
dir Blicke können in mir ertrinken und einschlafen. —
Im weißlichen Staub des Weges liegen die Blätter
der Bäume wie breite Tupfen, und an den Stellen,
wo die Blätter schon dicht liegen, rauscht der Schritt
des Gehenden . . .
Dann stehe ich am Gatter. Es ist unverschlossen,
man könnte hindurchgehen in den Park; ein paar schlanke
Buchen ftehen zu bciden Seiten des EingangeS. Und
dann rechts und links an der Hecke hin fteht eine Reihe
schöner dunkler Tannen. Aber vor mir im Licht weiß-
goldener Sonne der Park, die schönen Rasenflächen,
auf denen eine schöne Douglastanne oder eine Rotbuche
aufsteht, die Wege schön geharkt und gelb sich hindurch-
windend, und tiefer hinein beginnen die Blumenbeete:
das Rot und Lila der Georginen, das Gelb dcr Sonnen-
blumen, das Weiß der Chrysanthemen schimmcrt her-
über. Dann steht da daö HerrenhauS, mit den Fenstern
in der Sonne, die Mauern grau, die Rahmen der
Fenster weiß, — aber daö Grün des Efeus rankt empor,
und der Glutrausch des wilden WeinS . . . bis hoch hin-
auf um daS Erkertürmchcn . . . Und hinter allem steigt
sanft der Hügel auf mit den dunklen Tannen. - —
Von der Seite herüber kommen Stimmen, wo ein
Eckchen deö Gärtnerhauses durchs Laub schaut. Kinder-
stimmen und dann auf einma! eine tiefe Frauenftimme.
Jch warte noch einen Augenblick; ein Kind, ein Knabe
in blauem Anzug mit bloßem Kopf und das gelbe lange
Haar flatternd, taucht aus dem Halbdunkel und zieht
hinter sich ein Wägelchen mit einem kleinen weißen
Mädchen — o so weiß! — grad scheint die blasse Sonne
auf ihr Gesicht, grad tropft ein roteS Blatt auf ihr
weißeö Häubchen . . . und die schöne Frauenstimme auö
der Tiefe — Wo seid ihr — Alexander? Es rauscht heran.
Jch ziehe mich zurück — ich wende mich und gehe die
Allee zurück. * *
*
An jedem dieser schönen Herbsttage, die überwölbt
sind von wolkenlosem, weißblauem Himmel, gehe ich
nun die Gutöallee. Mir fallcn Lieder ein von irgendwo:
„Dics ist der Herbst" — wenn sich dic Fülle in die nackte Leere
binüber neigt.
Dies ist der Herbst: die bunte volle Schwere
der Schönheit in dcn Parks und Gärtcn schweigt.
Auch dies:
Cin lcises Taumeln und Schwanken,
ein überladenes Booy
mit Bändern und bunten Gedanken
fährt die Erde ins Abendrot.
DaS ist mir einmal bei einem wunderschönen hohen
Abendrot eingefallen, aber ich weiß nicht, woher es
ftammt. Auch jenes andere summte mir ein paarmal
durch den Sinn:
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