Karl Goll.
Singhalesen.
Zu den Bildem von Karl Goll.
L ^icber Freund! Du hast dic Bilder von Goll nnr flüchtig sehen können nnd schreibst mir nnn, Du seiest zunächst
^ etwas enttäuscht gewesen, da dic aufsallcnd zartc Haltung dicser Landschaften und ihre manchinal wie verblasen
anmutende Malerei bci einzelnen Sachen dcn Eindruck eincr Schwäche gemacht habe, von der zwar ein seltsam
rührendes Mitgesühl an dem vermutlichcn Schicksal ihreS UrheberS ausgehe, die aber doch uninöglich alö cin be-
sondercs Verdienst angesthen werden könne. Doch seien dann allerdings auch Bilder dagewestn, die Dein Herz aus
den crsten Blick gcwonnen hättcn, malerisch überaus fcine Jmpressionen von unbcdingter Geschlosscnheit, die aller-
dingö durch cine bewußtere Organisation zu eincr noch größeren Tragkrast gesteigert werden könnte. Aber jedenfalls
seien dicse Bilder erfüllt von einer so mitreißendcn und erlösendcn Hingabe an daS Glück des Schauens und
NaturerlcbenS, daß du mm lebhaft gespannt seicst, Nähcrcs zu erfahren über eincn schwäbischen Landsmann,
über einen geborencn Stuttgartcr, der 45 Jahre alt werdcn mußte und schon ein Verschollener war, ehe sein Werk
nicht nur alö cine Bcsondcrheit, sondern als ein wahrhafteö Ruhmesblatt der hcimischcn Kunstgeschichte recht bekannt
gemacht wurde. Es scheint Dir, als liege in der LebenSlcistung dieses Malerö Karl Goll trotz mancher Beschränkiheit
eine geheime Größe, die jetzt schon unerschüttcrlich feststehe und die sicherlich auch jcnscits der schwarz-roten Grcnz-
psähle ihre stillen Freunde finden müsse. MancheS feine Wort, das Du unlängst in Stuttgarter Blättern gelescn,
sei Dir durch den Besuch diescr AuSstcllung ein lebcndiger Begriff geworden. Die Erinnerung an Golls „Sonntags-
morgen" (sarbige Tasel) oder an seine kleinen Stuttgarter Landschaften löse in der Tat dieselben Schwingungen in
Dir aus, die sich Dir mit dem Namen Mörike oder Hesse verbinden; wie Dir auch bei einem abendlichen Gang
oder beim Nachdcnken über ein feincs Buch oder übcr dem Erklingen cines gcliebtcn Stückes Golls gcmalte Er-
lebnisse als cin Stück DeineS bcstcn WesenS ganz unvermutet wieder vor die Augcn treten. Erfreulich sei es ferner,
daß diese Bilder nie an irgendwelche Modcströmungen oder an irgendein bcrühmtes Vorbild erinncrn; hier sei wieder
mal ein Maler auö eigener Krast nnd aus innerer Bestimmung, der denn auch fast bei jcdem neuen Bild von
einer neuen Seite sich zeigt, weil cr als schöpserisch begabrer Mensch eincr bcstimmten Manier oder eincm geläufigen
Schulrezept nicht vcrfallen kann.
Aber wie kann es dann, fragst Du mit Recht, möglich sein, daß dieser Mann Jahrzchnte hindurch dem
bitterstcn Elcnd prciögegebcn war, daß er, dessen tapsere Frau dem Vaterland unter zehn Kindern acht Söhnc
gcschenkt, gar oft nicht wußte, wo aus noch cin, daß er bis zum Ausbruch des Kriegcs sein kümmcrliches
Brot mit Tränen zu essen gezwungen war, während die Kreise, denen die Fördcrung der Kunst osfizicll obliegt,
trotz alledem sich nicht entschließen konnten, ihm ernstlich und dauernd zu einer noch so bescheidenen Lebens-
möglichkeit zu verhelfen. An diesem traurigen Schicksal, übcr dessen verwickcltcn Gang ich Dir berichten kann,
weil ich es aus des Malers eigenem Mund erfahren habe und von anderen bestätigt hörte, wird Dir alsbald klar
wcrden, daß der von Dir erhobene Vorwurf der Schwäche sich biS zu cinem gewissen Grade in sein Gegenteil
verwandelt, weil es geradezu staunenswert ift, wie dieser Mensch, der das Kreuz der Kunst mit tauscnd schmerzenö-
Z5Z
X/
l
Singhalesen.
Zu den Bildem von Karl Goll.
L ^icber Freund! Du hast dic Bilder von Goll nnr flüchtig sehen können nnd schreibst mir nnn, Du seiest zunächst
^ etwas enttäuscht gewesen, da dic aufsallcnd zartc Haltung dicser Landschaften und ihre manchinal wie verblasen
anmutende Malerei bci einzelnen Sachen dcn Eindruck eincr Schwäche gemacht habe, von der zwar ein seltsam
rührendes Mitgesühl an dem vermutlichcn Schicksal ihreS UrheberS ausgehe, die aber doch uninöglich alö cin be-
sondercs Verdienst angesthen werden könne. Doch seien dann allerdings auch Bilder dagewestn, die Dein Herz aus
den crsten Blick gcwonnen hättcn, malerisch überaus fcine Jmpressionen von unbcdingter Geschlosscnheit, die aller-
dingö durch cine bewußtere Organisation zu eincr noch größeren Tragkrast gesteigert werden könnte. Aber jedenfalls
seien dicse Bilder erfüllt von einer so mitreißendcn und erlösendcn Hingabe an daS Glück des Schauens und
NaturerlcbenS, daß du mm lebhaft gespannt seicst, Nähcrcs zu erfahren über eincn schwäbischen Landsmann,
über einen geborencn Stuttgartcr, der 45 Jahre alt werdcn mußte und schon ein Verschollener war, ehe sein Werk
nicht nur alö cine Bcsondcrheit, sondern als ein wahrhafteö Ruhmesblatt der hcimischcn Kunstgeschichte recht bekannt
gemacht wurde. Es scheint Dir, als liege in der LebenSlcistung dieses Malerö Karl Goll trotz mancher Beschränkiheit
eine geheime Größe, die jetzt schon unerschüttcrlich feststehe und die sicherlich auch jcnscits der schwarz-roten Grcnz-
psähle ihre stillen Freunde finden müsse. MancheS feine Wort, das Du unlängst in Stuttgarter Blättern gelescn,
sei Dir durch den Besuch diescr AuSstcllung ein lebcndiger Begriff geworden. Die Erinnerung an Golls „Sonntags-
morgen" (sarbige Tasel) oder an seine kleinen Stuttgarter Landschaften löse in der Tat dieselben Schwingungen in
Dir aus, die sich Dir mit dem Namen Mörike oder Hesse verbinden; wie Dir auch bei einem abendlichen Gang
oder beim Nachdcnken über ein feincs Buch oder übcr dem Erklingen cines gcliebtcn Stückes Golls gcmalte Er-
lebnisse als cin Stück DeineS bcstcn WesenS ganz unvermutet wieder vor die Augcn treten. Erfreulich sei es ferner,
daß diese Bilder nie an irgendwelche Modcströmungen oder an irgendein bcrühmtes Vorbild erinncrn; hier sei wieder
mal ein Maler auö eigener Krast nnd aus innerer Bestimmung, der denn auch fast bei jcdem neuen Bild von
einer neuen Seite sich zeigt, weil cr als schöpserisch begabrer Mensch eincr bcstimmten Manier oder eincm geläufigen
Schulrezept nicht vcrfallen kann.
Aber wie kann es dann, fragst Du mit Recht, möglich sein, daß dieser Mann Jahrzchnte hindurch dem
bitterstcn Elcnd prciögegebcn war, daß er, dessen tapsere Frau dem Vaterland unter zehn Kindern acht Söhnc
gcschenkt, gar oft nicht wußte, wo aus noch cin, daß er bis zum Ausbruch des Kriegcs sein kümmcrliches
Brot mit Tränen zu essen gezwungen war, während die Kreise, denen die Fördcrung der Kunst osfizicll obliegt,
trotz alledem sich nicht entschließen konnten, ihm ernstlich und dauernd zu einer noch so bescheidenen Lebens-
möglichkeit zu verhelfen. An diesem traurigen Schicksal, übcr dessen verwickcltcn Gang ich Dir berichten kann,
weil ich es aus des Malers eigenem Mund erfahren habe und von anderen bestätigt hörte, wird Dir alsbald klar
wcrden, daß der von Dir erhobene Vorwurf der Schwäche sich biS zu cinem gewissen Grade in sein Gegenteil
verwandelt, weil es geradezu staunenswert ift, wie dieser Mensch, der das Kreuz der Kunst mit tauscnd schmerzenö-
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