Paul Zrnsti Novcllendichtung.
Jn der ersten Sammlung „Die Prinzessin des Ostens"
(1903) sind es vorwiegend soziale Notwendigkeiten und
sittliche Konflikte, die den Dichter bewegen und ihm
Handlungen und Charaktere bieten; in der folgenden
Sammlung „Der Tod des Cosimo" sind die Helden
diesen sittlich-sozialen Konflikten schon mehr entrückt und
vielmehr Menschheitstypen in ihrem Konflikt unter-
einander, wobei die Darstellung notwendigerweise ins
Abstrakte und Dialektische gerät (vgl. etwa „Manto und
Sertilius"). Erst in der letzten Sammlung, „Die Hochzeit"
betitelt, werden aus den Menschheitstypen typische Ver-
treter reiner Menschlichkeit, wobei denn charakteristisch
genug die privaten Beziehungen der Menschen in Liebe,
Ehe und Familie und die festen Verhaltnisse von Jugend
und Alter in den Vordergrund treten. Das Technische,
nämlich der Aufbau der Novelle von der Situation her,
ist beibehalten, aber der Begriff der Situation hat sich
erweitert und vereinfacht: nicht mehr die soziale und
sittliche Situation, sondern die allgemeinen Lagen, in
denen aus der Menschennatur heraus Verwicklungen und
Spannungen entstehen, bilden jetzt den Rahmen. Ganz
folgerichtig wird das Lokalkolorit, das in den frühen
Novellen noch notwendig zur Schaffung der Situation
war, jetzt, je mehr das reine, zu allen Aeiten gleiche
Menschenwesen spricht, immer unwesentlicher, so daß
es gelegentlich sogar ironisch behandelt wird, so etwa in
der Geschichte „Die Entführung". „Jm sechzehnten
Jahrhundert, oder in einer anderen Zeit, in Spanien
oder in Jtalien, vielleicht auch in Frankreich, lebte bei
seinen Eltern als einziger Sohn ein Jüngling, welcher
den Namen Pamfilo hatte ..."
Wer von der höchsten Warte aus die Jrrungen und
Wirrungen des Menschenwesens überblickt, dem wird
das meiste so winzig erscheinen, daß es nur ein gütiges
Lächeln erregt; denn was den Menschen wichtig erscheint,
schöpst diese Wichtigkeit zumeist aus der Bedürftigkeit
der Menschennatur und aus der Enge des Blickes von
ihrem beschränkten Standort aus. Der Weise aber, der
die Nichtigkeit und Wichtigkeit alles Menschenwesens er-
kannt hat, kann am unbefangensten und mildesten dieses
ernsthafte und zugleich komische Wesen der Menschen dar-
stellen. Von Anfang an ist in der „Hochzeit" diese heitere
und überlegene Stellung des Dichters durch die ironische
Rahmenhandlung angedeutet. Diese ist auf die Vergeß-
lichkeit des Bräutigams, eines vertieften Gelehrten, auf-
gebaut, der zur eigenen Hochzeit den Aug versäumt.
Um die peinliche Ieit des Wartens abzukürzen, werden
bei der Tafel Novellen erzählt. Die ernsthaften Konflikte,
die aus der Vergeßlichkeit des Brautigams entstehen,
werden versöhnlich beigelegt, ja, gegen das Ende hin
geht die übermütige Laune des Dichters so weit, daß er
erklärt, er wolle die Fiktion der Rahmenhandlung nicht
pedantisch festhalten, sondern er, derDichter,sitze an seinem
Schreibtisch und schreibe vergnügt an seinen Novellen.
Wie die Empfindung des Dichters sich geläutert hat,
zeigt eine Vergleichung der drei Sammlungen: erst
werden die sozialen und sittlichen Probleme ernst und
männlich angefaßt, dann kommt ein Bewußtsein von der
Typik alles menschlichen Wesens über ihn, und schließlich
stellt er ohne Problematik, gütig lächelnd, das menschliche
Dasein in seinen Spannungen und Lösungen dar. Die
ersten Novellen sind vom Erleber her gestaltet, die späte-
ren vom Betrachter her, der den Umkreis menschlicher
Empfindungen durchmessen hat, und nun, unberührt von
Leidenschaft, gleichsam aus dem Kreise der Menschheit
ausgeschieden, das Wesen des Menschlichen in seinen ur-
sprünglichen Beziehungen darstellen kann.
IV.
Vernünftiges Handeln ergibt sich nur aus der Situa-
tion, nicht aus den Spielen der Theorie, nicht aus den
blinden Trieben der Empfindung. Diese simple Wahr-
heit, welche etwa auch unser modernes Kunstgewerbe
mit seinem Ausgehen vom Iweck des Gegenstandes er-
kannt hat, bringt P. Ernst wieder zur Geltung. Wohl
kann die schweifende Empfindung angenehme Träume-
reien oder phantastische Bizarrerien erzeugen, wohl kann
die Theorie Jnteressantes ausklügeln, geformtes Leben
schafft nur die Vernunft, die sich aus der Situation er-
gibt. Von hier aus versteht sich das Ethos des Dichters:
der Mensch sei sich selber treu und frage nicht zuviel nach
dem Zwecke seines Handelns, denn nicht um dieses oder
jenes Aweckes willen handeln wir, sondern kraft innerster
Notwendigkeit, so wie ein Baum auch nicht blüht und
Früchte bringt um eines Aweckes willen, der außer ihm
liegt, sondern weil er nicht anders kann als blühen und
Früchte bringen. Unbeirrt von wurzelloser Theorie, aber
auch nicht überredet von rascher wechselnder Empfindung,
auf die innerste Stimme lauschend, so stellen sich die Helden
Ernstscher Novellen vor und so sollte der Mensch leben.
Nach drei Richtungen hin bedeutet P. Ernsts No-
vellendichtung eine Erneuerung: er hat, historisch be-
trachtet, durch Theorie und Praris den Blick für die
Kunstform der Novelle geschärft; er hat in technischer
Hinsicht das Geschehen, die Situation wieder in das
Aentrum der erzählenden Dichtweise gesetzt und das
Psychologische und Malerische wieder an ihre Neben-
stellen gewiesen. Er hat endlich dichterisch das Weltbild
unserer Zeit gestaltet und als Dichter die Qualen und
Unsicherheiten der Aeit erlebt und in der Gestaltung
gelöst. Die Verwirrung der Aeit, die deshalb so groß ist,
weil auf der einen Seite die objektiven Verbände, in
denen srühere Menschen unabänderlich festgebannt
waren und aus denen ihnen ihre Lebensziele und Lebens-
formen erwuchsen, gelockert oder vernichtet sind — und
weil auf der anderen Seite die ganz innerliche Erkenntnis
vom rechten Wege, den jeder gemäß seinem innersten
Wesen gehen muß, noch nicht wirksam in den Menschen
ist. Dies aber zeigt der Dichter: nicht einheitliche Aiele
gibt es, außer dem einen, sich selber treu zu sein im Guten
wie im Bösen, ehrlich das Seine zu tun an dem Platze,
wohin einen jeden das Schicksal stellte, und für das
andere Gott sorgen zu lassen. Or. Werner.
Vorhof der Schlacht.
Von Paul Iech.
Ja, es gibt noch ein paar Weiler hier; blütenweiß
aus den herbstgeschwärzten Wellungen der Acker steigend.
Die Wipfel der Kastanien noch nicht abgesägt von wüten-
den Stahlsplittern. Die Spaliere noch zierlich bis in den
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Jn der ersten Sammlung „Die Prinzessin des Ostens"
(1903) sind es vorwiegend soziale Notwendigkeiten und
sittliche Konflikte, die den Dichter bewegen und ihm
Handlungen und Charaktere bieten; in der folgenden
Sammlung „Der Tod des Cosimo" sind die Helden
diesen sittlich-sozialen Konflikten schon mehr entrückt und
vielmehr Menschheitstypen in ihrem Konflikt unter-
einander, wobei die Darstellung notwendigerweise ins
Abstrakte und Dialektische gerät (vgl. etwa „Manto und
Sertilius"). Erst in der letzten Sammlung, „Die Hochzeit"
betitelt, werden aus den Menschheitstypen typische Ver-
treter reiner Menschlichkeit, wobei denn charakteristisch
genug die privaten Beziehungen der Menschen in Liebe,
Ehe und Familie und die festen Verhaltnisse von Jugend
und Alter in den Vordergrund treten. Das Technische,
nämlich der Aufbau der Novelle von der Situation her,
ist beibehalten, aber der Begriff der Situation hat sich
erweitert und vereinfacht: nicht mehr die soziale und
sittliche Situation, sondern die allgemeinen Lagen, in
denen aus der Menschennatur heraus Verwicklungen und
Spannungen entstehen, bilden jetzt den Rahmen. Ganz
folgerichtig wird das Lokalkolorit, das in den frühen
Novellen noch notwendig zur Schaffung der Situation
war, jetzt, je mehr das reine, zu allen Aeiten gleiche
Menschenwesen spricht, immer unwesentlicher, so daß
es gelegentlich sogar ironisch behandelt wird, so etwa in
der Geschichte „Die Entführung". „Jm sechzehnten
Jahrhundert, oder in einer anderen Zeit, in Spanien
oder in Jtalien, vielleicht auch in Frankreich, lebte bei
seinen Eltern als einziger Sohn ein Jüngling, welcher
den Namen Pamfilo hatte ..."
Wer von der höchsten Warte aus die Jrrungen und
Wirrungen des Menschenwesens überblickt, dem wird
das meiste so winzig erscheinen, daß es nur ein gütiges
Lächeln erregt; denn was den Menschen wichtig erscheint,
schöpst diese Wichtigkeit zumeist aus der Bedürftigkeit
der Menschennatur und aus der Enge des Blickes von
ihrem beschränkten Standort aus. Der Weise aber, der
die Nichtigkeit und Wichtigkeit alles Menschenwesens er-
kannt hat, kann am unbefangensten und mildesten dieses
ernsthafte und zugleich komische Wesen der Menschen dar-
stellen. Von Anfang an ist in der „Hochzeit" diese heitere
und überlegene Stellung des Dichters durch die ironische
Rahmenhandlung angedeutet. Diese ist auf die Vergeß-
lichkeit des Bräutigams, eines vertieften Gelehrten, auf-
gebaut, der zur eigenen Hochzeit den Aug versäumt.
Um die peinliche Ieit des Wartens abzukürzen, werden
bei der Tafel Novellen erzählt. Die ernsthaften Konflikte,
die aus der Vergeßlichkeit des Brautigams entstehen,
werden versöhnlich beigelegt, ja, gegen das Ende hin
geht die übermütige Laune des Dichters so weit, daß er
erklärt, er wolle die Fiktion der Rahmenhandlung nicht
pedantisch festhalten, sondern er, derDichter,sitze an seinem
Schreibtisch und schreibe vergnügt an seinen Novellen.
Wie die Empfindung des Dichters sich geläutert hat,
zeigt eine Vergleichung der drei Sammlungen: erst
werden die sozialen und sittlichen Probleme ernst und
männlich angefaßt, dann kommt ein Bewußtsein von der
Typik alles menschlichen Wesens über ihn, und schließlich
stellt er ohne Problematik, gütig lächelnd, das menschliche
Dasein in seinen Spannungen und Lösungen dar. Die
ersten Novellen sind vom Erleber her gestaltet, die späte-
ren vom Betrachter her, der den Umkreis menschlicher
Empfindungen durchmessen hat, und nun, unberührt von
Leidenschaft, gleichsam aus dem Kreise der Menschheit
ausgeschieden, das Wesen des Menschlichen in seinen ur-
sprünglichen Beziehungen darstellen kann.
IV.
Vernünftiges Handeln ergibt sich nur aus der Situa-
tion, nicht aus den Spielen der Theorie, nicht aus den
blinden Trieben der Empfindung. Diese simple Wahr-
heit, welche etwa auch unser modernes Kunstgewerbe
mit seinem Ausgehen vom Iweck des Gegenstandes er-
kannt hat, bringt P. Ernst wieder zur Geltung. Wohl
kann die schweifende Empfindung angenehme Träume-
reien oder phantastische Bizarrerien erzeugen, wohl kann
die Theorie Jnteressantes ausklügeln, geformtes Leben
schafft nur die Vernunft, die sich aus der Situation er-
gibt. Von hier aus versteht sich das Ethos des Dichters:
der Mensch sei sich selber treu und frage nicht zuviel nach
dem Zwecke seines Handelns, denn nicht um dieses oder
jenes Aweckes willen handeln wir, sondern kraft innerster
Notwendigkeit, so wie ein Baum auch nicht blüht und
Früchte bringt um eines Aweckes willen, der außer ihm
liegt, sondern weil er nicht anders kann als blühen und
Früchte bringen. Unbeirrt von wurzelloser Theorie, aber
auch nicht überredet von rascher wechselnder Empfindung,
auf die innerste Stimme lauschend, so stellen sich die Helden
Ernstscher Novellen vor und so sollte der Mensch leben.
Nach drei Richtungen hin bedeutet P. Ernsts No-
vellendichtung eine Erneuerung: er hat, historisch be-
trachtet, durch Theorie und Praris den Blick für die
Kunstform der Novelle geschärft; er hat in technischer
Hinsicht das Geschehen, die Situation wieder in das
Aentrum der erzählenden Dichtweise gesetzt und das
Psychologische und Malerische wieder an ihre Neben-
stellen gewiesen. Er hat endlich dichterisch das Weltbild
unserer Zeit gestaltet und als Dichter die Qualen und
Unsicherheiten der Aeit erlebt und in der Gestaltung
gelöst. Die Verwirrung der Aeit, die deshalb so groß ist,
weil auf der einen Seite die objektiven Verbände, in
denen srühere Menschen unabänderlich festgebannt
waren und aus denen ihnen ihre Lebensziele und Lebens-
formen erwuchsen, gelockert oder vernichtet sind — und
weil auf der anderen Seite die ganz innerliche Erkenntnis
vom rechten Wege, den jeder gemäß seinem innersten
Wesen gehen muß, noch nicht wirksam in den Menschen
ist. Dies aber zeigt der Dichter: nicht einheitliche Aiele
gibt es, außer dem einen, sich selber treu zu sein im Guten
wie im Bösen, ehrlich das Seine zu tun an dem Platze,
wohin einen jeden das Schicksal stellte, und für das
andere Gott sorgen zu lassen. Or. Werner.
Vorhof der Schlacht.
Von Paul Iech.
Ja, es gibt noch ein paar Weiler hier; blütenweiß
aus den herbstgeschwärzten Wellungen der Acker steigend.
Die Wipfel der Kastanien noch nicht abgesägt von wüten-
den Stahlsplittern. Die Spaliere noch zierlich bis in den
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