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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 8
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Dünwald, Willi: Duci von Kerekjártó
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Kuckhoff, Adam: Mohn
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0298

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uci von Kerekjärto.

Von Willi Dünwald.

Von einem Bilde mit eincm Kindcrgesicht, darin ju lcsen
stand davon, was für Gewalten, herstammcnd aus dem cincn,
das Leben wcitergebcnden, aber sich unendlich vervielfacht haben-
den Urtriebc, in uns Menschen wirksam sind, von dicsem Bildc
mächtig angezogen, war ich zu dem gcgangcn, dem diescs Kindcr-
gesicht gchdrte: zu dcm vierzchnjährigen Duci von Kcrekjärtä aus
Budapest. Jhm gegenüber las ich nicht anders dcnn ich im Bildc
gclesen, und als er sodann die Gcige hob und meisterte, ja
meistcrte, da entäußerte sich dicse Seele noch entschiedener alS
in der physiognomischen Schrift, die mich so angezogen hatte.
Und also bekam mcine Lesart noch einmal recht. Nicht, als ob
diesc Lesart dahin gelautet, dieses junge Mcnschenkind selbst wiffc
schon von diesem Leben mit scinen Glückeshöhen, Lcidcstiefen und
den dazwischcn licgenden mannigfaltigen Jrrsalen; solche Jnschrift
in den Zügen eincs so jungcn, noch vor allem Erlcbnis stchenden
Mcnschen konnte nur die Registrierung scin von Vorgelcbtcn, von
denen cr — wer weiß als daS wicvielte Glied in dcr langcn
Kette — das Leben bekommen hatte. Und so konnte denn auch
dic künstlerische Cntäußerung keine bewußte sein, da dieser Duci
von Kcrekjärtä Lalos Lxmphonis espsxnole, Beethovens Nomanze
in O-Dur und Händel-Hubays Larghetto geigte. Da wußte cr
nichts von sich und seinem Lcben; scin Gesicht, sein an dic Geige
voll Hingebung angelchntes Gesicht, war das Gesicht eineS schlafen-
den, schwer träumcnden KindcS, auf dem die gleiche unbekannte
Macht aufgespiegelt lag, dic seinc Linke befähigte, so sicher in
die Saitcn zu greifcn, und scinc Ncchte, so kühn den Bogcn zu
streichen. Aber auS diesem Traumzustand, dcr sich auSwuchs zu
Ekstascn, klagten und schrien Menschen — wcr wciß aus welchen
Zciten — all ihre uns so bckanntcn menschlichen Jnbrünstc des
Leibes und der Seele herauS, so daß dcn H'örer Schaucr überkam,
den Goethe wohl darum der Menschheit besten Teil nannte, wcil
die VorauSsctzung dazu das großc Mitcrlcbnis ist. Ja, so viel
Leid war in dieser Musik, daß selbst die Tonhumoreskc von
A. Dvorak in ergreifender Wehmut vcrblicb, wohl, weil solch
ein Bluterbe daS schwerste aller Erbschaften ist und einer Humo-
reSkc spitzfindigc Hcitcrkeitcn, dic weit wcgab liegen von den
tragischen Tiefen des Humors, nicht in sich aufzunehmen vcrmag.
Als das Spicl zu Ende, Bogen und Jnstrument sich senkten, die
Entspannung eingetrcten, der Traumzustand aufgehoben war, da
blickte wohl ein Kindergesicht mit etwas verwundcrten Augen
neugierig in dcn Zuschauerraum hinein, aber! in dcm Gesicht ver-
blieb doch dcr süßhcrbe Schmerz unbewußt nachempfundener Er-
lebnisse, und in dcn Augcn eine sinnlichc Schwcrmut der Rllck-
crinnerungen an Begcbenheiten, die der eigcnc Körpcr und die
eigenc Seele noch nie genoffen.

Dies Creignis, es ward mir zum zwiefachen Gleichnis. Die
Kunst dicscs jungcn Duci von Kerekjärtä nämlich, sie wurdc mir
zu einer Gleichniskunst fllr die Kunst übcrhaupt, und sein Lebcn,
dorther diese Kunst stammt, zu einem Gleichnisleben. Dies, wcil
doch allc Kunst schlicßlich cine solche, fllr den Gebcr unverant-
wortliche Angclcgcnhcit scincs Unterbewußtseins ist, u»d weil doch
alles Schaffcn letzthin ein Schlafwandeln ist und cin Traumtun,
bei dem der Jntellckt eine fast instinktive Kontrolle übt; dies,
wcil doch dieseS Lcbcn sclbst, unser aller Lcben, auch wenn cs
nicht umgeformt und erhöht ist zu Kunst, nichts andcrs ist denn
cin Zustand dcs Schlafwandclns und deS TraumtunS, in dem
uns gcheißen ist, waS wir zu wünschen haben und zu wollen,
dcnn im Blute tragcn wir die Bcstimmung unscrer Erzcugcr bis
zurück inS wer wciß wicvieltc Geschlecht. Wic in diesem Duci
von Kerckjärtä crwachcn auch in uns dic Totcn, und cr und wir
werden, so er und wir zcugend das gegcbcne Leben weitcrgebcn,
als Tote crwachen in irgendwem, odcr werden, noch bcffcr gc-
sagt, wach bleiben in vielen, so daß wir mit Faust sprcchen können:
cs wird die Spur von unsercn Erdcntagen nicht in Aeonen unter-
gehen. Dics ist gcwiß cin Mirakel und so sind wir alle Kinder
eincs großen Wunders, des Wunders der Zeugung und der Ver-
crbung. Nur insoweit soll man auch von Duci von Kcrekjärtä
als von einem Wundcrkinde reden; dcr Untcrschied zwischen ihm

und unS besteht nur in der frühen und bcsondcrs sinnfälligen
Sichtbarwcrdung diescs Wunders.

Was aber geerbt wurdc, daS hat, auch in geistigcr Hinsicht,
noch immer dic Mcnschen gesondcrt. Und so gibt cs Armc im
Geistc, Reiche und Mittelständlcr, worunter nach biblischcr Weis-
hcit die ersten die Seligen sind. Duci von Kerckjärtä aber, weil
zu den Ncichen im Gciste zählbar, wird schon jetzt, und mehr
noch später in reiferer Lcbcnszeit, des Rcichtums Unseligkeit an
sich verspüren. Auch wird, angelockt von diescs Reichtums Dämonie,
vielfachc Gefahr, darunter als höchste und größtc die sinnliche
Ncugier dcr Frauen, ihn vcrfolgen und umstellen. Gott schütze
dich, bat und flchte wohl darum ein ahnend zitternd Gemüt in
Goldschrift auf rotcr Seide, die als Schleife einem Lorbcerkranz
zugehörig war, der zu des Knaben Füßen hingelegt wurde. Nicht
mit goldcnen Lcttern auf roter Seide und weniger fromm, abcr
nicht minder inbrllnstig will ich sprechen! Möge es dir wohl-
ergchcn auf Crden, Duci von Kcrckjärtü, so wohl, als dics mög-
lich sein kann, bei einem Erben und Cnkel dunkler Gewalten
wic du.

Dies Land hat Blut gctrunkcn. Aber dic Erdc war durstig
und sog cs auf. Trockner Staub läuft am Boden über die Land-
straßc, und der Mittagswind wirft Wellcn in das hochstchcnde
Korn. Kein Zcichcn, wie dic vorjährige Frucht auf diesen leichtcn
Anhöhen von vorjagenden Schwadronen überrannt wurde, wie es
zusammenpralltc, schrie und starb. Nur ein paar Kreuze hier
und da, nur irgcndwo cinc Aufschllttung, wic »om Atmen dcr
mit Trauer erfüllten Brust der Erdc: cin Maffengrab voll früh
niedergeschüttelter Menschenfrucht. Aber kein Blut.

Bis man auf cinem Hügel steht und hinaussieht aus dcn
Fenstcrhöhlcn der ricsigen alten zcrfallenen Burg. Weit licgt das
Land. HLHen und Höhen und Höhen. Auf der letztcn, dic den
Horizont randct, stcht der Krieg. Lcisc murrt cr im Abcnd herüber.

Mit einem Malc sieht man cs übcrall. Es quillt hervor, in
kleinen Flecken, in breiten Lachen. Rinnt um eine Bcrgkuppc.
Stcht zwischen grünen Halmen. Überall das gewachsenc Blut.

Nie hat der Mohn in Frankreich so geblüht wie in diescm
Iahrc. Mit so überschwcnglich fcurigcr Pracht. So in weiten
Flächcn, so überall — daß man unwillkllrlich mit dcn Augen
suchen würdc, fehlte cr irgendwo. Jch sah ihn, als es mich hincin-
führte in dieses Land, zur Rechten und zur Linken, ich sah ihn
auf dcn Wällcn des zcrschmcttcrten Forts, um dic Nuinen zer-
schoffener DLrfer. Und als ich durch unscre vordersten Linien
ging, war er auf beidcn Seiten dcs Grabcns, blutrot zu meinen
Häupten, indcs in dem wolkenlos blauen Himmcl darübcr die
weißcn Wölkchcn der Geschoffe standcn und vcrgingen.

Purpurn wie nie. Jmmer aber traurig. Jch vergeff« das
nicht, wie er sich herumdrängtc um die wenigcn zärtlich gepflegten
Gräbcr obcn auf dcr HLHe vor Soiffons. Wir saßcn und hörten
auf das Singcn der Granatcn, die zur Rcchten ihreS Weges
fuhrcn, hatten die Händc jeder an einS der steinerncn Kreuze gc-
lcgt, und ich sprach:

„Schluchzt, ihr Flöten, klagt, ihr Geigcn,
blüht mein Hcrz auch rot wic Mohn,
zum Cocytus muß ich steigcn,
klagt, ihr Flöten, schluchzt, ihr Geigen,
und zum schwarzen Fleggethon!"

— Und in einem der vorderstcn Gräbcn stand cin Mann seit
langen harrenden Tagen. Mit einem Malc wolltc er von dem
rotcn Mohn dort drübcn für seine untätigen Händc. Auf dem
Bauch kroch er hin. — Da schüttcrte cs, Erde übcrsprihtc ihn.
Als cr in den Graben zurückkehrtc, lagcn Totc da. Einc Granatc
war hincingesprungcn, gcradc an dcr Stcllc, di« ihm gchörte. §r
stand und sah nieder, und seinc Fingcr zerrupften den rotcn Mohn,
dcn er in Händcn hiclt, und in rotcn Tropfcn sank es hinab
und lag am Boden ncben dem rotcn Blut, das aus dcn totcn
Gliedcrn seiner Brüder quoll.

Verantwortlich: Wilhelm SchLfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Düsseldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Ianders, B.-Gladbach.
Gedruckt mit Farben der Chr. Hostmann - Steinbergschen Farbenfabriken, G. m. b. H., Celle (Hannover).

Alle redaktionellen Sendungen sind an den Herausgeber Wilhelm Schäfer in Vallendar a. Rh. erbeten.

Für unverlangte Manuskripte und Rezensionsexemplare wird keine Verpflichtung übernommen. Rückporto ist beizulegen.
 
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