Gedanken über den Städtebau.
edanken über den Städtebau.
Augleich ein Beitrag zu
der Gleichung: Aweckmäßigkeit und Schönheit.
Kein Ding schwebt in der Luft, und nichts besteht
allein auf Grund seiner selbst, sondern alle Einzel-
erscheinungen sind verankert in dem einen gemeinsamen
Boden, der sozusagen das Urgesetz aller Dinge ist, auf
das alle noch so verschiedene Gestaltungen des Lebens
letzten Endes zurückgehen. Und so ist es erforderlich,
zuerst diese Quellgebiete der Sache, die untersucht
werden soll, klar zu übersehen.
Man hat sich in unseren Tagen daran gewöhnt,
es als ausgemachte Tatsache hinzunehmen, daß man den
Begriff des Kunstschönen nicht fassen könne, — denn
die Auffassungen von der Schönheit seien ebenso zahl-
reich, wie die betrachtenden Augen — und, das Merk-
würdigste, ein jeder von diesen Begriffen sei mehr oder
weniger berechtigt. Wie alles andere, so kann ma» auch
diese Gedankengange bis ins Allgemeine hinein zurück-
verfolgen. Iuerst hat man alles Verständnis verloren
für das Gesetzmäßige. Man sieht die Freiheit als das
erste an und das Allgemeingültige, Ewigbindende als
das zweite, während doch Freiheit und selbständige
Verschiedenheit erst durch die Grundverkettung im all-
gemein Feststehenden begründet und gewährleistet wird.
Und während die Wissenschaft jene Welterklärung, wo-
nach die Erde im Mittelpunkte des Alls stehen soll, längst
fallen ließ, hat man innerhalb des anderen Rings der
Geisterwelt an dieseni veralteten Grundsatz in Denken
und Leben festgehalten. Die Kunst ist am schlechtesten
dabei gefahren. Denn gerade ihr innerstes Wesen ist
es, daß sie über, wenn man will, unter dem Einzelgeist
steht. Sie hat die Macht auszudrücken — nicht die ver-
rinnende Erscheinung, — sondern deren Grundlage,
deren unverrückbar feststehende Grund- und Wesensform;
nicht die Natur, sondern die vom Aufälligen und Ver-
wehenden gereinigte Ubernatur. Und die Erscheinung
hat nur insoweit Berechtigung in der Kunst, als sie durch
irgendeine zufällige Eigenart mithilft, die Form heraus-
zuarbeiten. Da liegt der Grund, weshalb ein echtes
Kunstwerk wie mit Geisteraugen in die Welt sieht, un-
nahbar, wie ein Gestalt gewordener Gottgedanke, und
doch dem Jnnersten, Größten in uns und dem Leben
unheimlich wesensverwandt. Grund und Iiel der Natur,
nicht Natur ist die Kunst. In jedem ehrlich geschaffenen
Kunstwerk läßt sich das nachweisen ^— Figaros Hochzeit,
Grüner Heinrich, Fünfte Sinfonie; man mag nehmen,
was man will. Auf dem Grund der entgegengesetzten
Kunstauffassung steht — nicht das Schaffen unserer
großen Künstler, aber ihre Beurteilung durch die Menge.
Dazu kommt ein Neues: die faule Hast des Lebens.
Die Menschen sind zu bequem, langsamer, bedenksamer
zu gehen und ruhiger zu leben, sie lassen sich lieber dahin-
treiben wie eine Maschine in seelenloser Hast. Deshalb
ist man einerseits zu bequem, sich von allem Einfluß
freizumachen, und hinabzudenken auf den Grund der
Dinge; lieber spricht man nach, was alle sagen. Ander-
seits wagt man nicht, folgerichtig vorzudenken, die Ge-
danken bis an ihr natürliches Iiel zu verfolgen. So
entsteht Halbheit und ansteckende Denkstille; weil es
viel bequemer und schmeichelhafter ist, den Geschmack
in der Kunst als berechtigt zu erklären, — deshalb bleibt
man dabei. Die Kunst kennt keinen Geschmack in diesem
Sinne, nur Gesetz. Was man den persönlichen Geschmack
nennt, hat mit dem Kunstwerk an sich nichts zu tun. Der
Geschmack ist vielleicht maßgebend für die Wahl des
Gegenstandes, den Jnhalt. Und daß mit dem Jnhalt
nicht einmal die kleinste Vorbedingung der Kunst ge-
geben ist, bestreitet kein Künstler. Haydn hat über Mozart
gesagt: „Bei Gott und so wahr ich ein ehrlicher Mann
bin: Mozart ist der größte Musiker; er hat Geschmack und
besitzt die größten Kenntnisse der Komposition." Diese
Ieit ist heute wohl vorbei. Den gewaltigen Jnhalt
der reinen Form wissen wir nicht mehr so recht zu schätzen.
Jm besten Falle wird Form verwechselt mit geschmeidiger,
angenehmer Glätte, und man glaubt einen Emanuel
Geibel ein „Formtalent" nennen zu müssen. Denn das
einmütige Wissen uni die allgemeine Gültigkeit der
großen Kunstgesetze ist verloren gegangen, und trotz
Herrn Ostwalds „Monismus" hat sich der „Dualismus"
schärfer ins Leben hineingeschnitten, als zu den Ieiten
verschrieenster Scholastik. Alle Welt teilt sich in Jch und
Du. Das Jch ist die große Welt, das große, millionen-
köpfige Du — die kleine Welt. Und nun das Merk-
würdigste, das Traurigste an dieser weiten Ierrissenheit:
man wird sich ihrer nicht bewußt, und versucht in vollem
Ernst, einen anscheinend durch die Not der Verhältnisse
und den Drang der Ieit gegebenen Iwiespalt als natur-
notwendig hinzustellen, als Kluft, über die es keine
Brücke geben kann und darf. Eine solche Kluft gähnt
zwischen dem Iweckmäßigen und dem Schönen. Wes-
halb? Was ist Iweckmäßigkeit? Ganz gleichgültig.
Die eigene Sehnsucht wird niedergezwungen. Das
Schöne muß ja an sich zweckloser Unsinn sein, ein alter,
abgetaner Gassenhauer. Das „Lied aus Eisen" istTrumpf.
Anders kann und darf es nicht sein: Iweckmäßigkeit und
Schönheit sind feindliche Brüder. So ist die Weltan-
schauung von dem Einen dem zersplitternden ewig
Iweiheit-Denken gegenübergestellt. Und inimer tiefer
wird der Karren verfahren. Statt die Not zu heben,
wird sie als Muß und Soll und so und nicht anders
hingestellt. Das ist wohl eine heillose Verblendung.
Der Wahn und Iwiespalt wird immer größer durch ein
solches Denken. Hier Iweck, bewußte Nutzbestimmung —
hier ein Abseitsliegendes für schöne Seelen, ein An-
genehmes zur Augenweide. So kommt es, daß nur die
eine Hälfte sich weiter entwickelt: die Welt der Iweck-
mäßigkeit. Die andere liegt still. Man weiß nichts mit
ihr anzufangen, weil sie sich in strenges, zielbewußtes
Leben nicht einreihen läßt; das Iiel der Kunst und das
der zwecksicheren Welt sind zwei ganz voneinander
abliegende Gebiete, Sterne ohne jede Verbindung. Und
die Welt des „eisernen Liedes" steht der Kunst kindisch-
hilflos gegenüber. So ist es gekommen, daß das Orna-
ment zum Iierat wurde, die Giebel und Gesimse zu
wahnwitzigen Ansammlungen gotischer, romanischer und
Renaissance-Motive, — um nur zwei Beispiele heraus-
zugreifen. Denn die Kunst liegt abseits vom drängenden
Wege des Lebens. Man hat es fast verlernt, sie sinn-
und zweckgemäß in den einen großen Strom einzu-
gliedern. Und so muß sie naturgemäß zum „Lurus"
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edanken über den Städtebau.
Augleich ein Beitrag zu
der Gleichung: Aweckmäßigkeit und Schönheit.
Kein Ding schwebt in der Luft, und nichts besteht
allein auf Grund seiner selbst, sondern alle Einzel-
erscheinungen sind verankert in dem einen gemeinsamen
Boden, der sozusagen das Urgesetz aller Dinge ist, auf
das alle noch so verschiedene Gestaltungen des Lebens
letzten Endes zurückgehen. Und so ist es erforderlich,
zuerst diese Quellgebiete der Sache, die untersucht
werden soll, klar zu übersehen.
Man hat sich in unseren Tagen daran gewöhnt,
es als ausgemachte Tatsache hinzunehmen, daß man den
Begriff des Kunstschönen nicht fassen könne, — denn
die Auffassungen von der Schönheit seien ebenso zahl-
reich, wie die betrachtenden Augen — und, das Merk-
würdigste, ein jeder von diesen Begriffen sei mehr oder
weniger berechtigt. Wie alles andere, so kann ma» auch
diese Gedankengange bis ins Allgemeine hinein zurück-
verfolgen. Iuerst hat man alles Verständnis verloren
für das Gesetzmäßige. Man sieht die Freiheit als das
erste an und das Allgemeingültige, Ewigbindende als
das zweite, während doch Freiheit und selbständige
Verschiedenheit erst durch die Grundverkettung im all-
gemein Feststehenden begründet und gewährleistet wird.
Und während die Wissenschaft jene Welterklärung, wo-
nach die Erde im Mittelpunkte des Alls stehen soll, längst
fallen ließ, hat man innerhalb des anderen Rings der
Geisterwelt an dieseni veralteten Grundsatz in Denken
und Leben festgehalten. Die Kunst ist am schlechtesten
dabei gefahren. Denn gerade ihr innerstes Wesen ist
es, daß sie über, wenn man will, unter dem Einzelgeist
steht. Sie hat die Macht auszudrücken — nicht die ver-
rinnende Erscheinung, — sondern deren Grundlage,
deren unverrückbar feststehende Grund- und Wesensform;
nicht die Natur, sondern die vom Aufälligen und Ver-
wehenden gereinigte Ubernatur. Und die Erscheinung
hat nur insoweit Berechtigung in der Kunst, als sie durch
irgendeine zufällige Eigenart mithilft, die Form heraus-
zuarbeiten. Da liegt der Grund, weshalb ein echtes
Kunstwerk wie mit Geisteraugen in die Welt sieht, un-
nahbar, wie ein Gestalt gewordener Gottgedanke, und
doch dem Jnnersten, Größten in uns und dem Leben
unheimlich wesensverwandt. Grund und Iiel der Natur,
nicht Natur ist die Kunst. In jedem ehrlich geschaffenen
Kunstwerk läßt sich das nachweisen ^— Figaros Hochzeit,
Grüner Heinrich, Fünfte Sinfonie; man mag nehmen,
was man will. Auf dem Grund der entgegengesetzten
Kunstauffassung steht — nicht das Schaffen unserer
großen Künstler, aber ihre Beurteilung durch die Menge.
Dazu kommt ein Neues: die faule Hast des Lebens.
Die Menschen sind zu bequem, langsamer, bedenksamer
zu gehen und ruhiger zu leben, sie lassen sich lieber dahin-
treiben wie eine Maschine in seelenloser Hast. Deshalb
ist man einerseits zu bequem, sich von allem Einfluß
freizumachen, und hinabzudenken auf den Grund der
Dinge; lieber spricht man nach, was alle sagen. Ander-
seits wagt man nicht, folgerichtig vorzudenken, die Ge-
danken bis an ihr natürliches Iiel zu verfolgen. So
entsteht Halbheit und ansteckende Denkstille; weil es
viel bequemer und schmeichelhafter ist, den Geschmack
in der Kunst als berechtigt zu erklären, — deshalb bleibt
man dabei. Die Kunst kennt keinen Geschmack in diesem
Sinne, nur Gesetz. Was man den persönlichen Geschmack
nennt, hat mit dem Kunstwerk an sich nichts zu tun. Der
Geschmack ist vielleicht maßgebend für die Wahl des
Gegenstandes, den Jnhalt. Und daß mit dem Jnhalt
nicht einmal die kleinste Vorbedingung der Kunst ge-
geben ist, bestreitet kein Künstler. Haydn hat über Mozart
gesagt: „Bei Gott und so wahr ich ein ehrlicher Mann
bin: Mozart ist der größte Musiker; er hat Geschmack und
besitzt die größten Kenntnisse der Komposition." Diese
Ieit ist heute wohl vorbei. Den gewaltigen Jnhalt
der reinen Form wissen wir nicht mehr so recht zu schätzen.
Jm besten Falle wird Form verwechselt mit geschmeidiger,
angenehmer Glätte, und man glaubt einen Emanuel
Geibel ein „Formtalent" nennen zu müssen. Denn das
einmütige Wissen uni die allgemeine Gültigkeit der
großen Kunstgesetze ist verloren gegangen, und trotz
Herrn Ostwalds „Monismus" hat sich der „Dualismus"
schärfer ins Leben hineingeschnitten, als zu den Ieiten
verschrieenster Scholastik. Alle Welt teilt sich in Jch und
Du. Das Jch ist die große Welt, das große, millionen-
köpfige Du — die kleine Welt. Und nun das Merk-
würdigste, das Traurigste an dieser weiten Ierrissenheit:
man wird sich ihrer nicht bewußt, und versucht in vollem
Ernst, einen anscheinend durch die Not der Verhältnisse
und den Drang der Ieit gegebenen Iwiespalt als natur-
notwendig hinzustellen, als Kluft, über die es keine
Brücke geben kann und darf. Eine solche Kluft gähnt
zwischen dem Iweckmäßigen und dem Schönen. Wes-
halb? Was ist Iweckmäßigkeit? Ganz gleichgültig.
Die eigene Sehnsucht wird niedergezwungen. Das
Schöne muß ja an sich zweckloser Unsinn sein, ein alter,
abgetaner Gassenhauer. Das „Lied aus Eisen" istTrumpf.
Anders kann und darf es nicht sein: Iweckmäßigkeit und
Schönheit sind feindliche Brüder. So ist die Weltan-
schauung von dem Einen dem zersplitternden ewig
Iweiheit-Denken gegenübergestellt. Und inimer tiefer
wird der Karren verfahren. Statt die Not zu heben,
wird sie als Muß und Soll und so und nicht anders
hingestellt. Das ist wohl eine heillose Verblendung.
Der Wahn und Iwiespalt wird immer größer durch ein
solches Denken. Hier Iweck, bewußte Nutzbestimmung —
hier ein Abseitsliegendes für schöne Seelen, ein An-
genehmes zur Augenweide. So kommt es, daß nur die
eine Hälfte sich weiter entwickelt: die Welt der Iweck-
mäßigkeit. Die andere liegt still. Man weiß nichts mit
ihr anzufangen, weil sie sich in strenges, zielbewußtes
Leben nicht einreihen läßt; das Iiel der Kunst und das
der zwecksicheren Welt sind zwei ganz voneinander
abliegende Gebiete, Sterne ohne jede Verbindung. Und
die Welt des „eisernen Liedes" steht der Kunst kindisch-
hilflos gegenüber. So ist es gekommen, daß das Orna-
ment zum Iierat wurde, die Giebel und Gesimse zu
wahnwitzigen Ansammlungen gotischer, romanischer und
Renaissance-Motive, — um nur zwei Beispiele heraus-
zugreifen. Denn die Kunst liegt abseits vom drängenden
Wege des Lebens. Man hat es fast verlernt, sie sinn-
und zweckgemäß in den einen großen Strom einzu-
gliedern. Und so muß sie naturgemäß zum „Lurus"
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