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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 5
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Röttger, Karl: Christus: eine Legende aus der Zeit
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Sternberg, Leo: Drei Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0194

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Christus.

Ein Soldat aber, der wochenlang im Lazarett gelegen
hatte, erzählte, als er zum ersten Male aus den Fieber-
träumen wieder zur Wachheit kam, den Schwestern und
den nächsten Kranken leise, wie er ihn gesehen . . . .

Durch mehr als zwanzig Schlachten war er wie in
einem ganz seltsam fremden, fast feierlichen Gefühl ge-
gangen; aber dann in der einen Schlacht, der letzten,
hatte er ihn gesehen. Eine Kugel hatte ihn in die Brust
getroffen, hatte ihn an einen Baum geschleudert, da
war er ins Gras gesunken; und da hatte er gelegen in
Schmerzen und mit irrenden suchenden Augen, ob Hilfe
käme. Aber sie war lange ferne geblieben. Vor ihm,
neben ihm hatten die Soldaten gelegen und geschossen;
die feindlichen Kugeln waren über ihn hingesaust; da
hatte er eine Gestalt kommen sehen, von hinter der
Front, bis vorn in die Front, dann hatte sie sich zwischen
die feindlichen Feuerlinien gestellt, hatte die beiden
Hände weit ausgestreckt nach zwei Richtungen, zu Freund
und Feind, wie als wolle sie sagen: Lasset nun ab. Es
ist genug! — Danach aber waren es zwei Gestalten ge-
wesen und sie waren auseinander gegangen, eine herzu
zu den Unsrigen, die andre nach drüben. Er hatte ge-
sehen, es war dieselbe Gestalt, die zurückkam, und schien
auch dieselbe Gestalt zu sein, die dort hinüberging . . . .
Und dann fing die Gestalt an, sich zu neigen, strich den
Toten über das Antlitz und machte es sanft und schön;

gab den Stöhnenden zutrinken, trug andere hinweg __

Er hatte da gelegen und gedacht, bald sieht er auch mich.
Aber er hatte ihn wohl noch nicht gesehen; oder die
andern hatten es nötiger gehabt, er war noch eine lange
Aeit so liegen geblieben. Und dies alles in der Feuer-
linie, und die Gestalt hatte nicht geschwankt, nicht ge-
zittert....

Dann waren die Unsern vorgerückt mit lautem
Rufen .... Das Schießen war weiter fort gewesen,
aber einzelne Kugeln waren noch geflogen. Da hatte
er die Gestalt aus den Augen verloren, aber es hatte ihm
geschienen, als sehe er sie noch ferne.

Dann waren Menschen gekommen mit einer Trag-
bahre, und hatten ihn darauf gelegt. Und eben da sie
hatten fortgehen wollen, war wieder von drüben die
Gestalt gekommen, einen jungen Soldaten im Arm,
einen Fähnrich, jung — jung — den hatte sie neben
ihn gelegt.

Und dann fort, zurück, einen Hügel hinan. Und da
hatte er aus dem Hügel ein Bild gesehen; einen Baum,
der gegen das Abendrot stand, denn der Tag neigte sich
dem Ende zu. Ein Baum, blattleer, kahl, zerschossen;
aber merkwürdig in der Form, nämlich wie ein Kreuz....
oder es sei vielleicht ein Christuskreuz von Menschen-
händen gewesen? — er könne das nicht mehr sagen;
denn die Sinne hätten ihm da schon nicht recht mehr
gehorcht. Das aber wisse er: Christus habe nicht daran
gehangen.

Und nach einer Weile fragte er leise die Schwester:
Verstehen Sie, wenn es ein Marterholz war, warum
er nicht daran hing? — Es ist mir eingefallen: weil er

nötig war in der Schlacht- Denn dies ist es ja: er

ist nötig wie einst und immer als der, der er damals war:
scheinbar als Mensch unter den Menschen, heilend, die
Hande auflegend denen, die gefallen: den Toten wie

den noch Lebenden_und so oft unerkannt-und

nur erkannt von den Augen der Nachdenksamen. --

Den letzten Teil der Erzählung hatte auch der Arzt
mit angehört, der hinzugekommen war. Er sagte nichts;
nahm aber danach die Schwester beiseite und sprach:
Wir müssen ihn noch schonen, sprechen Sie nicht zu viel
mit ihm, er ist noch nicht ganz fieberfrci....

Der Kranke aber lag in den weißen Kissen und
lächelte und träumte im Einschlafen noch Jhm nach.

Gedichte von Leo Sternberg.

Die Kriegöflammen rauchen.

Die Kriegsflammen rauchen
über das Land.
Verwandelte Augen
schlürfen den Brand.

Die Mondnächte tauen:

Ein Feenland, grün!

Doch keiner will schauen
und Schönem erglühn.

Die Wolken — sind Fahncn,
zerschossen, zerfetzt;

Ansturm der Ulanen
die Bergtannen jetzt.

Schlachtpanzer — im Nebel,
im Abendrot — Blut,
Helmspitzen und Säbel
im Glitzern der Flut. . .

Der Weltbrand muß kühlen,
ermüden das Schwert —

Die Waldbäche spülen,
die Flaumwolke fährt.

Was Kriege erringen,
verzehrt wieder Krieg.

Jn ewigen Dingen
ruhet der Sieg.

Das Heerlagrr.

Unser Erwachen:

„Wie steht die Schlacht?"

Wenn wir uns niederlegen:

„Was wird sich entscheiden die Nacht?"

Aum Heerlager wurde die Welt. Mit den Toten
Seite an Seite liegen wir und träumen:
Rauschen Fahnen im Dunkeln?

Die Sterne funkeln

schweigend . . . Flügelwehen der Boten
zwischen den himmlischen Räumen
und der Schlacht . . .

Kriegsfrühling am Rhein.

Der Blütenhain des Tals verschleierte
den blutigen Ball, daß mein berauschtes Auge
zum ersten Mal das Weh des Kriegs vergaß;
und wie ein Schmetterling den Flügel spannt.

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