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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 3
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Röttger, Karl: Kindheit, Gott und Wunder
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Walter, Robert: Das Mordkind
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0124

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Kindheit, Gott und Wunder.

Sie singen laut. Sie singen himmelan.
Millionenstimmig laut die Kinderherzen
singen empor — zum ewigen Man

des einen Gottes, den der Fromme glaubt;

daß sein die Weisheit, Güte, Gerechtigkeit...

und Gott, in seiner Einsamkeit, stützt schwer sem Haupt.

Er lauscht hinab. Da dehnt sich grau und breit
das leere Feld ... Millionen Seelen stehn
in Nacktheit da — und Glanz nur ist ihr Kleid,

(der aus dem Herzen bricht). Die Blicke sehn
wie Kinderblicke gut und groß empor.

Die nackten Füße in der Leere ... stehn...

Sie singen. Millionen. Gottes Ohr
neigt sich sehr tief und lauscht ... Er weint.

Dann steht er auf und öffnet leis das Tor

und steigt herab ... als wie ein Licht, das scheint.

Er steigt herab, als wie ein Engel schwebt,
als wie ein Adler in der hohen Luft,
als wie ein Blatt vom hohen Baume bebt,

wie eine Stimme, die hernieder ruft.

Er schwebt, er sinkt und fühlt sich kleiner werden
und immer kleiner, enger, ... und er kommt ganz nah
und ist zuletzt bei ihnen auf der Erde,

und alle singen: Sehet, er ist da-

Aus Millionen Munden singt das Lied
im großen Kreis ums Kindlein in der Mitte:

„Auf daß es uns mit seinen Augen sieht,

wollen wir es um seine Gnade bitten! — — "

Da steht das Kindlein auf und schaut im Kreise
und wird im Schauen groß und wächst und hebt
sich auf, schaut über alle weg und lachelt leise

und hebt sich auf, aus ihrer Mitte, schwebt —

und spricht mit einer Stimme, sanft wie Aweige
im Maiwind wehn: „Folgt! Schwebt mit mir empor,
auf, auf, damit ich euch die Ewige zeige,

die ihr gesehnt — Schaut aufgetan das Tor...

die Stille der Erfüllung —!" Und sie schwebten,
sie rauschten auf, mit seidnen Flügeln, weiß
in lauter Sonne, höher, und sie schwebten

zuletzt hinweg in selge Bläue, die

noch keines Menschen Wort zu nennen weiß.

D

as Mordkind.

Von Robert Walter.

Als man das Jahr 1560 schrieb, ereignete sich zu
Speier in der Pfalz die seltsame Geschichte eines Krndes,
die am Rhein auf und nieder die Gemüter mit wunder-
lichern öelud und lvie ein d. urnkel ver-

nehmen ließ, wenngleich ihre Wahrheit von Ieugen
gehört und gesehen worden war.

Es war am Tag deö heiligen Metardus^, als eben der
Sommer in junger Blüte stand, helle Mittagsstunde.
Aus dem Dom sangen die Glocken ins Rheintal hin.^ Da
lief ein Knablein, das dem Ratsmann Helderlin gehörte,
von der Stadt durch die buntgesprenkelten Wiesen nach
dem Rhein hinab. Unten am Wasser zwischen den Weiden
traf es auf den Roßbuben Eppe, eines armen Schiffers
Kind, der sich Ruten schlug zu einem Korbgeflecht und
daneben auf die weidenden Pferde achtgab. Der hatte
ein kleines Beil, das scharf in der Sonne blinkerte und
dem Helderlin lustig ins Auge stach. Nach Art der Knaben
begannen sie ein großes Gespräch über das Beil, stritten
auch weiß und schwarz, links und rechts, handelten da-
neben von einem Richtbeil, das in der Folterkammer des
Rathauses angeschlossen läge und mit dem man vor Tag
und Jahr die Bösewichter vom Leben zum Tod gebracht
hätte. Wie der Roßhüter sagte, sein Beilchen sei ebenso
stark wie das Richtbeil, schrie Helderlin in aufgeregtem
Aorn dagegen, und sein Gesicht schwoll ihm rot an. Er
wolle gegen ihn um einen Mainzer Weißpfennig wetten,
daß er ibm nicht den Kopf abschlagen könne mit einem
einzigen Hieb und daß ihm nicht einmal die Haut am Hals
schrindig würde. Wie der arme Eppe, der die ewigen
Tage einsam auf den Weiden lag und nur Wasser und
dörres Gerstenbrot für Durst und Hunger bekam, von
einem silbernen Weißpfennig hörte, den er mit einem
Schlag gewinnen konnte, wurde ihm das Herz ganz selig.
Und als sich des Ratmannes Kind jäh vor ihm ins Ried
geworfen hatte und ihm ini bösen Trotz zurief, er sollte
doch einmal zuschlagen, da hatte er das Beil schon hoch
über sich und hieb zu — schlug den weißen Hals auf, daß
das dunkle Blut herausquoll. Traf ihn auch im Entsetzen
ein zweites Mal und warf vor Angsi aufschreiend das
Beil weit von sich, stand mit verzerrtem Gesicht und
stieren Augen und vermochte kein Glied mehr zu rühren.

Dem kleinen Knaben im Ried gurgelte der letzte
Atem durchs Blut. Die dünnen Arme, die sich furchtbar
emporgekrampft hatten, brachen tot ins Gras. Der Roß-
huter Eppe schlich beinahe reglos weg, keinen Blick von
den mattcn Auckungen des Sterbenden lösend, kroch
hinter die Buschweiden ans Ufer, hockte sich hin und fühlte
das viele Wasser an seinen Augen vorbeiströmen. Er
vergaß sich in seinem Dasein, träumte sich ganz willenlos
durch das rätselhafte Geschehen, denn er hatte nie einen
Sterbenden oder einen Toten gesehen. Vor ihm kam
die Sonne am weißblauen Himmel herab, und hinter
ihm begann der Abend, ihn mit dunkelkalten Flüaeln
anzuwehen. Dann kletterte er das Ufer hinauf und durcb
die Weiden. Die Pferde grasten stille im goldgrünen
Licht. Und er gmg ganz voll Frieden zu dem Enthaup-
teten, sah verwundert, wie die Erde daö Blut aufge-

iio
 
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