Die Bergnacht.
und tränk mein dürstend Herz mit deinem überirdisch
klaren Schein.
Wechsel
O Wunder! Schon ist mein Geist und mein Gefühl
kristallen,
in tiese Klarheit eingegletschert liegen Denken, Wünsche,
Trauern, Sich-Erfreuen.
Mein Stolz und alle Schranken meines Eigenlebens sind
zerfallen,
mir ist, als müßte sich mein Dasein vollends ins Unend-
liche zerstreuen.
Aurück! Und langsam winde ich mich aus den ewigen
Gassen,
die — allen Menschen offen — jedem nach Minuten sich
verschließen.
Jch will sie durch das Tor der Wiederkunft verlassen.
Aurück — schon spüre ich den Schatten unserer Alpen-
hütte schützend um mich fließen.
Und aus dem Schatten wächst ein Schatten auf und eine
treue Hand schlägt mir entgegen.
Sie zieht mich wortlos durch die Tür in unsern wohl-
durchwärmten Raum.
Wir schauern und es ist, als wollten sich im Körperbeben
unsre Seelen fegen,
so wie die Tiere aus dem Pelz sich schütteln Staub und
Schaunr.
Und statt der Größe dieser Nacht und statt der Ewigkeit
zieht wunschlos Dännnern und bescheidne Enge in die
Herzen ein.
Vom Sturm der Allmacht ruht sich Seele aus im Bett
der Selbstzufriedenheit
und Wunder dünken ihr verwahrte Türen, festverschlossene
Fensterläden, Hängelampenschein.
O Seele, welch ein Branden zwischen unermeßnen Weiten
und bezirkten Engen.
Aiehn wir uns nicht vor jeder Größe so ins schmale
Aimmer unseres kleinen Seins zurück,
wie wir uns jetzt fast hastig in die niedere Hüttenstube
drängen?
Und, Herz, was liegt in diesem Wechsel für ein Glück!
Rückkehr
Endlich treffen wir ein erstes Rinnsel süßes Wasser.
Niemals hat ein Wein vorher gemundet wie der Schluck.
Talwärts nun. Schon wird die Sonne blasser.
Auf vom Boden, in die Knie, hoch dann, Ruck um Ruck.
Nun ist der Geschmack des Schnees und Gletschers aus
dem Munde,
in dem milden Wasser wohnt die Fruchtbarkeit vom süßen
Tal.
Aber hinten frißt noch Bitterkeit im Schlunde
Eis und Kälte, Felsennacktheit, unfruchtbar und kahl.
Nun hinab denn — denn hinab.
Jubelnd grüßen will ich ersten Hüttenrauch.
Hinter mir die Größe schreckt mich wie ein Grab.
Meine Weggefährtin greift nach meinem Arm — sie
spürt es auch.
Aus der Höhe steigen wir in die vertraute Tiefe.
Trotz der Alpentäler wittern wir die Alltagsluft.
War es droben nicht, als ob in uns die Sehnsucht schliefe
nach dem Staub und Dampf, der unser Leben sonst
umpufft?
Oben will ich schauen, hingegeben mich erfreuen,
aber unten rauscht mir ungebärdig Heimatskraft.
Droben kann ich mich wie körperlos ins Ewige streuen,
unten wächst aus meiner Enge Mut zu neuer Pilgerschaft.
Tiefer drum, hinab denn, nur hinab.
Da, wie ein entgleister Stern, im Tal ein fernes Licht.
Freudig drücke ich die Hand, die sich mir gab:
Sieh, die erste Schönheit, die aus unserm Alltag bricht.
er Dichterherold des Reiches.
Unter dem elterlichen Erbe, worin mit ciniger
Sicherheit Voraussetzungen der dichterischen Eigenart zu
erkennen sind, hat man bei Geibel gelegentlich den
nationalen Mschlingscharakter seiner Abstammung er-
wähnt. Scine Großmutter mütterlicherseitö gehörte der
Hugenottenfamilie Souchay an, die, außer in Lübcck,
in Hanau und Frankfurt a. M. verbürgert war. Doch
waö läßt sich damil begründen? Etwa der stark re-
ligiöse Zug seiner Dichternatur? Dafür gibt eö eine
näherliegende Erklärung. Aufgelvachsen in einem Pfarr-
hause, hat er von dem tüchtigen Vater manche Gabe
geerbt. Warum nicht auch jene? Geibels Geisteö- und
Sinnesart erscheint so kerndeutsch, daß der Gedanke an
ferne fremde Einflüsse eigentlich gar nicht aufkommt.
Höchstenö könnte man darauf verfallen angesichtö scines
erstaunlichen Formralentö. Jn diesenr Sinne hat Max
Koch sich ausgesprochen. Aber auch hier bietet sich vor
allem ein anderer Iusammenhang dar, der sogleich auf
den Kernpunkt der Beurteilung führt.
Je nach seincr Denkweise gibt der Lyriker ein grund-
verschiedenes Bild der äußeren Welt. Die über die
Wirklichkeit hinauöschwärinende Subjcktivität desJdealiftcn
entfernt den Blick von der Bestimmtheit der Objekte.
Seine der Musik verwandte Stimmung hüllt sie wie
in einen mildernden Schleier, während sein Gegenfüßler,
gleich dem Ieichner, die Sehkraft wirken läßt und den
Reiz der Umrisse hervorhebt. Höchste Künstlerschaft er-
wächst sreilich im Auögleich der Gegensätze. Jndessen
hat die literarische Entwicklung, da sie die Klassiker zur
Formvollendung, die Romantiker zum Formenreichtum
führte, das Prinzip des unbedingten Wohllauts in der
Lyrik lange vorherrschend gemacht. Selbst Heine und
die Schwaben, so feindliche Brüder sie auch waren,
kamcn darin überein. Platen stützte cs durch die ge-
naueste metrische Gesetzmäßigkeit, die er auf alle erdenk-
lichen Formen anwandte. Darüber hinaus blieb nur
noch ein Letzteö zu erreichen: dem Willen zur Regel-
mäßigkeit den Anschein der Unwillkürlichkeit zu geben.
und tränk mein dürstend Herz mit deinem überirdisch
klaren Schein.
Wechsel
O Wunder! Schon ist mein Geist und mein Gefühl
kristallen,
in tiese Klarheit eingegletschert liegen Denken, Wünsche,
Trauern, Sich-Erfreuen.
Mein Stolz und alle Schranken meines Eigenlebens sind
zerfallen,
mir ist, als müßte sich mein Dasein vollends ins Unend-
liche zerstreuen.
Aurück! Und langsam winde ich mich aus den ewigen
Gassen,
die — allen Menschen offen — jedem nach Minuten sich
verschließen.
Jch will sie durch das Tor der Wiederkunft verlassen.
Aurück — schon spüre ich den Schatten unserer Alpen-
hütte schützend um mich fließen.
Und aus dem Schatten wächst ein Schatten auf und eine
treue Hand schlägt mir entgegen.
Sie zieht mich wortlos durch die Tür in unsern wohl-
durchwärmten Raum.
Wir schauern und es ist, als wollten sich im Körperbeben
unsre Seelen fegen,
so wie die Tiere aus dem Pelz sich schütteln Staub und
Schaunr.
Und statt der Größe dieser Nacht und statt der Ewigkeit
zieht wunschlos Dännnern und bescheidne Enge in die
Herzen ein.
Vom Sturm der Allmacht ruht sich Seele aus im Bett
der Selbstzufriedenheit
und Wunder dünken ihr verwahrte Türen, festverschlossene
Fensterläden, Hängelampenschein.
O Seele, welch ein Branden zwischen unermeßnen Weiten
und bezirkten Engen.
Aiehn wir uns nicht vor jeder Größe so ins schmale
Aimmer unseres kleinen Seins zurück,
wie wir uns jetzt fast hastig in die niedere Hüttenstube
drängen?
Und, Herz, was liegt in diesem Wechsel für ein Glück!
Rückkehr
Endlich treffen wir ein erstes Rinnsel süßes Wasser.
Niemals hat ein Wein vorher gemundet wie der Schluck.
Talwärts nun. Schon wird die Sonne blasser.
Auf vom Boden, in die Knie, hoch dann, Ruck um Ruck.
Nun ist der Geschmack des Schnees und Gletschers aus
dem Munde,
in dem milden Wasser wohnt die Fruchtbarkeit vom süßen
Tal.
Aber hinten frißt noch Bitterkeit im Schlunde
Eis und Kälte, Felsennacktheit, unfruchtbar und kahl.
Nun hinab denn — denn hinab.
Jubelnd grüßen will ich ersten Hüttenrauch.
Hinter mir die Größe schreckt mich wie ein Grab.
Meine Weggefährtin greift nach meinem Arm — sie
spürt es auch.
Aus der Höhe steigen wir in die vertraute Tiefe.
Trotz der Alpentäler wittern wir die Alltagsluft.
War es droben nicht, als ob in uns die Sehnsucht schliefe
nach dem Staub und Dampf, der unser Leben sonst
umpufft?
Oben will ich schauen, hingegeben mich erfreuen,
aber unten rauscht mir ungebärdig Heimatskraft.
Droben kann ich mich wie körperlos ins Ewige streuen,
unten wächst aus meiner Enge Mut zu neuer Pilgerschaft.
Tiefer drum, hinab denn, nur hinab.
Da, wie ein entgleister Stern, im Tal ein fernes Licht.
Freudig drücke ich die Hand, die sich mir gab:
Sieh, die erste Schönheit, die aus unserm Alltag bricht.
er Dichterherold des Reiches.
Unter dem elterlichen Erbe, worin mit ciniger
Sicherheit Voraussetzungen der dichterischen Eigenart zu
erkennen sind, hat man bei Geibel gelegentlich den
nationalen Mschlingscharakter seiner Abstammung er-
wähnt. Scine Großmutter mütterlicherseitö gehörte der
Hugenottenfamilie Souchay an, die, außer in Lübcck,
in Hanau und Frankfurt a. M. verbürgert war. Doch
waö läßt sich damil begründen? Etwa der stark re-
ligiöse Zug seiner Dichternatur? Dafür gibt eö eine
näherliegende Erklärung. Aufgelvachsen in einem Pfarr-
hause, hat er von dem tüchtigen Vater manche Gabe
geerbt. Warum nicht auch jene? Geibels Geisteö- und
Sinnesart erscheint so kerndeutsch, daß der Gedanke an
ferne fremde Einflüsse eigentlich gar nicht aufkommt.
Höchstenö könnte man darauf verfallen angesichtö scines
erstaunlichen Formralentö. Jn diesenr Sinne hat Max
Koch sich ausgesprochen. Aber auch hier bietet sich vor
allem ein anderer Iusammenhang dar, der sogleich auf
den Kernpunkt der Beurteilung führt.
Je nach seincr Denkweise gibt der Lyriker ein grund-
verschiedenes Bild der äußeren Welt. Die über die
Wirklichkeit hinauöschwärinende Subjcktivität desJdealiftcn
entfernt den Blick von der Bestimmtheit der Objekte.
Seine der Musik verwandte Stimmung hüllt sie wie
in einen mildernden Schleier, während sein Gegenfüßler,
gleich dem Ieichner, die Sehkraft wirken läßt und den
Reiz der Umrisse hervorhebt. Höchste Künstlerschaft er-
wächst sreilich im Auögleich der Gegensätze. Jndessen
hat die literarische Entwicklung, da sie die Klassiker zur
Formvollendung, die Romantiker zum Formenreichtum
führte, das Prinzip des unbedingten Wohllauts in der
Lyrik lange vorherrschend gemacht. Selbst Heine und
die Schwaben, so feindliche Brüder sie auch waren,
kamcn darin überein. Platen stützte cs durch die ge-
naueste metrische Gesetzmäßigkeit, die er auf alle erdenk-
lichen Formen anwandte. Darüber hinaus blieb nur
noch ein Letzteö zu erreichen: dem Willen zur Regel-
mäßigkeit den Anschein der Unwillkürlichkeit zu geben.