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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 10
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Kunze, Kurt: Die Bergnacht: ein Zyklus von sechs Gedichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0363

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sie schöner sah. O Luft, die fast nicht ist,
o Glanz der goldenen Herbsteslaunen!

Das Vieh kommt später als die ältsten Leute sich erinnern
in diesem Jahre heim von seinen Almen.

Die Rinder schaukeln breit, als müßten sie den Sommer
talwärts tragen.

Bunt spielen Kränze an den krummen Hörnern,
Großväter, nachsichtig wie mit Kindern, führen junge
Kälber,

die wegrand naschen an den letzten kargen Halmen.
Und alle Menschen gehen froh im Sonntagskleid, man
schießt,

die Hütejungen blasen und segnend liegt ein Blau auf
allen Fernern.

Aufstieg

Sieh, das war die letzte menschennahe Alm.

Und schon wollen sich die Dämmerungen breiten.

Auf, wir müssen bis zur Hütte rüstig vorwärts schreiten,
daß uns Dunkelheit nicht trifft mit kaltem Schwalm.

Tausend Meter noch in steilen Serpentinen,
links die Bergschlucht, die von Wasserstürzen dröhnt.
Dunkler werden schon die roten Flecken, die mit Weiß
zur Richtung dienen,

Bäche rinnen von der Stirn, da wir des Steigens und der
dünnen Luft noch ungewöhnt.

Wie Rennfahrer angespannt nach vorn gebeugt auf ihren
Rädern

vorwärts streben, steigen wir mit vorgerecktem Kinn.
Da ein Weiß! Und da das Rot! Ein Ruck und Freude-
federn

strömt bei ihrem Anblick jedesmal durch unsern Körper hin.

Schon fiel Grauen wie ein Nebel auf die bangen Herzen.
Wachen wir am besten hinter diesem Wall der längst ver-
lassenen Alm?

Da auf einmal von den Firnen her ein Widerschein wie
bleiche Kerzen . . .

Licht und Mond! Wir singen einen Freudenpsalm.

Einen Schritt noch und wir fielen durch die Balken eines
Stegs,

dessen Bretter seitab schon vor Frühlingswässern sicher
lagen.

Nah dem Aiele drohen hundert Tücken allerwegs.
Wohin kämst du, Herz, wolltst du nach ihnen fragen?

Deiner Kraft und deinem Himmel mußt du stets ver-
trauen,

wenn die Nacht auf alle Wege deines Willens bricht.
Selig und behütet, die nicht viel nach Schlünden schauen.
Glück mag Grübler voller Aaudern nicht.

Gesang der Nacht

Die Nacht wirft Harmonien über mich wie roten Schaum.
Nie hab ich wildere Musik gehört.

Jst das der Sphärenklang aus weitem Weltenraum,

Die Bergnacht.

bin ich ein Toter, den Posaunenruf aus seinem Grab
gestört?

Tönt wilde Harmonien, tönt in meinen Traum.

Das ist kein Himmelston, so klingt nur Erdenkraft.

Musik, o Schwall, o Klang,

aufstachelndes Geleit für ewige Pilgerschaft.

O wilde Harmonien, du mein Überschwang.

Wo ist ein Chor, der jemals solche Melodien sang?

So wüten Stürme nicht in hunderttausend Bäumen,
so branden Meere wohl ans Felseiland.

So jubeln Orgeln nicht in heiligen Räumen.

Stürzt, Bäche, stürzt und mahlt, mahlt euch Granit zu
Sand.

Stumm bete ich zum wilden Schäumen.

Da tritt ein Geist an meine Lagerstatt:

Mensch, was wie Pauken in dein Wachen klingt,
daß deine Seele nur noch Sehnsucht hat,
ist Gottes Stimme, die im Bergbach schwingt.

Fühlst du, o Mensch, daß sie auch in dir singt?

Horch, Herz, horch, wie es tönt das hohe Lied der Nacht.
O reiß mich mit, o stärke mich zur Kühnheit, wildes
Schreien.

Sich stets verschwenden unbedacht ....

So in die Wucht des Weltschwungs eingeordnet stürzen,
Kraft und Teil zu sein!

Da wird das Leben nicht zum faden Schein,
da wirfts dich strudelnd in das Werden und die Welt als
Gott hinein.

Andacht

Jch bin nicht mehr. So hingenommen ist die Seele von
der Größe dieser Welt.

O Berge, göttlich in den Mänteln eures Firns, o milde
Sterne, blasses Blau.

Du roter Lebenssturm, der aus dem Wassersturze gellt.
Und über alles blickt die Einsamkeit aus ihrer Vogelschau.
Die Seele ist mir aus dem Kerker meines Leibes fort-
geflogen,

in trunknem Überschwange rings ins All geschnellt
und von den Bergen, Nacht und Wasserschwall ganz ein-
gesogen.

Jch bin nicht ich, bin Berg jahrtausendalt in Panzer
weißen Schweigens eingehüllt,
bin Sternenlicht, das sanften Glanz in nächtige Bläue
gießt,

bin Gletscher jetzt, der Lust und Schmerz des ewigen
Wanderns in die Stunden brüllt,
und bin der Föhn, der wie die Ahnung ferner Blüten-
gärten um die beeisten Aacken fließt,
bin nackter Fels, der aus dem Sarg der Erde aufgetürmt,
und bin der Wetterwind, der Schnee auf alle Höhen
stürmt,

und bin die Klarheit, Hoheit, Weihe dieser ewigkeitge-
bornen Pracht,

der aus Unendlichkeit ins Menschenherz herabgestiegenen
Nacht.

Ström, Göttlichkeit der Bergnacht, ströme in mich ein
 
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