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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 2
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Bab, Julius: Der neue Strindberg
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Hesse, Hermann: Grindelwalder Tage
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0088

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Der neue Strindberg.

dem verbindenden überpersönlichen Geist etrvas Leib-
hafteü zu fassen. Aber der Geist ist nicht leibhaft, und
bei jeder zu nahen Berührung wehrt sich der Leib wütend
gegen die Gemeinsamkeit. Und deshalb ist nur die
Ahnung der Gemeinschaft ein Glück und ihre Verwirk-
lichung sofort die Katastrophe. „Je ferner, desto näher,
je näher, desto ferner". — Noch in diesem Werke fehlt
es nicht an Strindbergs alter radikaler Abkürzung, die
für alle Gefährlichkeiten des Lebens einfach „Weib"
setzt und das zunächst einmal menschliche Jndividuum
im Gattungsbegriff Weib ganz verschwinden läßt. Aber
im letzten Teil des Gedichtes, wo der Unbekannte schon
den Klosterberg umschritten hat, da ist noch einmal
eine Episode, die ihn mit der geliebten Frau zu einem
unendlich glücklichen Abend und einem endgültig un-
glücklichen Morgen in ein kleines Gartenhaus zusammen-
führt. Und in dieser Szene quillt alles Glück und aller
Schmerz der Liebe in so reinem, zartem, haßlosem Laut,
daß das Marchen von Strindberg, dem stumpfsinnigen
Weiberfeind, an solcher Poesie schamvoll sterben sollte.

Nicht in der Beziehung zur Frau, noch zum Freund,
noch zum Werk, noch zum Volk, noch zur Welt sind die
großen Antinomien des Lebens, die ewigen Wider-
sprüche zwischen Hingabe und Selbstbehauptung, zwischen
Gemeinsamkeit und Einsamkeit zu lösen. Berauschend
lockt den großen Rationalisten Strindberg die Ahnung,
als ob mit der Überwindung der Sprache und ihrer
Logik alles getan sei, als ob das Aufhören der ewigen
Frage nach dem Grund des Leidens das Leid beenden,
der Glaube an das Gute das Gute herbeizwingen könne.
Aber dieser stolze und wahrhafte Mensch wagt nicht mehr
als eineVermutung; erschreibtkeine moralischenUtopieen
und keine metaphysischen; nnt der Klosterweihe im
Bahrtuch schließt er stumm seinen Weg nach Damaskus.

Der neue Strindberg, der hier in szenischer Form
sichtbar wird, und selbst für die, die ihn aus seinen andern
Schriften schon kannten, eine erhöhte Wirksamkeit ge-
winnt, ist als Summe von Lebenskräften viel-
leicht das größte Phänomen des 19. Jahrhun-
derts.

Gewiß nicht sein größter Mensch, denn in dieser bis
in den Grund problematischen Eristenz, die nur dcn
Boden mit den Trümmern alles vergangenen Lebens
düngt, ist nichts von der erbauenden Kraft, mit der
Goethe Samen der Aukunft in die Welt streute. Gewiß
nicht sein größter Dichter, denn in diesem ungeheuren,
in ewigem Krampf kreisenden Monologen ist nichts von
dem gestaltenzeugenden Ubermaß, mit dem eines Dosto-
jewski dämonische Liebeskraft Menschen, Völker und
ganze Rassen vor uns erwachsen ließ. Aber keiner
hat größere Leidenschaft getragen als Strind-
berg. Der alte Sinn dieses Wortes „Leiden-schaft", der
Sinn, der die Leidensfähigkeit seltsam in die Schaffens-
fähigkeit hinüberspielt, kann kauin an einem andern
Menschen der Geschichte so erlebt werden wie an diesem
schwedischen Schriftsteller. Diese ungeheure Empfind-
lichkeit für jeden Eindruck der Welt und diese ungeheure
Kraft, auf jeden Eindruck wütend zurückzuschlagen: das
ist ein Schauspiel sondergleichen. — Henrik Jbsen, der
im Grunde ein Moralist war und bestimmte Arten des
Handelns und Verhaltens lehrte und forderte, ließ eine

Ahnung von der Ohnmacht und Ungültigkeit unseres
Willens, von der UnlösbarkeitderWeltgegensätze als einen
dunkel verwirrenden, allmählich dominierenden Stim-
mungston in seinen Sittenstücken aufwachsen. Strind-
berg, der ein minder feiner Arbeiter, aber ein unendlich
umfänglicherer Mensch, der kein Moralist, sondern ein
Metaphysiker, ein Religionsmensch durch und durch war,
Strindberg hat alles, was bei Jbsen sich nacheinander,
unbewußt abspielte, gleichzeitig und bewußt dargestellt;
so hat er uns in solchem Mysterienspiel gemalt, wie sich
in einer Seele wildestes Tatgefühl und tiefstes Ohn-
machtsgefühl begegnen. Jn der Geschichte der drama-
tischen Form, deren Kernwillen Glauben an die mensch-
liche Tat voraussetzt, kann diese merkwürdige Jnnen-
tragödie nur einen Seitenpfad, eine großartige Sack-
gasse bedeuten. Jn sich ist sie ein ihrem Aweck voll-
kommen gerechtes, ein Meisterwerk, eine ganz und gar
dichte Schale, die eine kaum erschöpfliche Lebensfülle
umschließt. Julius Bab.

rindelwalder Tage.

Von Hermann Hesse.

Aus der Stadt, wo der Nebel drückte und mittags
das Wasser von den Dächern rann, war ich für ein paar
Ferientage nach Grindelwald geflohen und saß dort in
einem schönen Engländerhotel. Bei der Ankunft war
ich enttäuscht gewesen, es lag kaum noch ein Rest von
altem Schnee, und ich wurde, als ich mit meinen Skiern
anf dem Nücken durchs Dorf schritt, von jedermann mit
Verwnnderung und Mitleid betrachtet. Bald aber
vergaß ich das und hatte nichts dagegen, meine Bretter
im Kellerdepot ruhen zu lassen. Das Wetter war glän-
zend, eine milde Sonnigkeit mit kalten Nächten, tagsüber
windstill, aber offenbar in der Höhe föhnig, denn Tag
für Tag sah man jene typischen, federfeinen, zerblasenen
Wölkchen, die stets auf Föhn deuten, in breiten par-
allelen Reihen und Streifen wie Pfauen- oder Fasanen-
flügel sich über den zartblauen Himmel ausbreiten.

Das wunderbare Grindelwalder Tal, das ich seit
Jahren nimmer gesehen hatte, lag in der Tiefe mit
wenig Schnee, und an warmen Mittagen konnte man
oberhalb des Dorfes den dünnen Schnee von den
Steinen tropfen und auf jungem grünem Kraute glänzen
sehen wie im Frühling. Daneben lagen Mulden und
verwehte Tobel unergründlich voll Schnee, und es
geschah beim Spazierengehen immer wieder, daß man
unversehens in so einem Schneeloch verschwand und
lang zum Wiederaufstehen brauchte. Die herrliche
Landschaft sprach wieder stark zu mir; es gibt wenig
Alpentäler, wo auf so kleinem Raume sich so viel Größe
und Schönheit entfaltet: das kühne, scharfschroffeWetter-
horn, der finster-wilde, oben messerscharfe Eiger in
seiner erdrückend nahen Riesigkeit, dahinter die wilde,
verlassene und verrufene Welt bis zu den Viescher-
hörnern und dem Finsteraarhorn, und dazwischen die
beiden Gletscher in ihrer rauhen, feindseligen Wildheit
und giftigen Bläue. Das alles liegt so nahe beieinander,
daß man es mit einem einzigen Blick umfassen kann,
und dabei steht man selbst in einem schönen, reichen
 
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