ax Dauthendeys Lebensbücher.
Was man deutsche Dichtung nennt, sofern man darunter
nicht mehr das naturalistische Drama versteht, das doch heute schon
von vorgestern ist, hat nur zu geringen Teilen das Glück, von einem
breiteren, bürgerlichen Dolkskreise bereitwillig hingenommen zu
werden als Element und Norm seines Lebens. Der Gründe dafür
sind mancherlei, von denen die einen das Bürgertum und die andern
die Künstler anklagen und doch zugleich auch wieder entschuldigen:
Jn der Umwandlungszeit, in der wir leben, hat es der einc Teil
des Bürgertums viel zu schwer gehabt, das ökonomische Niveau zu
erreichen, aus dem in Zukunft eine menschlich-geistige Cxistenz
möglich wurde, um sich künstlerischen Jnteressen widmen zu können,
wenn dabei auch die Sorge um das Ökonomische vielfach zu weit
getrieben wurde; wo doch schon künstlerische Bedürfnisse wach
werden, ist es nur verständlich, daß in einer Situation, die so neu
schien, das Interesse allzusehr auf das Neue, Sensationelle, nie
Dagewesene ausging. Der andere Teil des Bürgertums, der öko-
nomisch nicht so sehr auf die eigene Kraft angewiesen war, das
Beamtentum, war wieder viel zu sehr besorgt, in gleicher Sucht
nach Neuem das einzige zu verlieren, was es hatte, Tradition,
als daß es sich der neuen Dichtung gegenüber leicht hingegeben
hätte. Auf der andern Seite sind auch die Dichter dieser Übergangs-
zeit an schwierigcre Stelle gestellt, als mancher heute noch weiß;
ohne das feste geistige Niveau, das einer Generation wie der
unserer Klassiker einst die vorausgehenden Lessing, Hamann,
Herder geschaffen hatten, waren sie in ihrem Werk oft schroffer,
direkter, unharmonischer, als es nötig gewesen wäre, und dies um
so mehr, als sich ihnen das Bürgertum mit dem Adel stärker
verschloß.
Unter die Dichter, dcnen damit eine Wirkungsmöglichkeit
fehlt, die nicht nur ihnen sondern auch ihrem Volke zu wünschen
wäre, gehört Max Dauthendey. Es ist wahr, daß in all den lyrischen,
dramatischen, epischen Büchern Dauthendeys nicht gerade sehr
viel ist, in dem der dichterische Kern bis ins Lehte hinein unerbittlich
klar und notwendig herausgeformt sei, obwohl solch Vorwurf
vor manchen dieser „Insichversunkenen Lieder im Laub", dieser
„Geschichten vom Biwasee", und vor dem Drama „Spielereien
einer Kaiserin" doch schweigen möchte. Bei Max Dauthendey
hält die logisch-künstlerische Fähigkeit, die die intuitiv gefundenen
dichterischen Visionen im einzelnen und in ihrem Zusammenhang
überprüfen muß, der Gewalt, die solche dichterische Visionen hervor-
schleudert, nicht immer die Wage, womit er in die Nähe eines
Herbert Eulenberg rückt. Aber diese dichterischen, überlogisch emp-
fangenen Visionen, das Metaphorisch-Symbolische, das über
aller direkten logisch gemachten Wiedergabe äußerer Lebens-
realität schon in der ersten Zeile immer dichterische Luft von phan-
tastischer, innerer Realität schafft, das ist so stark bei ihm, wie bei
kaum einem andern. Max Dauthendey hat als Angreifbarstes
ein Buch in Versen über eine Weltreise geschrieben, einen bibel-
dicken Band mit unzähligen Reimen innerhalb und am Cnde
unzähliger Vcrszeilen; bei manchen im Ganzen schöncn Stücken
ist das doch oft in wüste Reimerei ausgeartet. Aber die dichterischen
Äetaphern, Bilder, Vergleiche, in denen auf diesen Hunderten
von Seiten das blitzhaft erfaßte Leben in fünf Crdteilen, auf euro-
päischen Schiffen, in indischen Tempelstraßen wiedergegeben ist,
sind so schön, daß das Buch doch so etwas wie eine Bibel des
Lebens bleibt.
Dielleicht gclingt dem Dichter, was ihm mit allen seinen
poetischen, wirklich so poetischen Büchern nicht gelungen ist, mit
den drei Bänden, in denen er nun sein und seines Vaters Leben
beschrieben hat*. Denn hier sind keine Metaphern mehr, die es
zu kühn, und keine Handlungen mehr, die es zu fremd gewählt
finden könnte: Hier ist wirklich gelebtes Leben, aber freilich schön
gelebtes und schön erfaßtes und wiedergegebenes Leben, in dem
sich ein Dolk wohl einigen könnte. Dauthendeys Vater war der-
jenige, der die Photographie nach Deutschland gcbracht hat und
damit so etwas wie ein Zaubermeister für seine Zeit. Wie er um
des Fürwitzes willen, den die Beschäftigung mit der aufkommenden
Photographie für jene enge Zeit bedeutete, in Leipzig seine
Lehrstellung verlor; wie er nach Dessau an den Hof kam und mit
* „Der Geist meines Vaters. Aufzeichnungen aus einem
versunkenen Jahrhundert". 1 Bd. „Gedankengut aus meinen
Wanderjahren". 2 Bände.
seinen Künsten der Prophet einer neuen, naturhafteren Zeit
wurde; wie er in Petersburg in Verbindung mit dem Hofe ein
wohlhabender, angesehener Mann wurde und später im d'eutschen
Würzburg, im Kreise einer Kinderschar, dis sich um seine zweite
Gattin sammelte, an der Ausweitung deutscher Verhältnisse im
Zeitalter der neuen Technik und Industrie teilnahm: das gibt
Kulturbilder von großem und heute noch seltenem Reize. Aber
das Schönste an dem Buche ist auch das noch nicht; das ist,
wie der beschriebene Mensch, wcnn nicht eigentlich produkttv,
so doch voll von dämonischen Zügen, von unmLßigem Tätigkeits-
drang besessen, durch sein ganzes Leben hindurch als geistige Wesen-
heit, als Existenz im Hinblick auf das All klargemacht wird, Funke,
raketenhaft aufgestiegen aus der Gesamtmasse brennenden Lebens,
ein Stück All, herausgeschnitten vom Schöpser, mit dem Charakter,
der entsteht nach der Linie, die die Schere befolgt.
Jmmerhin: Der ums Technische bemühte Mensch lebt im Tage,
in der einzigen Richtung auf die Zukunft; auch er übernimmt
wohl von der Vergangenheit festgestellte Crkenntnisse, aber so, daß
ihm kaum zu überprüfen bleibt, nur zu bereichern. Der geistige
Mensch lebt mit der Richtung auf die Zukunft zugleich rückwärts
in die Vergangenheit; geistig leben heißt nicht nur räumlich mit der
Gesamtheit des Lebens rechnen, sondern auch historisch mit allem
Gewesenen Abrechnung halten, und am geistigen Iiel ist erst, wer
alles Gewesene in sich individuell vereinigend schöpferisch neu lebt.
Diese Veränderung der Lebensmethode muß einen schwindeln
machen, wenn man von dem Buche über den Vater zu dem über
den Dichter selbst übergeht, das doch mit gleicher Leichtigkeit und
graziöser Schönheit zumeist Vorgänge Lußeren Lebens schildert.
Dauthendey, der in seiner Iugend ein Träumer war, ist nicht
früh und erst nach heftigen Kämpfen mit seiner Umgebung zur
Klarheit über sein Wolle» und zur Berufswahl gekommen. Nachdem
er es, immer noch im Alter des Studenten, bci dem Vater durch-
geseht hatte, sich ganz der Vorbereitung auf eine dichterische TLttg-
keit zu widmen, ist er nach München, Berlin gegangen, gereist,
nach Schweden, England. Dann kam die Zeit der Suche nach einer
Frau, die er nach geraumer Weile und seltsamen Winkelzügen des
Schicksalsweges in einer Schwedin fand; es gibt nicht viele Liebes-
geschichten solcher Reinheit in deutscher Sprache wie diese erlebte
des reinen und schönen Mannes. Von dem Augenblick der Heirat
ab tritt bis in die Zeit über den Tod des Vaters hinaus die
pekuniäre Sorge bestimmend in das Leben ein, die auch die Reisen
nach Mexiko, Rußland, Griechenland verursacht hat, alles Be-
mühungen, eine feste Existenz unabhängig von den Cinnahmen
aus der Dichtung zu finden. Aber wiederum ist dies alles nicht
das Sckönste an dem Werk: Das ist, wie menschliche Existenz als
Teileristenz der Gesamtwelt erfaßt wird.
Dies zweite Werk heißt: „Gedankengut aus meinen Wander-
jahren", und in Sätzen, die immer wieder zu gesperrten Anrufen
aufspringen, will Dauthendey nicht mehr und nicht weniger, als
eine Philosophie, eine Religion verkünden. Cr meint, sie sei neu,
wenn er auch weiß, daß sie östlichem, indischem Glauben entspricht,
wie ihm Lstliche, indische, chinesische Lebensordnung und Kunst
immer wieder als die beste erscheint. Sie ist nicht neu. Es ist die-
selbe, die einst Emerson verkündet hat, die Bergsons Glauben heute
zugrunde liegt, wenn er sie auch durch die Beziehung zum Cnt-
wicklungsgedanken kompliziert hat; es ist die Weltanschauung der
Metapher, die sie predigt, indem sie ein Ding mit dem andern
vergleicht und also eine durchgehende Einheit des Alls annimmt.
Es ist die Weltanschauung der Poesie schlechthin, ganz aufs Lyrische
hin gewandt. Aber es ist wahr, daß er diese Anschauung sehr schön
aus einem Leben entwickelt, an Crkenntnissen und Crlebnifsen
gemessen und geprüft und leidenschaftlich erregt in Anwendung
auf die verschiedenen Gebiete des Handelns ausgesprochen hat.
Wären manche Kontroversen mit einem flach gewordenen Kirchen-
christentum auch unnötig, weil, was er Weltferne nennt, so leicht
zu dem Gott umzubilden wäre, an den die Kirchenchristen betend
glauben als an jenes Du, während er nur eine einzige Ich-Gottheit
anerkennen will, und ist auch der Gedanke der Erbsünde eine so
deutlich symbolische Crklärung der Tatsache des Todes im Leben
und des sich fortwirkenden Unheils, so sind diese gesperrt ge-
druckten, gesteigert und doch direkt ausgesprochenen Stellen des
Buches mehr als jene „Poetenphilosophie", die als cin dünnes
Nebengewässer nebcn dem Denken der Philosophen hinzufließen
pflegt: Ieugnis einer dichterischen geistigen Existenz, dic Ha!tung
über Zeit und Raum hin hat. Ioachim Benn.
7»
Was man deutsche Dichtung nennt, sofern man darunter
nicht mehr das naturalistische Drama versteht, das doch heute schon
von vorgestern ist, hat nur zu geringen Teilen das Glück, von einem
breiteren, bürgerlichen Dolkskreise bereitwillig hingenommen zu
werden als Element und Norm seines Lebens. Der Gründe dafür
sind mancherlei, von denen die einen das Bürgertum und die andern
die Künstler anklagen und doch zugleich auch wieder entschuldigen:
Jn der Umwandlungszeit, in der wir leben, hat es der einc Teil
des Bürgertums viel zu schwer gehabt, das ökonomische Niveau zu
erreichen, aus dem in Zukunft eine menschlich-geistige Cxistenz
möglich wurde, um sich künstlerischen Jnteressen widmen zu können,
wenn dabei auch die Sorge um das Ökonomische vielfach zu weit
getrieben wurde; wo doch schon künstlerische Bedürfnisse wach
werden, ist es nur verständlich, daß in einer Situation, die so neu
schien, das Interesse allzusehr auf das Neue, Sensationelle, nie
Dagewesene ausging. Der andere Teil des Bürgertums, der öko-
nomisch nicht so sehr auf die eigene Kraft angewiesen war, das
Beamtentum, war wieder viel zu sehr besorgt, in gleicher Sucht
nach Neuem das einzige zu verlieren, was es hatte, Tradition,
als daß es sich der neuen Dichtung gegenüber leicht hingegeben
hätte. Auf der andern Seite sind auch die Dichter dieser Übergangs-
zeit an schwierigcre Stelle gestellt, als mancher heute noch weiß;
ohne das feste geistige Niveau, das einer Generation wie der
unserer Klassiker einst die vorausgehenden Lessing, Hamann,
Herder geschaffen hatten, waren sie in ihrem Werk oft schroffer,
direkter, unharmonischer, als es nötig gewesen wäre, und dies um
so mehr, als sich ihnen das Bürgertum mit dem Adel stärker
verschloß.
Unter die Dichter, dcnen damit eine Wirkungsmöglichkeit
fehlt, die nicht nur ihnen sondern auch ihrem Volke zu wünschen
wäre, gehört Max Dauthendey. Es ist wahr, daß in all den lyrischen,
dramatischen, epischen Büchern Dauthendeys nicht gerade sehr
viel ist, in dem der dichterische Kern bis ins Lehte hinein unerbittlich
klar und notwendig herausgeformt sei, obwohl solch Vorwurf
vor manchen dieser „Insichversunkenen Lieder im Laub", dieser
„Geschichten vom Biwasee", und vor dem Drama „Spielereien
einer Kaiserin" doch schweigen möchte. Bei Max Dauthendey
hält die logisch-künstlerische Fähigkeit, die die intuitiv gefundenen
dichterischen Visionen im einzelnen und in ihrem Zusammenhang
überprüfen muß, der Gewalt, die solche dichterische Visionen hervor-
schleudert, nicht immer die Wage, womit er in die Nähe eines
Herbert Eulenberg rückt. Aber diese dichterischen, überlogisch emp-
fangenen Visionen, das Metaphorisch-Symbolische, das über
aller direkten logisch gemachten Wiedergabe äußerer Lebens-
realität schon in der ersten Zeile immer dichterische Luft von phan-
tastischer, innerer Realität schafft, das ist so stark bei ihm, wie bei
kaum einem andern. Max Dauthendey hat als Angreifbarstes
ein Buch in Versen über eine Weltreise geschrieben, einen bibel-
dicken Band mit unzähligen Reimen innerhalb und am Cnde
unzähliger Vcrszeilen; bei manchen im Ganzen schöncn Stücken
ist das doch oft in wüste Reimerei ausgeartet. Aber die dichterischen
Äetaphern, Bilder, Vergleiche, in denen auf diesen Hunderten
von Seiten das blitzhaft erfaßte Leben in fünf Crdteilen, auf euro-
päischen Schiffen, in indischen Tempelstraßen wiedergegeben ist,
sind so schön, daß das Buch doch so etwas wie eine Bibel des
Lebens bleibt.
Dielleicht gclingt dem Dichter, was ihm mit allen seinen
poetischen, wirklich so poetischen Büchern nicht gelungen ist, mit
den drei Bänden, in denen er nun sein und seines Vaters Leben
beschrieben hat*. Denn hier sind keine Metaphern mehr, die es
zu kühn, und keine Handlungen mehr, die es zu fremd gewählt
finden könnte: Hier ist wirklich gelebtes Leben, aber freilich schön
gelebtes und schön erfaßtes und wiedergegebenes Leben, in dem
sich ein Dolk wohl einigen könnte. Dauthendeys Vater war der-
jenige, der die Photographie nach Deutschland gcbracht hat und
damit so etwas wie ein Zaubermeister für seine Zeit. Wie er um
des Fürwitzes willen, den die Beschäftigung mit der aufkommenden
Photographie für jene enge Zeit bedeutete, in Leipzig seine
Lehrstellung verlor; wie er nach Dessau an den Hof kam und mit
* „Der Geist meines Vaters. Aufzeichnungen aus einem
versunkenen Jahrhundert". 1 Bd. „Gedankengut aus meinen
Wanderjahren". 2 Bände.
seinen Künsten der Prophet einer neuen, naturhafteren Zeit
wurde; wie er in Petersburg in Verbindung mit dem Hofe ein
wohlhabender, angesehener Mann wurde und später im d'eutschen
Würzburg, im Kreise einer Kinderschar, dis sich um seine zweite
Gattin sammelte, an der Ausweitung deutscher Verhältnisse im
Zeitalter der neuen Technik und Industrie teilnahm: das gibt
Kulturbilder von großem und heute noch seltenem Reize. Aber
das Schönste an dem Buche ist auch das noch nicht; das ist,
wie der beschriebene Mensch, wcnn nicht eigentlich produkttv,
so doch voll von dämonischen Zügen, von unmLßigem Tätigkeits-
drang besessen, durch sein ganzes Leben hindurch als geistige Wesen-
heit, als Existenz im Hinblick auf das All klargemacht wird, Funke,
raketenhaft aufgestiegen aus der Gesamtmasse brennenden Lebens,
ein Stück All, herausgeschnitten vom Schöpser, mit dem Charakter,
der entsteht nach der Linie, die die Schere befolgt.
Jmmerhin: Der ums Technische bemühte Mensch lebt im Tage,
in der einzigen Richtung auf die Zukunft; auch er übernimmt
wohl von der Vergangenheit festgestellte Crkenntnisse, aber so, daß
ihm kaum zu überprüfen bleibt, nur zu bereichern. Der geistige
Mensch lebt mit der Richtung auf die Zukunft zugleich rückwärts
in die Vergangenheit; geistig leben heißt nicht nur räumlich mit der
Gesamtheit des Lebens rechnen, sondern auch historisch mit allem
Gewesenen Abrechnung halten, und am geistigen Iiel ist erst, wer
alles Gewesene in sich individuell vereinigend schöpferisch neu lebt.
Diese Veränderung der Lebensmethode muß einen schwindeln
machen, wenn man von dem Buche über den Vater zu dem über
den Dichter selbst übergeht, das doch mit gleicher Leichtigkeit und
graziöser Schönheit zumeist Vorgänge Lußeren Lebens schildert.
Dauthendey, der in seiner Iugend ein Träumer war, ist nicht
früh und erst nach heftigen Kämpfen mit seiner Umgebung zur
Klarheit über sein Wolle» und zur Berufswahl gekommen. Nachdem
er es, immer noch im Alter des Studenten, bci dem Vater durch-
geseht hatte, sich ganz der Vorbereitung auf eine dichterische TLttg-
keit zu widmen, ist er nach München, Berlin gegangen, gereist,
nach Schweden, England. Dann kam die Zeit der Suche nach einer
Frau, die er nach geraumer Weile und seltsamen Winkelzügen des
Schicksalsweges in einer Schwedin fand; es gibt nicht viele Liebes-
geschichten solcher Reinheit in deutscher Sprache wie diese erlebte
des reinen und schönen Mannes. Von dem Augenblick der Heirat
ab tritt bis in die Zeit über den Tod des Vaters hinaus die
pekuniäre Sorge bestimmend in das Leben ein, die auch die Reisen
nach Mexiko, Rußland, Griechenland verursacht hat, alles Be-
mühungen, eine feste Existenz unabhängig von den Cinnahmen
aus der Dichtung zu finden. Aber wiederum ist dies alles nicht
das Sckönste an dem Werk: Das ist, wie menschliche Existenz als
Teileristenz der Gesamtwelt erfaßt wird.
Dies zweite Werk heißt: „Gedankengut aus meinen Wander-
jahren", und in Sätzen, die immer wieder zu gesperrten Anrufen
aufspringen, will Dauthendey nicht mehr und nicht weniger, als
eine Philosophie, eine Religion verkünden. Cr meint, sie sei neu,
wenn er auch weiß, daß sie östlichem, indischem Glauben entspricht,
wie ihm Lstliche, indische, chinesische Lebensordnung und Kunst
immer wieder als die beste erscheint. Sie ist nicht neu. Es ist die-
selbe, die einst Emerson verkündet hat, die Bergsons Glauben heute
zugrunde liegt, wenn er sie auch durch die Beziehung zum Cnt-
wicklungsgedanken kompliziert hat; es ist die Weltanschauung der
Metapher, die sie predigt, indem sie ein Ding mit dem andern
vergleicht und also eine durchgehende Einheit des Alls annimmt.
Es ist die Weltanschauung der Poesie schlechthin, ganz aufs Lyrische
hin gewandt. Aber es ist wahr, daß er diese Anschauung sehr schön
aus einem Leben entwickelt, an Crkenntnissen und Crlebnifsen
gemessen und geprüft und leidenschaftlich erregt in Anwendung
auf die verschiedenen Gebiete des Handelns ausgesprochen hat.
Wären manche Kontroversen mit einem flach gewordenen Kirchen-
christentum auch unnötig, weil, was er Weltferne nennt, so leicht
zu dem Gott umzubilden wäre, an den die Kirchenchristen betend
glauben als an jenes Du, während er nur eine einzige Ich-Gottheit
anerkennen will, und ist auch der Gedanke der Erbsünde eine so
deutlich symbolische Crklärung der Tatsache des Todes im Leben
und des sich fortwirkenden Unheils, so sind diese gesperrt ge-
druckten, gesteigert und doch direkt ausgesprochenen Stellen des
Buches mehr als jene „Poetenphilosophie", die als cin dünnes
Nebengewässer nebcn dem Denken der Philosophen hinzufließen
pflegt: Ieugnis einer dichterischen geistigen Existenz, dic Ha!tung
über Zeit und Raum hin hat. Ioachim Benn.
7»