In den Lüften.
da überschwirrt ihn schon mit Wirbelkraft
der eigne Flug, der ihm die Luft entrafft.
Ein hartes Schütteln meistert rasch des Führers Hand.
Jedoch der Feind, er poltert wie von unsichtbarer Felsen-
wand.
Wie lang er ftürzt! Schon stürzen lauter Stücke,
das war die höchfte Not, die allerletzte Brücke!
Frei ift der Weg, laß weit die Iügel schießen!
Ein Grauen schwebt uns nach, des Sieges zu genicßen.
Noch einmal haft du, als die Wage sank,
den Zeiger angehalten, unser Dank,
Gewaltiger, ift neues, edles Wagen,
und kein Soldatenherz weiß mehr zu sagen. -
Da plötzlich wird es still, der Pulsschlag ftockt,
ein Rauschen nur, der aufgesurchten Lust entlockt,
zieht uns hinab, das Ohr klingt wie erstaunt, —
mein Führer schaut sich um und lächelt wohlgelaunt.
Wir nicken lang und ftumm, und keiner denkt daran,
daß man das fremde Wort jetzt wieder hören kann.
Verschwommen blinkt der Kranz dem Vogel an der Brust,
geschmeidig senkt er sich und gleitet stolzbewußt.
Schon hinter uns ist Feindesland,
da winkt auf breitem Feld ein weißeö Band,
viel andre Vögel dort in schimmerndem Bereiche
sind ftiedlich aufgereiht wie Linnen auf der Bleiche,
noch einmal wiehert laut das Luftroß, schaukelt, wiegt
auf harter Scholle sich und rennt und zerrt und liegt.
ankt Helena.
Von Kurt Kamlah.
Jm kleinen Salon mit der hellgelben chinesischen
Tapete saß Napoleon auf dem alten Kanapee. Vor ihm
standen in höfischer Haltung Las Cases und Graf Mon-
tholon, an der Tür lehnte mit mürrischem Gesicht Gour-
gaud, er fühlte sich wieder einmal gekränkt und ant-
wortete nur auf unmittelbar an ihn gerichtete Fragen
kurz und widerwillig, obwohl der Kaiser ihm wie einem
unartigen Kinde mehrfach freundlich zugeredet hatte.
Es war zehn Uhr abends, der ewige Wind Sankt Helenas
rüttelte an den Fensterläden und erinnerte die gleichsam
Eingeschlossenen an die trostlose Einsamkeit der Jnsel in
der ungeheuren Weite des Ozeans. Vor ihren inneren
Augen wälzten sich rastlos die weißköpfigen Wogen
heran, sie sahen den leeren Horizont, die kahlen Felsen
und tiefen Abgründe, sie fühlten die unendliche Dunkel-
heit der Regennacht, und ihre Gedanken wanderten in
Frankreich. —
Die grauen Augen Napoleons blickten ruhig unter
der gewaltigen Stirn, zuweilen hafteten sie auf dem von
Jsabey gemalten Bilde Marie Luises, die in dieser
Stunde zu Parma mit dem Grafen Neipperg ein ge-
dankenloses Liebesglück genoß. Seine weiche feine
Frauenhand spielte mit einer goldenen Dose, der Fuß
des übergeschlagenen linken Beines wippte schwach im
Rhythmus mit dem Pulsschlage. Ein stärkerer Luft-
druck blies einen kühlen Hauch in das Aimmer und er-
innerte an das tückische Klima, in dem noch kein Mensch
das Alter von sechzig Jahren erreicht hatte — die Eng-
länder kannten ihre Jnsel.
Jn einer Windpause wurde das Nagen der Ratten
unter dem halbverfaulten Fußboden hörbar.
„Nun?" fragte der Kaiser zum zweiten Male.
„Sire," antwortete Las Cases, „es ist ganz richtig.
Aber die Abtrünnigen begingen eben nach ihrer Über-
zeugung keine Schamlosigkeit. Die Bourbonen waren
wieder im Lande, die Krone —"
Ein spöttisches Lachen unterbrach ihn:
„Die ich in der Gosse fand und mit der Spitze meines
Schwertes herausfischte," rief Napoleon, und seine linke
Wade zitterte.
Las Cases verneigte sich: „Es erschien so leicht, wieder
in die Dienste des angestammten Herrscherhauses zu treten.
Sie alle hätten ja Vermögen, Stellung und Freiheit ver-
loren, das entschuldigte sie in ihren Augen."
„Nein, nein, Las Cases, das ist es nicht! Sie sind
die richtigen Enkel der alten Gallier; da liegt es. Sie
drehen sich nach jedem Winde, der eine Veränderung
bringt, ohne es selbst zu wissen, ohne an eigennützige
Zwecke zu denken. Der Franzose ist kein überlegender
Selbstsüchtling, er greift wie ein neugieriges Kind nach
allem Neuen. Jn kaum einem halben Jahrhundert hat
er einen König, eine Republik, einen Kaiser und wieder
einen König gehabt, und in der andern Hälfte wird es
ähnlich gehen. Unbeständigkeit, Leichtsinn und Eitel-
keit liegen als Erbteil in ihm, das sagen die Geschichts-
schreiber aller Aeiten. Soll man ihn jetzt für diese Eigen-
schaften verantwortlich machen? Man muß seine Fehler
kennen, sie benutzen und seine Vorzüge lieben. Jch habe
dieses Volk mit allen seinen Schwächen immer richtig
eingeschätzt, vielleicht, weil ich ein — Korse bin. Und
deshalb hab ich so viel mit ihm erreicht. Ach, ich wäre
heute noch ihr Kaiser, wenn Grouchy bei Waterloo —"
Er brach ab und warf ein zusammengeballtes Tuch
nach einer Ratte, die durch den Raum huschte. Gourgaud
hob die bunte Seide auf und legte sie auf den Tisch mit
der Miene eines Menschen, der trotz aller Kränkung edel-
mütig seinen unentwegten Diensteifer bezeugt.
Der Kaiser schwieg eine Zeitlang und lauschte den
Windstößen. Die Stimmung wurde schwerer, die Lampe
schien düsterer zu brennen. Dann sagte Napoleon leise:
„Vielleicht hätte ich, und nur ich, die Nationalfehler der
Franzosen bessern können. Mit den Jahrzehnten wären
meine neuen Schulen und meine Unterrichtsmethoden
doch nicht ohne Einfluß geblieben, sie hätten eine neue
Generation mit neuen Einsichten und Erkenntnissen ge-
schaffen. Jch würde ernstlich versucht'haben, nach Ab-
schluß aller Kriege in diesem Volke das Beste zu wecken
und das Schlechte allmählich ersterben zu lassen. Mein
Sohn hätte einst die Anzeichen einer Umwandlung be-
merken können, was meinen Sie, Montholon?"
„Sire, ich glaube, daß die Franzosen mehr als ein
anderes Volk ihre Eigentümlichkeiten bewahren werden.
Sie bluteten für Eure Majestät bis zum äußersten und
jubelten den Bourbonen zu. Sie werden immer tapfer,
entflammt für den Augenblick sein und überlaut jedes
Unglück bejammern. Alle guten Schulen und Gesetze
würden keine Anderung bringen, sie sind und bleiben
Kinder und Helden, Wütende und Lachende —".
„Ja, Tigeraffen," nickte der Kaiser und preßte die
kräftige Unterlippe gegen die obere.
2?7
da überschwirrt ihn schon mit Wirbelkraft
der eigne Flug, der ihm die Luft entrafft.
Ein hartes Schütteln meistert rasch des Führers Hand.
Jedoch der Feind, er poltert wie von unsichtbarer Felsen-
wand.
Wie lang er ftürzt! Schon stürzen lauter Stücke,
das war die höchfte Not, die allerletzte Brücke!
Frei ift der Weg, laß weit die Iügel schießen!
Ein Grauen schwebt uns nach, des Sieges zu genicßen.
Noch einmal haft du, als die Wage sank,
den Zeiger angehalten, unser Dank,
Gewaltiger, ift neues, edles Wagen,
und kein Soldatenherz weiß mehr zu sagen. -
Da plötzlich wird es still, der Pulsschlag ftockt,
ein Rauschen nur, der aufgesurchten Lust entlockt,
zieht uns hinab, das Ohr klingt wie erstaunt, —
mein Führer schaut sich um und lächelt wohlgelaunt.
Wir nicken lang und ftumm, und keiner denkt daran,
daß man das fremde Wort jetzt wieder hören kann.
Verschwommen blinkt der Kranz dem Vogel an der Brust,
geschmeidig senkt er sich und gleitet stolzbewußt.
Schon hinter uns ist Feindesland,
da winkt auf breitem Feld ein weißeö Band,
viel andre Vögel dort in schimmerndem Bereiche
sind ftiedlich aufgereiht wie Linnen auf der Bleiche,
noch einmal wiehert laut das Luftroß, schaukelt, wiegt
auf harter Scholle sich und rennt und zerrt und liegt.
ankt Helena.
Von Kurt Kamlah.
Jm kleinen Salon mit der hellgelben chinesischen
Tapete saß Napoleon auf dem alten Kanapee. Vor ihm
standen in höfischer Haltung Las Cases und Graf Mon-
tholon, an der Tür lehnte mit mürrischem Gesicht Gour-
gaud, er fühlte sich wieder einmal gekränkt und ant-
wortete nur auf unmittelbar an ihn gerichtete Fragen
kurz und widerwillig, obwohl der Kaiser ihm wie einem
unartigen Kinde mehrfach freundlich zugeredet hatte.
Es war zehn Uhr abends, der ewige Wind Sankt Helenas
rüttelte an den Fensterläden und erinnerte die gleichsam
Eingeschlossenen an die trostlose Einsamkeit der Jnsel in
der ungeheuren Weite des Ozeans. Vor ihren inneren
Augen wälzten sich rastlos die weißköpfigen Wogen
heran, sie sahen den leeren Horizont, die kahlen Felsen
und tiefen Abgründe, sie fühlten die unendliche Dunkel-
heit der Regennacht, und ihre Gedanken wanderten in
Frankreich. —
Die grauen Augen Napoleons blickten ruhig unter
der gewaltigen Stirn, zuweilen hafteten sie auf dem von
Jsabey gemalten Bilde Marie Luises, die in dieser
Stunde zu Parma mit dem Grafen Neipperg ein ge-
dankenloses Liebesglück genoß. Seine weiche feine
Frauenhand spielte mit einer goldenen Dose, der Fuß
des übergeschlagenen linken Beines wippte schwach im
Rhythmus mit dem Pulsschlage. Ein stärkerer Luft-
druck blies einen kühlen Hauch in das Aimmer und er-
innerte an das tückische Klima, in dem noch kein Mensch
das Alter von sechzig Jahren erreicht hatte — die Eng-
länder kannten ihre Jnsel.
Jn einer Windpause wurde das Nagen der Ratten
unter dem halbverfaulten Fußboden hörbar.
„Nun?" fragte der Kaiser zum zweiten Male.
„Sire," antwortete Las Cases, „es ist ganz richtig.
Aber die Abtrünnigen begingen eben nach ihrer Über-
zeugung keine Schamlosigkeit. Die Bourbonen waren
wieder im Lande, die Krone —"
Ein spöttisches Lachen unterbrach ihn:
„Die ich in der Gosse fand und mit der Spitze meines
Schwertes herausfischte," rief Napoleon, und seine linke
Wade zitterte.
Las Cases verneigte sich: „Es erschien so leicht, wieder
in die Dienste des angestammten Herrscherhauses zu treten.
Sie alle hätten ja Vermögen, Stellung und Freiheit ver-
loren, das entschuldigte sie in ihren Augen."
„Nein, nein, Las Cases, das ist es nicht! Sie sind
die richtigen Enkel der alten Gallier; da liegt es. Sie
drehen sich nach jedem Winde, der eine Veränderung
bringt, ohne es selbst zu wissen, ohne an eigennützige
Zwecke zu denken. Der Franzose ist kein überlegender
Selbstsüchtling, er greift wie ein neugieriges Kind nach
allem Neuen. Jn kaum einem halben Jahrhundert hat
er einen König, eine Republik, einen Kaiser und wieder
einen König gehabt, und in der andern Hälfte wird es
ähnlich gehen. Unbeständigkeit, Leichtsinn und Eitel-
keit liegen als Erbteil in ihm, das sagen die Geschichts-
schreiber aller Aeiten. Soll man ihn jetzt für diese Eigen-
schaften verantwortlich machen? Man muß seine Fehler
kennen, sie benutzen und seine Vorzüge lieben. Jch habe
dieses Volk mit allen seinen Schwächen immer richtig
eingeschätzt, vielleicht, weil ich ein — Korse bin. Und
deshalb hab ich so viel mit ihm erreicht. Ach, ich wäre
heute noch ihr Kaiser, wenn Grouchy bei Waterloo —"
Er brach ab und warf ein zusammengeballtes Tuch
nach einer Ratte, die durch den Raum huschte. Gourgaud
hob die bunte Seide auf und legte sie auf den Tisch mit
der Miene eines Menschen, der trotz aller Kränkung edel-
mütig seinen unentwegten Diensteifer bezeugt.
Der Kaiser schwieg eine Zeitlang und lauschte den
Windstößen. Die Stimmung wurde schwerer, die Lampe
schien düsterer zu brennen. Dann sagte Napoleon leise:
„Vielleicht hätte ich, und nur ich, die Nationalfehler der
Franzosen bessern können. Mit den Jahrzehnten wären
meine neuen Schulen und meine Unterrichtsmethoden
doch nicht ohne Einfluß geblieben, sie hätten eine neue
Generation mit neuen Einsichten und Erkenntnissen ge-
schaffen. Jch würde ernstlich versucht'haben, nach Ab-
schluß aller Kriege in diesem Volke das Beste zu wecken
und das Schlechte allmählich ersterben zu lassen. Mein
Sohn hätte einst die Anzeichen einer Umwandlung be-
merken können, was meinen Sie, Montholon?"
„Sire, ich glaube, daß die Franzosen mehr als ein
anderes Volk ihre Eigentümlichkeiten bewahren werden.
Sie bluteten für Eure Majestät bis zum äußersten und
jubelten den Bourbonen zu. Sie werden immer tapfer,
entflammt für den Augenblick sein und überlaut jedes
Unglück bejammern. Alle guten Schulen und Gesetze
würden keine Anderung bringen, sie sind und bleiben
Kinder und Helden, Wütende und Lachende —".
„Ja, Tigeraffen," nickte der Kaiser und preßte die
kräftige Unterlippe gegen die obere.
2?7