»wei Gedichte von Schmid-Noerz.
i Winterwanderung.
Es stehn die Bäume nebelschwarz
und in den dürren Asten knarrt's:
Der Abend kommt mit Schneien.
Nun wachs ich wandernd still und klein
ins schiefergraue Land hinein.
Das will mich sacht befreien.
Nichts Laut's mehr regt sich, wo ich geh.
Mein Mantel ist schon weiß von Schnee,
so weiß, wie Weg und Wiesen.
Und was mir lieb und was verhaßt,
ist, wie die Stadt, im Dunst verblaßt
zu fernen Bilderfriesen.
Nun ist kein Jch und Du mehr not.
Geburt und Sterben, Sein und Tod
sind Worte; Wind und Worte.
Der Schnee, der Luft und Land erfüllt
und mich in seinen Wirbel hüllt,
weiß weder Aeit noch Orte.
Und was noch ragt, das löst sich sacht
im aufgetanen Schoß der Nacht
und will ins Ganze gleiten —.
O Mensch! Nun achte dein mit Fleiß,
findst nie zurück sonst deinen Kreis!
— Gott gnade den Verschneiten!
Finkentrost.
Jch hört ein Finklein pfeifen: Kilewitt!
das tät ans Herz mir greifen,
wer weiß, warum so sonderbar:
Kilewitt! Kilewitt!
Das pfiff mit langer Kehle: Kilewitt.
Da frug ich, was ihm fehle,
weils doch im schönsten Frühherbst war?
Kilewitt! Kilewitt! Kilewitt!
Da pfiff der Fink aufs beste: Kilewitt!
und flog zu seinem Neste.
Und ach! das Nest war kalt und leer:
Kilewitt! Kilewitt!
Die Finkin, sollt mans glauben: Kilewitt!
war auswärts in den Trauben.
Trug nicht nach Fink noch Nest Begehr:
Kilewitt! Kilewitt! Kilewitt!
Da bin ich weitergangen: Kilewitt!
Vom Finkenlied befangen.
Jetzt wußt ich wohl, wie sonderbar:
Kilewitt! Kilewitt!
Jch pfisf zum Fink hinüber: Kilewitt!
Pfeif du nur zu, mein Lieber,
dir gehts wie mir, als auf ein Haar:
Kilewitt! Kilewittü Kilewittü!
ie deutsche Idealität*.
Von Karl Joöl.
Mag man auch Deutschland selbst in seincm heutigen Lebens-
zustand, mag man die deutsche Nealität noch so unvollkommcn
finden oder.doch sic zu loben sich scheucn, die deutsche Jdealität
darf man preisen, weil sie vereinigt, was andcrn ewig widcr-
sprechend scheint, weil sie die Einheit sucht von Kraft und Ord-
nung, von Freihcit und Gcseh, von Selbstherrlichkeit und hin-
gebcndem Dienst, von Eigenheit und Allgemeinsinn, die Cinheit
cben von Jndividualismus und Absolutismus. Dic Deutschen
mußtcn zu Denkern werden, wcil widersprechende Jdeale in ihre
Brust gelegt sind. Und das deutsche Denken wicder mußte scin.,
Jdealprinzip finden in der Einheit der Gegensähe. So verkitndet
ja schon der crste deutsche Denker, der Cusaner als seine Grund-
lehre die Einheit aller Gcgensätze in Gott und wagt sogar dcn
Vcrsuch, den Islam mit dem Christentum zu vereinigen. Dann
wird I. Böhmes Kindergemüt zum ringenden Grübler nur aus
dem Verlangen hcraus, das Böse mit dem Gutcn auizugleichen
zur Weltharmonie. Dann setzt sich Lcibniz zum Lcbensplan dic
Versöhnung der Konfessionen wic der philosophischen Zeitgcister
und Nichtungen, die alle ihm Wahrheit zu enthalten scheinen.
Dann fordert Kant schon in sciner CrstlingSschrift für jeden Streit
einen Mittelsatz, der beiden Parteien recht gibt, und in ricsen-
großer Crfüllung dicser Forderung erhebt sich seine CrkcnntniS-
theorie als Kritik und Ausgleich Uber dic beiden streitenden Grund-
richtungen ncuzeitlicher Philosophie. Das große Prinzip dcr Syn-
these aber, mit dem er die Aufklärung überwindet, wird über
Kant hinaus, in steigcnder Überwindung all der Gegensätze, dic
er noch stchen ließ, fortgeführt von Hcrder, Neinhold und Schiller
und höher noch von Fichte, Schelling und Hegel und wird zum
Grundtrieb all ihrcr Lehren. Wenn Schelling in seinem „Ideal-
realismus" die Identität der Gegensätzc verkündet, wenn Hegel
und Krause für ihre hochsynthetischen Lehren allc Sektennamen
zugleichbeanspruchen, wenn Krause und Fechner die Weltvcrbrüde-
' Aus „Neue Weltkultur" von Karl IoSt (Dcrlaq von Kurt
PVolff, Leipzig I-I5).
rung bis auf bewohnte und beseelte Sterne hinaustragen, wenn
die Nomantik in Novalis eine Welthochzeit aller Gegensütze feiert,
wenn selbst dem grimmen Schopenhauer die Scheidewand der
Jndividuen als trügender Schein versinkt und selbst der kritisch
kühlc Herbart Auflösung aller Widersprüche fordert, wcnn noch
ein Hartmann die Antipoden Hcgel und Schopenhauer wie die
Gegensätze der Jnduktion und Spekulation vereinigen will und
noch cin Lotze nur philosophieren will, um die Änsprüche des
Derstandes mit denen des Gemüts zu versöhnen, so sieht man:
das ganze große deutsche Denken ist getrieben vom Zug der Eini-
gung, des Ausgleichs, der Synthese.
ist in tiefster Seele treu,
der die Heimat so liebt wie du".
Wenn cs auch nicht so restlos wahr ist, so stimmt es doch bei-
nahe, daß die Soldaten, die draußen sind oder waren, alles, nur
keine Bücher vom Krieg lesen mögen. Es mag sein, daß ihre ge-
steigerten Erlebnisse, ihre Crinnerung jede, auch die beste Schilde-
rung farblos machen, sicher aber fühlen sie sich am stärksten abge-
stoßen von dem Fanfarenton der Lobredner auf deutsches Wesen,
der wenigstens denen, die etwas geleistet haben, schon aus Scham-
gefühl unbequem sein muß. Doch ist der Wunsch zu lesen bei den
Soldaten und den Zuhausegebliebenen fast dringlicher als sonst.
Ium Teil treibt die grelle Erkenntnis der in harmloser Sicherheit
* Theodor Fontane, Gesammelte Werke, eine Auswabl
in fünf Bänden bei S. Fischer, Berlin, in Leinen gebunden (Einband-
entwurf von C. R. Weiß), 20 Mark.
Sammlung von Schristen zur Zeitgeschichtc bei S. Fischer,
Berlin, jeder Pappband 1 Mark.
Band 3: Der englische Charakter, heute wie gestern, von Theo-
dor Fontane.
Band ö: Friedrich und die große Koalition, von Thomas Mann.
Band 8: Der deutsche Mensch, von Leopold Ziegler.
Band 9: Russischer Volksimperialismus, von Karl Leuthner.
i Winterwanderung.
Es stehn die Bäume nebelschwarz
und in den dürren Asten knarrt's:
Der Abend kommt mit Schneien.
Nun wachs ich wandernd still und klein
ins schiefergraue Land hinein.
Das will mich sacht befreien.
Nichts Laut's mehr regt sich, wo ich geh.
Mein Mantel ist schon weiß von Schnee,
so weiß, wie Weg und Wiesen.
Und was mir lieb und was verhaßt,
ist, wie die Stadt, im Dunst verblaßt
zu fernen Bilderfriesen.
Nun ist kein Jch und Du mehr not.
Geburt und Sterben, Sein und Tod
sind Worte; Wind und Worte.
Der Schnee, der Luft und Land erfüllt
und mich in seinen Wirbel hüllt,
weiß weder Aeit noch Orte.
Und was noch ragt, das löst sich sacht
im aufgetanen Schoß der Nacht
und will ins Ganze gleiten —.
O Mensch! Nun achte dein mit Fleiß,
findst nie zurück sonst deinen Kreis!
— Gott gnade den Verschneiten!
Finkentrost.
Jch hört ein Finklein pfeifen: Kilewitt!
das tät ans Herz mir greifen,
wer weiß, warum so sonderbar:
Kilewitt! Kilewitt!
Das pfiff mit langer Kehle: Kilewitt.
Da frug ich, was ihm fehle,
weils doch im schönsten Frühherbst war?
Kilewitt! Kilewitt! Kilewitt!
Da pfiff der Fink aufs beste: Kilewitt!
und flog zu seinem Neste.
Und ach! das Nest war kalt und leer:
Kilewitt! Kilewitt!
Die Finkin, sollt mans glauben: Kilewitt!
war auswärts in den Trauben.
Trug nicht nach Fink noch Nest Begehr:
Kilewitt! Kilewitt! Kilewitt!
Da bin ich weitergangen: Kilewitt!
Vom Finkenlied befangen.
Jetzt wußt ich wohl, wie sonderbar:
Kilewitt! Kilewitt!
Jch pfisf zum Fink hinüber: Kilewitt!
Pfeif du nur zu, mein Lieber,
dir gehts wie mir, als auf ein Haar:
Kilewitt! Kilewittü Kilewittü!
ie deutsche Idealität*.
Von Karl Joöl.
Mag man auch Deutschland selbst in seincm heutigen Lebens-
zustand, mag man die deutsche Nealität noch so unvollkommcn
finden oder.doch sic zu loben sich scheucn, die deutsche Jdealität
darf man preisen, weil sie vereinigt, was andcrn ewig widcr-
sprechend scheint, weil sie die Einheit sucht von Kraft und Ord-
nung, von Freihcit und Gcseh, von Selbstherrlichkeit und hin-
gebcndem Dienst, von Eigenheit und Allgemeinsinn, die Cinheit
cben von Jndividualismus und Absolutismus. Dic Deutschen
mußtcn zu Denkern werden, wcil widersprechende Jdeale in ihre
Brust gelegt sind. Und das deutsche Denken wicder mußte scin.,
Jdealprinzip finden in der Einheit der Gegensähe. So verkitndet
ja schon der crste deutsche Denker, der Cusaner als seine Grund-
lehre die Einheit aller Gcgensätze in Gott und wagt sogar dcn
Vcrsuch, den Islam mit dem Christentum zu vereinigen. Dann
wird I. Böhmes Kindergemüt zum ringenden Grübler nur aus
dem Verlangen hcraus, das Böse mit dem Gutcn auizugleichen
zur Weltharmonie. Dann setzt sich Lcibniz zum Lcbensplan dic
Versöhnung der Konfessionen wic der philosophischen Zeitgcister
und Nichtungen, die alle ihm Wahrheit zu enthalten scheinen.
Dann fordert Kant schon in sciner CrstlingSschrift für jeden Streit
einen Mittelsatz, der beiden Parteien recht gibt, und in ricsen-
großer Crfüllung dicser Forderung erhebt sich seine CrkcnntniS-
theorie als Kritik und Ausgleich Uber dic beiden streitenden Grund-
richtungen ncuzeitlicher Philosophie. Das große Prinzip dcr Syn-
these aber, mit dem er die Aufklärung überwindet, wird über
Kant hinaus, in steigcnder Überwindung all der Gegensätze, dic
er noch stchen ließ, fortgeführt von Hcrder, Neinhold und Schiller
und höher noch von Fichte, Schelling und Hegel und wird zum
Grundtrieb all ihrcr Lehren. Wenn Schelling in seinem „Ideal-
realismus" die Identität der Gegensätzc verkündet, wenn Hegel
und Krause für ihre hochsynthetischen Lehren allc Sektennamen
zugleichbeanspruchen, wenn Krause und Fechner die Weltvcrbrüde-
' Aus „Neue Weltkultur" von Karl IoSt (Dcrlaq von Kurt
PVolff, Leipzig I-I5).
rung bis auf bewohnte und beseelte Sterne hinaustragen, wenn
die Nomantik in Novalis eine Welthochzeit aller Gegensütze feiert,
wenn selbst dem grimmen Schopenhauer die Scheidewand der
Jndividuen als trügender Schein versinkt und selbst der kritisch
kühlc Herbart Auflösung aller Widersprüche fordert, wcnn noch
ein Hartmann die Antipoden Hcgel und Schopenhauer wie die
Gegensätze der Jnduktion und Spekulation vereinigen will und
noch cin Lotze nur philosophieren will, um die Änsprüche des
Derstandes mit denen des Gemüts zu versöhnen, so sieht man:
das ganze große deutsche Denken ist getrieben vom Zug der Eini-
gung, des Ausgleichs, der Synthese.
ist in tiefster Seele treu,
der die Heimat so liebt wie du".
Wenn cs auch nicht so restlos wahr ist, so stimmt es doch bei-
nahe, daß die Soldaten, die draußen sind oder waren, alles, nur
keine Bücher vom Krieg lesen mögen. Es mag sein, daß ihre ge-
steigerten Erlebnisse, ihre Crinnerung jede, auch die beste Schilde-
rung farblos machen, sicher aber fühlen sie sich am stärksten abge-
stoßen von dem Fanfarenton der Lobredner auf deutsches Wesen,
der wenigstens denen, die etwas geleistet haben, schon aus Scham-
gefühl unbequem sein muß. Doch ist der Wunsch zu lesen bei den
Soldaten und den Zuhausegebliebenen fast dringlicher als sonst.
Ium Teil treibt die grelle Erkenntnis der in harmloser Sicherheit
* Theodor Fontane, Gesammelte Werke, eine Auswabl
in fünf Bänden bei S. Fischer, Berlin, in Leinen gebunden (Einband-
entwurf von C. R. Weiß), 20 Mark.
Sammlung von Schristen zur Zeitgeschichtc bei S. Fischer,
Berlin, jeder Pappband 1 Mark.
Band 3: Der englische Charakter, heute wie gestern, von Theo-
dor Fontane.
Band ö: Friedrich und die große Koalition, von Thomas Mann.
Band 8: Der deutsche Mensch, von Leopold Ziegler.
Band 9: Russischer Volksimperialismus, von Karl Leuthner.