Karl Scheffler, Italien und die Gegenwart.
ihn ewig verschlossen blieben. — Woher weiß Scheffler,
daß nicht auch heute noch, gerade in dieser Gegenwart,
aus der Berührung mit der italienischen Renaissance un-
mittelbarsies Leben entspringen kann?
Der gleichen Gesinnung begegnen wir heute Schritt
auf Schritt. Wir treffen sie, merkwürdiger-, fast un-
glaublicherweise, sogar bei einer gewissen Klasse von
Künstlern, die nicht ihre ursprüngliche Empsindung und
Gestaltungskraft, ihr „Talent" — ein Wort, das in jenen
Kreisen schon beinahe cine Herabwürdigung bedeutet —
zur künstlerischen Produktion treibt, sondern die Gesin-
nung, bald befruchtet durch das Leiden an der Not der
Aeit, bald getrieben durch die ErkenntniS des „Aeit-
geistes", und den Willen, diesen Geist zu verkörpern.
Jhre Werke gleichen oft moralisierendcn Predigten,
oder es sind gewaltsame Erzesse des Willens — immer
haben sie ctwas an sich, was sie sofort alö Produkte
der Gegenwart erkennen laßt, und was sie daher allen
denen, die sich nur betrachtend der Erkenntnis des Aeit-
geistes widmen, sehr vertraut macht. Denn diese Be-
trachter gleichen darin jenen Künstlern aufs Haar,
daß auch sie nicht aus einem unmittelbaren seelischen
Bedürfnis nach Anschauung der Kunst nachstreben,
sondern in nwralischen Nöten oder aus Erkenntnistrieb,
jedenfalls auf ganz krummen und irreführenden Wegen.
Sie sind glücklich, wenn sie einer Produktion begegnen,
die man mit einigcn Formeln als ein Geschöpf der Aeit
kennzeichnen kann, ohne daß man einer besonderen
Feinheit der Anschauung bedarf, um in ihr Wesen ein-
zudringen. Freilich ist es schwerer, den tiefen Wesens-
unterschied zwischen einer Fassade von Palladio und
einer von Jhne zu erkennen und zu erleben, als an einem
Bau von Van de Velde das Ieitgemäße freudig fest-
zustellen. Ob aber dieses Ieitgemaße wirklich aus den
dunklen Tiefen der Aeit stammt, oder ob es nicht nur
dem Schaum gleicht, der ganz an der Oberflache, im
Augenblick wieder vergehend, auf den Wellen spielt, die
dem Kiel eines Bootes folgen, — wer legt fich diese
Frage vor? Und niemand denkt daran, daß vielleicht in
anderen Schöpfungen der Aeit, die sich nur der fühlen-
den Seele erschließen, nicht äußerlich mit Formeln
saßbar sind und sich nicht gleich auf den ersten Augen-
blick als zeitgemäß zu erkennen geben, die also nichts
wie „gut" sind, mehr lebendige Kraft, ja sogar mehr vom
tiefen Geist der Aeit liegt, der allerdings erst einer Iu-
kunft klar erkennbar sein wird.-
Auch Meier-Graefe hat einmal eine Reise gemacht
und darüber ein arg fchnoddriges Buch geschrieben, über
das sich viele recht herzlich geärgert haben. Wenn ich
heute zwischen diescr „Spanischen Reise" und Schefflers
„Jtalien" wählen sollte, — wahrhaftig, ich würde mich
für Meier-Graefe entscheiden. Sein Buch scheint zuerst
nichts zu sein als ein amüsantes, feuilletonistisches Jm-
promptu, nicht ohne Geist und trotz aller schriftstelle-
rischen Kulturlosigkeit sehr lebensvoll in der Schilde-
rung der Figuren und Erlebnisse. Wenn man näher
zusieht, merkt man, daß er sich doch jedes der Dinge,
über die er schreibt, lang und wiederholt angesehen hat,
daß er wahrscheinlich vor jedem der Bilder Grecos
stundenlang gesessen ist und daß viel Ernsthaftes in dem
Buche steht. — Schefflers Buch wirkt zuerst wie die
Gründlichkeit selbst. Dann aber bemerkt man, daß er
wahrscheinlich kein einziges der erwähnten Werke lange
und mehrmals angesehen hat, und daß er für seine Auf-
gabe, die mindestens den zwanzigfachen Umfang der
Aufgabe hatte, die sich Meier-Graefe gestellt hatte, nicht
die Hälfte Ieit übrig hatte; und dann erscheint einem
sein ganzes Unterfangen leichtsinnig und anmaßend. —
Und noch eins: Meier-Graefe hat uns von seiner Reise
den Greco mitgebracht, wahrhaftig ein großeü und
ewiges Geschenk. Scheffler bringt uns nur ein paar
Kapitel mit neuen, schönen Worten für längst bekannte
Dinge, und dann sich selbst in der selbstverliehenen
Würde dessen, der die Verantwortung übernommcn
hat für den Geist der Ieit, für die Reinheit und Festig-
keit ihres Charakters, und der schwer an dieser unge-
heuren Last zu tragen hat. W. Riezler.
ie drei Brirder.
Erzählung von Hermann Hesse.
Vor mehr als hundert Jahren standen auf dem
grünen Friedhof des Hospitals zum heiligen Geist in
Berlin drei herrliche alte Linden, die waren so groß,
daß sie den ganzen Friedhof wie ein gewaltiges Dach
mit den ineinander gewachsenen Ästen und Iweigen
ihrer riesigen Kronen überwölbten. Die Herkunft dieser
schönen Lindenbäume aber, welche wiederum Jahr-
hunderte weiter zurückliegt, wird so berichtet:
Es lebten in Berlin drei Brüder, die hielten eine so
innige Freundschaft und Vertraulichkeit miteinander,
wie man sie selten sieht. Nun geschah es eines Tages,
daß der jüngste von ihnen am Abend allein ausging
und seinen Brüdern nichts davon sagte, weil er in einer
entfernten Gasse ein Mädchen treffen und mit ihr
spazieren gehen wollte. Noch ehe er aber jenen Ort er-
reicht hatte, wie er so in angenehmcn Träumen dahin-
schritt, hörte er aus einem Winkel zwischen zwei Häusern,
wo es dunkcl und einsam war, ein leises Klagen und
Röcheln, dem er alsbald nachging; denn er meinte, es
liege da irgendein Tier, oder vielleicht ein Kind, dem
ein Mißgeschick zugestoßen, und warte auf Hilfe. Wie
er in die Dunkelheit des verschwiegenen Ortes eintrat,
sah er mit Schrecken daselbst einen Menschen in seinem
Blute liegen, beugte sich über ihn und fragte mitleidig,
was ihm denn zugestoßen sei, erhielt aber keine Antwort
als ein schwaches Stöhnen und Schlucken, denn der Ver-
letzte lag mit einer Messerwunde im Herzen und verschied
nach wenigen Augenblicken in den Armen scines Helfers.
Der junge Mensch wußte nicht, was nun zu tun sei,
und begab sich, da der Ermordete kein weiteres Lebens-
zeichen mehr von sich gab, bestürzt und ratlos mit un-
schlüssigen Schritten auf die Gasse zurück. Hier aber
begegneten ihm in diesem Augenblick zwei Schar-
wächter, und wahrend er noch sann, ob er ihre Hilfe an-
rufen oder lieber unbeschrien davongehen sollte, sahen
die Wächter sein erschrockenes Wesen, traten auf ihn hin,
sahen alsbald Blut an seinen Schuhen und Rockärmeln
und nahmen ihn mit Gewalt fest, wenig auf das hörend,
was er nun flehentlich zu erzahlen begann. Sie fanden
den Toten nebenan schon im Erkalten und nahmen den
ihn ewig verschlossen blieben. — Woher weiß Scheffler,
daß nicht auch heute noch, gerade in dieser Gegenwart,
aus der Berührung mit der italienischen Renaissance un-
mittelbarsies Leben entspringen kann?
Der gleichen Gesinnung begegnen wir heute Schritt
auf Schritt. Wir treffen sie, merkwürdiger-, fast un-
glaublicherweise, sogar bei einer gewissen Klasse von
Künstlern, die nicht ihre ursprüngliche Empsindung und
Gestaltungskraft, ihr „Talent" — ein Wort, das in jenen
Kreisen schon beinahe cine Herabwürdigung bedeutet —
zur künstlerischen Produktion treibt, sondern die Gesin-
nung, bald befruchtet durch das Leiden an der Not der
Aeit, bald getrieben durch die ErkenntniS des „Aeit-
geistes", und den Willen, diesen Geist zu verkörpern.
Jhre Werke gleichen oft moralisierendcn Predigten,
oder es sind gewaltsame Erzesse des Willens — immer
haben sie ctwas an sich, was sie sofort alö Produkte
der Gegenwart erkennen laßt, und was sie daher allen
denen, die sich nur betrachtend der Erkenntnis des Aeit-
geistes widmen, sehr vertraut macht. Denn diese Be-
trachter gleichen darin jenen Künstlern aufs Haar,
daß auch sie nicht aus einem unmittelbaren seelischen
Bedürfnis nach Anschauung der Kunst nachstreben,
sondern in nwralischen Nöten oder aus Erkenntnistrieb,
jedenfalls auf ganz krummen und irreführenden Wegen.
Sie sind glücklich, wenn sie einer Produktion begegnen,
die man mit einigcn Formeln als ein Geschöpf der Aeit
kennzeichnen kann, ohne daß man einer besonderen
Feinheit der Anschauung bedarf, um in ihr Wesen ein-
zudringen. Freilich ist es schwerer, den tiefen Wesens-
unterschied zwischen einer Fassade von Palladio und
einer von Jhne zu erkennen und zu erleben, als an einem
Bau von Van de Velde das Ieitgemäße freudig fest-
zustellen. Ob aber dieses Ieitgemaße wirklich aus den
dunklen Tiefen der Aeit stammt, oder ob es nicht nur
dem Schaum gleicht, der ganz an der Oberflache, im
Augenblick wieder vergehend, auf den Wellen spielt, die
dem Kiel eines Bootes folgen, — wer legt fich diese
Frage vor? Und niemand denkt daran, daß vielleicht in
anderen Schöpfungen der Aeit, die sich nur der fühlen-
den Seele erschließen, nicht äußerlich mit Formeln
saßbar sind und sich nicht gleich auf den ersten Augen-
blick als zeitgemäß zu erkennen geben, die also nichts
wie „gut" sind, mehr lebendige Kraft, ja sogar mehr vom
tiefen Geist der Aeit liegt, der allerdings erst einer Iu-
kunft klar erkennbar sein wird.-
Auch Meier-Graefe hat einmal eine Reise gemacht
und darüber ein arg fchnoddriges Buch geschrieben, über
das sich viele recht herzlich geärgert haben. Wenn ich
heute zwischen diescr „Spanischen Reise" und Schefflers
„Jtalien" wählen sollte, — wahrhaftig, ich würde mich
für Meier-Graefe entscheiden. Sein Buch scheint zuerst
nichts zu sein als ein amüsantes, feuilletonistisches Jm-
promptu, nicht ohne Geist und trotz aller schriftstelle-
rischen Kulturlosigkeit sehr lebensvoll in der Schilde-
rung der Figuren und Erlebnisse. Wenn man näher
zusieht, merkt man, daß er sich doch jedes der Dinge,
über die er schreibt, lang und wiederholt angesehen hat,
daß er wahrscheinlich vor jedem der Bilder Grecos
stundenlang gesessen ist und daß viel Ernsthaftes in dem
Buche steht. — Schefflers Buch wirkt zuerst wie die
Gründlichkeit selbst. Dann aber bemerkt man, daß er
wahrscheinlich kein einziges der erwähnten Werke lange
und mehrmals angesehen hat, und daß er für seine Auf-
gabe, die mindestens den zwanzigfachen Umfang der
Aufgabe hatte, die sich Meier-Graefe gestellt hatte, nicht
die Hälfte Ieit übrig hatte; und dann erscheint einem
sein ganzes Unterfangen leichtsinnig und anmaßend. —
Und noch eins: Meier-Graefe hat uns von seiner Reise
den Greco mitgebracht, wahrhaftig ein großeü und
ewiges Geschenk. Scheffler bringt uns nur ein paar
Kapitel mit neuen, schönen Worten für längst bekannte
Dinge, und dann sich selbst in der selbstverliehenen
Würde dessen, der die Verantwortung übernommcn
hat für den Geist der Ieit, für die Reinheit und Festig-
keit ihres Charakters, und der schwer an dieser unge-
heuren Last zu tragen hat. W. Riezler.
ie drei Brirder.
Erzählung von Hermann Hesse.
Vor mehr als hundert Jahren standen auf dem
grünen Friedhof des Hospitals zum heiligen Geist in
Berlin drei herrliche alte Linden, die waren so groß,
daß sie den ganzen Friedhof wie ein gewaltiges Dach
mit den ineinander gewachsenen Ästen und Iweigen
ihrer riesigen Kronen überwölbten. Die Herkunft dieser
schönen Lindenbäume aber, welche wiederum Jahr-
hunderte weiter zurückliegt, wird so berichtet:
Es lebten in Berlin drei Brüder, die hielten eine so
innige Freundschaft und Vertraulichkeit miteinander,
wie man sie selten sieht. Nun geschah es eines Tages,
daß der jüngste von ihnen am Abend allein ausging
und seinen Brüdern nichts davon sagte, weil er in einer
entfernten Gasse ein Mädchen treffen und mit ihr
spazieren gehen wollte. Noch ehe er aber jenen Ort er-
reicht hatte, wie er so in angenehmcn Träumen dahin-
schritt, hörte er aus einem Winkel zwischen zwei Häusern,
wo es dunkcl und einsam war, ein leises Klagen und
Röcheln, dem er alsbald nachging; denn er meinte, es
liege da irgendein Tier, oder vielleicht ein Kind, dem
ein Mißgeschick zugestoßen, und warte auf Hilfe. Wie
er in die Dunkelheit des verschwiegenen Ortes eintrat,
sah er mit Schrecken daselbst einen Menschen in seinem
Blute liegen, beugte sich über ihn und fragte mitleidig,
was ihm denn zugestoßen sei, erhielt aber keine Antwort
als ein schwaches Stöhnen und Schlucken, denn der Ver-
letzte lag mit einer Messerwunde im Herzen und verschied
nach wenigen Augenblicken in den Armen scines Helfers.
Der junge Mensch wußte nicht, was nun zu tun sei,
und begab sich, da der Ermordete kein weiteres Lebens-
zeichen mehr von sich gab, bestürzt und ratlos mit un-
schlüssigen Schritten auf die Gasse zurück. Hier aber
begegneten ihm in diesem Augenblick zwei Schar-
wächter, und wahrend er noch sann, ob er ihre Hilfe an-
rufen oder lieber unbeschrien davongehen sollte, sahen
die Wächter sein erschrockenes Wesen, traten auf ihn hin,
sahen alsbald Blut an seinen Schuhen und Rockärmeln
und nahmen ihn mit Gewalt fest, wenig auf das hörend,
was er nun flehentlich zu erzahlen begann. Sie fanden
den Toten nebenan schon im Erkalten und nahmen den