Ioseph Görres.
wollen. Dieser von Weisheit nicht gebändigte Sucher
hörte genauer als der Hochmut der Überlieferung den
Mann im kleinen Hute — kaum älter als er — auf den
heimlichen, blitzschnell wieder versteckten Gebieterton sich
an, über den man bei dem jüngsten Konsul wie über die
Wichtigkeiten eines Militärs lachte. Görres hatte das
erste Kapitel seines Lebens mit Enttäuschung und
Spannung geschlossen.
Als Lehrer von Mathematik und Naturwissenschaft
brachte er in der Vaterstadt die nächsten Jahre herum.
1801 trat er, kurz entschlossen, schon in die Ehe mit der
Schwester eines Jugendfreundes, Katharina von La-
saulr. „Die Khatti" ließ sich ohne kirchlichen Segen mit
ihm trauen; sie war eine Rheinländerin mit hellen Augen,
lebensfrisch und geschickt zu allem — mit ihrem un-
sentimentalen Augreifen den Ansprüchen gewachsen, die
eine Ehe mit dem rastlosen Görres an sie stellte. Iärtlich
und ohne Aufregungen blieb das Verhältnis der in
prachtvoller Jugend Zueinandergekommenen. Katha-
rina starb nach dem Gatten, 1852. Sie hat sich in seine
Wandlungen mit verwandelt; nicht, weil ihr Geist ihm
folgen konnte, doch weil sie mit ihm gehen mußte aus der
Liebe heraus, dip sie sehr jung zu ihm in ein ungewisses
Los wie in einen schönen Frieden geleitet hatte.
Von 1806 bis 1808 lebte Görres in Heidelberg seinen
Studien der alten deutschen Literatur; seine Leidenschaft
zu einer Sache konnte sich austoben in etwas Neuem,
fand ausreichende Betätigung von stillem Nutzen für die
Geisteskultur seines Volkes, das der Jüngling aus den
lauten französischen Wassern hatte tranken wollen. „Jch
suche das Leben; man muß tief die Brunnen in die
Dürre graben, bis man auf die Quellen stößt." Die Aeit
über, in der Preußen dem kleinen Konsul von 1799
erlag, und Süddeutschland, hypnotisiert, halb Fron,
halb Hilfe, zusah —> ein anderes Stürzen, als das sich
Görres erträumt — nahm er in sich die Gewalt und Suße
der Vergangenheit auf. Der deutsche Mensch erschien
ihm, frei wie er selbst, ein eigensinnig verschwärmtes
und hartnäckiges Kind seiner sparsam spendenden Erde,
und ein Flieger nach dem blauen Wunderland über Saat
und Ernte. Achim von Arnim und Clemens Brentano
fingen die lyrische Seele ein und er nahm sie mit ihnen
in redetrunkenen Nächten. Er aber suchte dem Drama
einer Volkheit, an der das Römerreich zerbrochen war,
und das nun verstümmelt in ein anderes Weltreich ein-
gegliedert werden sollte, auf den Grund zu sehen, die
Wurzel der heroischen und kindischen Auftritte zauber-
kundig auszuspüren. Dem von allen Schauern dieses
Erlebens Hingenommenen zeigte sich, ahnungsvoll
und seinem immer von Größe und Einheit besessenen
Geist schattenhaft sich vorzeichnend, die magische Hand
jener imaginären Macht, die des „Gottesstaates" ist.
Görres aber verlangte noch nichts anderes, als dem
erobernden Aerstörer des Wesens, dem er selbst ein Nerv
war, entgegenzutreten. Noch öffnete er daü berstend an-
gefüllte Herz nur einem kleinen Kreis akademischer
Jugend in den Sommer-Vorlesungen über die deutsche
Literatur der Frühzeit, man ließ aber im Herbst den
jungen Dozenten, der eine recht verfängliche Art, ge-
lehrte Themata wie Weckrufe vorzutragen, an den Tag
legte, sehr gern nach Koblenz ziehen, wo er wenigstens
lehren konnte, ohne eine Universität mit ihren Ober-
aufsehern in Ungelegenheit zu bringen. Jn Görres
sammelte sich das reife Erkennen und das glückselig er-
worbene Wissen zu einem Ausbruch an; die Trompeten
der Siege von 1813 gaben auch ihm das Angriffszeichen.
Jn der funkelnden Januarnacht der Jahreswende, in
der Blücher zu Caub seine Truppen über den Rhein
setzen ließ, leuchtete auch sein Stern auf — er zog über
den entwölkten Himmel deutschen Landes mit der Pracht
des Südens und ohne Flor. Görres gab Anfang 1814
den „Rheinischen Merkur" heraus, eines der merk-
würdigen Blätter, die sür ein ständig aufmerksames
Publikum bestimmt sind, doch aufreizend wie ein Flug-
blatt in die Stimmung der Masse fallen, jedes Ohr
treffend und doch kein feineres beleidigend, geschrieben
in einer Sprache, die Unerhörtes wie eine Selbstver-
ständlichkeit einprägt, die Meisterstücke der englisch-
französischen Presse aber überflügelt durch das Pathos
eines tiefen Grolles. Görres rechnete mit seinem Jugend-
traum ab, den ihm im Saal der Tuilerien der Mann ge-
nommen hatte, den jetzt die Armeen Europas umstellten
— dem Napoleon nach Leipzig und vor Waterloo. Und
der verstand auch, was da gegen das Empire und gegen
ihn den andern Vernichtungskrieg führte, besser wie die
deutschen Leser, die hier die Schlachten der Geister ihrer
Ieit erlebten. Er bewunderte mehr als die deutsche
Jntelligenz von Goethe bis zu Rückert, und las heraus,
was nur wenige der deutschen Fürsten, die Görres als
einem Organ der augenblicklichen Lage wohlwollten,
verstanden. Er sah den das Kleine und Kleinliche zer-
brechenden Willen eines Mannes, dem die Zeit statt
der Vollendung nur der Anfang zur Herrlichkeit schien,
zu dem sich selbst gerechten und wahrhaften Herrenvolk
des Nibelungenliedes. Gentz, ebenbürtig Görres als
Napoleontodfeind aus Prinzip, sah dem gefährlichsten
Demagogen mit so viel Jnteresse zu, daß er ihn gern zu
sich herübergezogen hätte; erkannte aber, als von Görres
der Kongreß unzweideutig zu dem gestempelt wurde,
was er war, daß mit dem Maß des Joseph Görres nicht
zu rechnen war, daß dieser Strom, aus Felsen brechend,
nie in das Talbett sich einengen lasse, in dem nach 1815
alle Wildwasser in Deutschland verbaut wurden.
Jm Jahre 1816 verbot die Zensur dem General-
direktor des Unterrichts in der Rheinprovinz, Görres,
sein Blatt. Diese Mundstopferei war die kühnste Tat
der k. k. Lähmungsbehörde, aber noch sanft wie ein Ver-
weis, denn man nahm ihm nur Stellung und Einfluß,
ohne ihn Landes zu verweisen. Der Kronprinz von
Bayern, der „teutsche" Ludwig, trug noch nicht die Krone,
um sich den verehrten Mann nach München holen zu
können. Görres trat in seine vierte Epoche wieder mit
Studierarbeit am Schreibtisch, sagte noch einmal in
„Teutschlands künftige Verfassung" dem neuen Bundes-
staat die Fehde an, ehe die dreißig goldenen Jahre des
biedermeierlichen Untertans nahten. Wie ein fleißiger
Brotarbeiter des Geistes gab er 1817 noch Resultate
seiner deutschen Forschungen heraus, dann nahm er sich
den Heimatboden 1819 unter den Füßen fort, mit dem
Schlußwerk seiner Jdealtechnik: „Teutschland und die
Revolution". An einem Freundestisch in Frankfurt
entging er gerade noch der Verhaftung. Straßburg,
wollen. Dieser von Weisheit nicht gebändigte Sucher
hörte genauer als der Hochmut der Überlieferung den
Mann im kleinen Hute — kaum älter als er — auf den
heimlichen, blitzschnell wieder versteckten Gebieterton sich
an, über den man bei dem jüngsten Konsul wie über die
Wichtigkeiten eines Militärs lachte. Görres hatte das
erste Kapitel seines Lebens mit Enttäuschung und
Spannung geschlossen.
Als Lehrer von Mathematik und Naturwissenschaft
brachte er in der Vaterstadt die nächsten Jahre herum.
1801 trat er, kurz entschlossen, schon in die Ehe mit der
Schwester eines Jugendfreundes, Katharina von La-
saulr. „Die Khatti" ließ sich ohne kirchlichen Segen mit
ihm trauen; sie war eine Rheinländerin mit hellen Augen,
lebensfrisch und geschickt zu allem — mit ihrem un-
sentimentalen Augreifen den Ansprüchen gewachsen, die
eine Ehe mit dem rastlosen Görres an sie stellte. Iärtlich
und ohne Aufregungen blieb das Verhältnis der in
prachtvoller Jugend Zueinandergekommenen. Katha-
rina starb nach dem Gatten, 1852. Sie hat sich in seine
Wandlungen mit verwandelt; nicht, weil ihr Geist ihm
folgen konnte, doch weil sie mit ihm gehen mußte aus der
Liebe heraus, dip sie sehr jung zu ihm in ein ungewisses
Los wie in einen schönen Frieden geleitet hatte.
Von 1806 bis 1808 lebte Görres in Heidelberg seinen
Studien der alten deutschen Literatur; seine Leidenschaft
zu einer Sache konnte sich austoben in etwas Neuem,
fand ausreichende Betätigung von stillem Nutzen für die
Geisteskultur seines Volkes, das der Jüngling aus den
lauten französischen Wassern hatte tranken wollen. „Jch
suche das Leben; man muß tief die Brunnen in die
Dürre graben, bis man auf die Quellen stößt." Die Aeit
über, in der Preußen dem kleinen Konsul von 1799
erlag, und Süddeutschland, hypnotisiert, halb Fron,
halb Hilfe, zusah —> ein anderes Stürzen, als das sich
Görres erträumt — nahm er in sich die Gewalt und Suße
der Vergangenheit auf. Der deutsche Mensch erschien
ihm, frei wie er selbst, ein eigensinnig verschwärmtes
und hartnäckiges Kind seiner sparsam spendenden Erde,
und ein Flieger nach dem blauen Wunderland über Saat
und Ernte. Achim von Arnim und Clemens Brentano
fingen die lyrische Seele ein und er nahm sie mit ihnen
in redetrunkenen Nächten. Er aber suchte dem Drama
einer Volkheit, an der das Römerreich zerbrochen war,
und das nun verstümmelt in ein anderes Weltreich ein-
gegliedert werden sollte, auf den Grund zu sehen, die
Wurzel der heroischen und kindischen Auftritte zauber-
kundig auszuspüren. Dem von allen Schauern dieses
Erlebens Hingenommenen zeigte sich, ahnungsvoll
und seinem immer von Größe und Einheit besessenen
Geist schattenhaft sich vorzeichnend, die magische Hand
jener imaginären Macht, die des „Gottesstaates" ist.
Görres aber verlangte noch nichts anderes, als dem
erobernden Aerstörer des Wesens, dem er selbst ein Nerv
war, entgegenzutreten. Noch öffnete er daü berstend an-
gefüllte Herz nur einem kleinen Kreis akademischer
Jugend in den Sommer-Vorlesungen über die deutsche
Literatur der Frühzeit, man ließ aber im Herbst den
jungen Dozenten, der eine recht verfängliche Art, ge-
lehrte Themata wie Weckrufe vorzutragen, an den Tag
legte, sehr gern nach Koblenz ziehen, wo er wenigstens
lehren konnte, ohne eine Universität mit ihren Ober-
aufsehern in Ungelegenheit zu bringen. Jn Görres
sammelte sich das reife Erkennen und das glückselig er-
worbene Wissen zu einem Ausbruch an; die Trompeten
der Siege von 1813 gaben auch ihm das Angriffszeichen.
Jn der funkelnden Januarnacht der Jahreswende, in
der Blücher zu Caub seine Truppen über den Rhein
setzen ließ, leuchtete auch sein Stern auf — er zog über
den entwölkten Himmel deutschen Landes mit der Pracht
des Südens und ohne Flor. Görres gab Anfang 1814
den „Rheinischen Merkur" heraus, eines der merk-
würdigen Blätter, die sür ein ständig aufmerksames
Publikum bestimmt sind, doch aufreizend wie ein Flug-
blatt in die Stimmung der Masse fallen, jedes Ohr
treffend und doch kein feineres beleidigend, geschrieben
in einer Sprache, die Unerhörtes wie eine Selbstver-
ständlichkeit einprägt, die Meisterstücke der englisch-
französischen Presse aber überflügelt durch das Pathos
eines tiefen Grolles. Görres rechnete mit seinem Jugend-
traum ab, den ihm im Saal der Tuilerien der Mann ge-
nommen hatte, den jetzt die Armeen Europas umstellten
— dem Napoleon nach Leipzig und vor Waterloo. Und
der verstand auch, was da gegen das Empire und gegen
ihn den andern Vernichtungskrieg führte, besser wie die
deutschen Leser, die hier die Schlachten der Geister ihrer
Ieit erlebten. Er bewunderte mehr als die deutsche
Jntelligenz von Goethe bis zu Rückert, und las heraus,
was nur wenige der deutschen Fürsten, die Görres als
einem Organ der augenblicklichen Lage wohlwollten,
verstanden. Er sah den das Kleine und Kleinliche zer-
brechenden Willen eines Mannes, dem die Zeit statt
der Vollendung nur der Anfang zur Herrlichkeit schien,
zu dem sich selbst gerechten und wahrhaften Herrenvolk
des Nibelungenliedes. Gentz, ebenbürtig Görres als
Napoleontodfeind aus Prinzip, sah dem gefährlichsten
Demagogen mit so viel Jnteresse zu, daß er ihn gern zu
sich herübergezogen hätte; erkannte aber, als von Görres
der Kongreß unzweideutig zu dem gestempelt wurde,
was er war, daß mit dem Maß des Joseph Görres nicht
zu rechnen war, daß dieser Strom, aus Felsen brechend,
nie in das Talbett sich einengen lasse, in dem nach 1815
alle Wildwasser in Deutschland verbaut wurden.
Jm Jahre 1816 verbot die Zensur dem General-
direktor des Unterrichts in der Rheinprovinz, Görres,
sein Blatt. Diese Mundstopferei war die kühnste Tat
der k. k. Lähmungsbehörde, aber noch sanft wie ein Ver-
weis, denn man nahm ihm nur Stellung und Einfluß,
ohne ihn Landes zu verweisen. Der Kronprinz von
Bayern, der „teutsche" Ludwig, trug noch nicht die Krone,
um sich den verehrten Mann nach München holen zu
können. Görres trat in seine vierte Epoche wieder mit
Studierarbeit am Schreibtisch, sagte noch einmal in
„Teutschlands künftige Verfassung" dem neuen Bundes-
staat die Fehde an, ehe die dreißig goldenen Jahre des
biedermeierlichen Untertans nahten. Wie ein fleißiger
Brotarbeiter des Geistes gab er 1817 noch Resultate
seiner deutschen Forschungen heraus, dann nahm er sich
den Heimatboden 1819 unter den Füßen fort, mit dem
Schlußwerk seiner Jdealtechnik: „Teutschland und die
Revolution". An einem Freundestisch in Frankfurt
entging er gerade noch der Verhaftung. Straßburg,