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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 1
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Schäfer, Lisbeth: Das Kästchen: eine Anregung des Krieges für das Kunsthandwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0048

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Das KLstchen.

genssen wurde. Dann wird man sich auch wieder nach
einem Kästchen umsehen, daö über die Verganglichkeit
von Jahren hinaus schön genug ware, so teure Stücke zu
hüten. Damit werden Kunst und Handwerk vor eine
neue Aufgabe gestellt, denn nach Vermögen, Geschmack
und Kenntnis wird man hier den Künstler oder den
Handwerker zu Rate ziehen.

Früher war das „Kästchen", die Schatulle oder Truhe
ein Möbel, das garnicht aus dem Besitzstand auch der
ärmsten Bevölkerung wegzudenken war. Heute muß man
schon in die Kunstgewerbemuseen gehen, um außer der
reich geschnitzten oder bemalten Truhe noch diese köst-
lichen Kästchen zu finden, auf die ein Künstler oft seine
ganze Liebe verwandt hatte: Aus Elfenbein, Leder,
Metall oder Holz boten sie den verschiedensten Techniken
Anwendung, und es ist sast nicht zu verstehen, daß die
moderne kunstgewerbliche Bewegung, mit wenigen Aus-
nahmen, sich so selten des Kästchens erinnerte, obwohl
noch unsere Mütter es recht gut kannten, wenn auch
nur als bescheidenes Holzkästchen, etwa mit Muscheln
verziert oder einfachen Einlagen aus Perlmutter und
farbigen Hölzern. Wo bleiben nun heute die hundert
Dinge, die sich um jeden Menschen vom ersten Lebenstag
an sammeln wie die Blatter, die der Baum alljährlich
abwirft? Wir sind ja ein wenig herzhafter geworden im
Fortwerfen, teils weil wir nicht mehr so viel Ieit haben,
auch nicht den Raum, um diesen Erinnerungszeichen
eincn sonst brauchbaren Platz zu gönnen; vielleicht
auch, weil viele dieser Dinge an Material und Her-
stellungswert selten mehr als einige Jahre Lebensdauer
haben, sodaß die Erinnerung, die daran haftet, rascher
vergehen muß als früher. Aber einiges bleibt doch an
Briefen, Papieren, Schmuckstücken, Bildern: wo wird
das nun heute verwahrt? Wenn es hoch kommt, in einem
Schubfach des Schreibtisches, sofern der Platz dazu läßt,
und sonst ini Glasschrank, wo es mit Tassen und Gläsern
den Raum teilen muß, oder in dem Allerweltsmöbel,
das man Vertikow heißt, und das je nach dem Stand der
Besitzer die silbernen oder leinenen Schatze oder auch
wohl die Hüte der Familie, ihren Sonntagsputz, enthält.
Gehen Sohn oder Tochter dann in eine Lehre, in einen
Dienst, zum Militär oder auf eine hohe Schule, so haben
sie nur selten auch nur das kleinste Behältnis, in dem sie
ein paar teure Andenken mit den neuen Erinnerungs-
stücken, die sie nun sammeln, vor neugierigen Blicken
verschließen könnten. Es gibt wohl Schmuckkästchen aus
Plüsch mit gepreßtem Metall belegt und „Photographie-
Albunis", aber für die meisten muß doch die Papp-
schachtel, in der die letzten neuen Stiefel waren, oder
bestenfalls eine Zigarrenkiste herhalten. Da wäre es
schön, wenn wir den alten Gedanken der Truhe, des
„Kästchens", wieder aufgriffen, der auch allen denen,
die nun die letzten teuren Andenken an die im Kriege
Gefallenen verwahren möchten, eine Möglichkeit gäbe,
dies so schön und würdig wie möglich zu tun. Einem
Kinde, das getauft wird, einem Knaben oder Madchen,
das durch die Einsegnung in den Bund der Erwachsenen
aufgenommen wird, einem Brautpaar schenke nian
statt oder neben dem silbernen Becher, Besteck oder
Schmuck eine solche Truhe. Sie kann je nach dem Ver-
mögcn des Gebers einfach oder prunkvoll ausfallen, aber

kostbar sollte sie immer sein durch die Güte des Materials
und der Arbeit, die daran gewendet wird. Unsere Künst-
ler haben in den letzten zehn Jahren hier und da Muster-
stücke solcher Kästchen geschaffen, die aus edlem Metall
oder feinem Leder, aus poliertcm Holz, mit den reizend-
sten Verzierungen geschmückt — leider, möchte man
sagen — schon wieder Museumsstücke geworden sind.
Wem die Hand eines solchen Künstlers erreichbar ist, dem
sei zu einer solchen Bestellung geraten, sie erlaubt ihm,
seine besonderen Wünsche mit dem Künstler zusammen
zu verwirklichen. Geber und Empfänger werden eine
Freude an diesem Geschenk haben, die ein fertig gekauftes
Stück natürlich nie so gewähren kann. Aber selbst ganz
bescheidenen Mitteln ist die Beschasfung eines solchen
Kästchens möglich, so schön, daß es gewiß nie achtlos in
eine Ecke geschoben wird. Aus glattem Holz, etwa dreißig
bis vierzig Aentimeter lang und fünfzehn bis zwanzig
hoch, wird es mit einem hübschen Schloß versehen,
dessen Schlüssel, wenn nian will, aus Silber, selbst
wieder ein bescheidenes Kunstwerk für sich sein kann.
Wendet man Politur, eingelegte Holzverzierungen, ein
wenig Malerei oder eine Schnitzerei daran, so kann man
den Wert und die Kostbarkeit dieses Geschenkes beliebig
erhöhen, z. B. der einfache Vorname in Holz eingelassen,
ergibt schon einen schönen einfachen Schmuck. Nicht
daß nun gerade zu wünschen wäre, die häusliche Kunst
bekäme hier ein ncues Fetd, auf dem sie ihre geschmack-
lose Geschicklichkeit anwenden könnte, so wäre es doch
immer möglich, daß eine feine Zeichnung unter Glas
gebracht, ein Aquarell oder eine zarte Stickerei den
Deckel schmückten, statt ihn zu entwerten. So oder so:
das Kästchen würde an seinem bescheidenen Teil helfen,
daß ein jeder sein kleines Besitztum an persönlichen
Stücken bekäme, was in unserer Aeit des steten Wohnungs-
wechsels doppelt wertvoll ist, da leider so vielen Kindern
der Begriff des väterlichen Hauses und der angestammten
Geräte unbekannt bleibt.

Und um wieder auf den Anfang dieser Betrachtung
zurückzukommen: wird nicht vielen der Gedanke, dem
im Kriege Gefallenen mit einem solchen Kästchen ein
kleines Denkmal ini Hause zu schaffen, lieb sein? um
der Sorgfalt willen, die man darauf verwenden kann,
und als Ausdruck der mannigfachen Ehrungen, die wir
sonsi unseren Toten darzubringen pflegen, und die der
Krieg grausam nicht zugelassen hat. Es wäre wohl zu
denken, daß Kinder, denen der Krieg den Vater ge-
nommen hat, dieses Kästchen als besonders kostbares Erb-
stück hochhalten würden: durch seine Bestimmung bliebe
es davor bewahrt, acbtlos irgendwohin gestellt zu werden;
sein Jnhalt ginge nicht verloren, wie es doch wohl
manchem von den Dingen geschehen wird, die mit der
-Zeit vergessen in den Schubladcn herumfahren.

Fürchte niemand die Verhandlung mit dem Hand-
werker oder mit dem Künstler, denn das ist das Gedächt-
nis unserer Krieger wohl wert, daß wir uns einige Mühe
darum machen! Daß es im übrigen als Fabrikware in
den Geschäften nicht die gedankenlose Emblemkunst aus
Pappdeckel mit gepreßtem Eisernen Kreuz werde, dafür
müßten wir als Käufer sorgen: wenn besseres gefordert
wird, werden die Geschäfte auch besseres bringen.

L. S.

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