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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 1
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Benn, Joachim: Probe auf die Kunst: (Kunst und Krieg)
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0036

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Probe auf die Kunst.

die niedrigste Form der Wortkunst; eine gewisse Fähig-
keit zur Auswahl des Wesentlichen, Kürze, Prägnanz
mit einer Kraft, die den Vorgangen gerecht wird, ge-
nügen ihr; höhere Ausdrucksbereiche werden in der
einzigen metaphorischen Mitteilung berührt: „Seit
gestern abend donnern die deutschen Kanonen vor
Namur". Diese Form der metaphorischen Ausdrucks-
weise, die das eigentliche Wesen der Dichtung ist, herrscht
schon stärker in ausführlicheren Schlachtberichten, etwa,
wo es in einem Feldbrief heißt: „Die Leichen schwammen
wie gefällte Baumstämme im Wasser" oder: „Die
Franzosen lagen über die Wiese verstreut wie abge-
schlagene Mohnblumen"; denn wahre Lebendigkeit
läßt sich nicht anders erreichen, als indem man über die
Reportage hinaus bereits zu dichten beginnt. Und der
Krieg hat dann sogar schon eine richtige, abgcschlossene
und kunstvoll aufgebaute Heldendichtung geschaffen,
unter der bereits tausend Einzelheiten, unter der das
äußere Bild des Krieges mit seiner Vielheit zu ver-
schwinden beginnt, indem die künstlerische Auswahl
siegt; das ist die Volksdichtung vom General von Hinden-
burg.

Auch die reine Dichtung ist gleich aller anderen Kunst
nicht etwa Phantasterei: Dichtung ist wirkliches Leben,
ist Natur, nur gedichtet, auf das Wesentliche gebracht,
geordnet, d. h. in seiner innewohnenden Ordnung
erkannt, und das Leben selbst hat den Trieb in sich,
Kunst zu werden, und wird es im selben Maße mehr,
als es größer wird, der Künstler pflückt das Leben dann
nur noch wie eine reife Frucht. So ist es auch mit der
Legende des Generals Hindenburg: Der Sieg in Ost-
preußen war groß genug, um das Leben des Siegers
durch sich selbst, aus eigener Kraft in die ideale Höhe der
Kunst zu heben; die ergänzende, künstlerisch formende
Logik verlangte nun zuerst die Vorgeschichte der Be-
gabung, der solches gelungen war. Iwei Anekdoten
zeigten die ans Bizarre grenzende Ausschließlichkeit, mit
der sich der General sein Leben lang der Strategie
gewidmet hat. Um das Heldische solcher Energie be-
sonders groß erscheinen zu lassen, wurde es dann wün-
schenswert, die Ieit vorher zu verdunkeln: Es ergab
sich der typische Konflikt mit den Genossen und den Vor-
gesetzten, der sich mit schöner Prägnanz sogar gerade
auf den Schauplatz des künstigen Sieges bezog; der
künftige Sieger unterlag in diesem Konflikt. Die Marotte
des verabschiedeten Generals, auch noch seine Ferien
an diesen gefährlichen Ortlichkeiten des Vaterlandes
zuzubringen, um seine Vorbereitungen pedantisch weiter
zu treiben, die Plötzlichkeit, mit der er endlich gerufen
wurde, waren neue sarbige Einzelheiten dieses Lebens,
und ganz srei steigernd tritt die Phantasie — fast schon
zu barock — erst auf, wenn sie den alten Mann gelähmt
der von ihm geleiteten Schlacht in den Kissen eines
Wagens folgen läßt.

Die anderen Künste helfen im Krieg nicht immer
gleich sichtbar, aber wie sich mit Kriegsausbruch plötzlich
Tausende und Abertausende Kehlen ihr eigenes Kriegs-
lied sangen, indem sich die erschütterte Natur selbst ihr
Heilmittel schaffte, so flatterten plötzlich überall bildliche
Kriegsdarstellungen auf, Ieichnungen, Radierungen,
farbige Blätter; auch auf dem Wege über Linie und Farbe

reinigte und harmonisierte sich das Leben, zuerst im
Künstler selbst und dann in denen, die seine Arbeit
sahen. Und die einzige Kunst, die den Soldaten bis in
die Feuerlinie hinein begleitet, ist doch diejenige, der
seit jeher vor allen anderen ein so sonderbarer Vorzug
gegeben ist, die Musik. Worin liegt der Dienst der Musik
hier? — Jn dem auch die Form der anderen Künste
alle zusammenfließt, der Rhythmus, stärker gefestigt
und ausgebaut, als irgendwo, bindet die Schar der
Kämpfer zusammen und gibt ihren Bewegungen Halt
und Leidenschaft, ihrem Handeln Iwang und Form.
Es geschieht dasselbe wie in allen anderen Künsten:
Jn die Welt der Vielfältigkeit, Unübersichtlichkeit und
das Durcheinander wird eine Welt der Geschlossenheit,
Harmonie und Klarheit geschoben, wird in ihr geweckt,
die gibt den Unharmonischen Zusammenhang. Während
ihre Füße in der unharmonischen Welt stehen, wo sie
am unharmonischsten scheint, sind die Köpfe der Kämpfen-
den musikumrauscht in der harmonischen Welt und werfen
ihr zeitliches Leben fast leichtherzig, im Rausch dahin,
da sie ein anderes Leben stärker spüren. (Wobei wir
nicht vergessen wollen, daß auch für das Auge des
Wissenschaftlers das letzte, was die Welt zusammenhält,
Rhythmus ist.)

Endlich, die die Heere gegeneinander führt und
Truppen hier und Truppen da nach wechselnden Jm-
pulsen sammelt und gestaffelt vorschickt, bis der Feind
bedrängt, eingekreist, vielleicht durchbrochen weicht und
weicht und flieht — die Strategie, hat nicht auch sie
etwas von Kunst? Handelt, formt, gestaltet nicht auch
sie nach Gesetzen, die, niemals völlig wissenschaftlich
erkennbar, intuitiv gefunden werden, und stellt die ge-
wonnene Schlacht, wenn wir von Tanzkunst, von der
Körperbewegung im kleinen sprechen, nicht als eine
Art von Körperbewegungskunst im großen, die doch
auch Symbole ganz bestimmter Stimmungskomplere
schasft, so etwas wie ein Kunstwerk dar — ein allzusehr
auf Technik und Mechanik beschränktes Vielleicht, in dem
aber doch Millionen Seelen mit ihrer Seelenkraft mit-
wirken? — Jn diesem Sinne wäre Kunst überall, wo
das Leben in Grundtatsachen und Gesetzen erkannt
wäre und nun darin bewußt und ausschließlich nach-
geahmt und reproduziert würde, wofür es nicht mehr
so wichtig wäre, ob das Material Worte, Farben, Töne
oder Leiber, Heere sind; wenn auch der große Unter-
schied bliebe, daß das dichterische, malerische, musikalische
Kunstwerk Ausdruck ciner allumfassenden Weltanschau-
ung ist, während das mehr technische Kunstwerk nur
Ausdruck einer Teil-Welterschauung ist.

Mag solche Deutung zu weit gehen, die Kunst ist in
keinem Falle in solcher Kriegszeit am Ende; im selben
Augenblick, wo sie am entschiedensten scheint entthront
werden zu sollen, setzt sie sich vielmehr am entschiedensten
auf den Thron. Sie erweist sich sogar größer als der Krieg,
so groß der ist; denn der Krieg istTeil des Lebens, und die
Kunst, die reine Kunst, hat es eben mit dem Ganzen zu
tun. Jedes Werk der reinen Kunst, selbst die schnelle
Skizze, die kurze Geschichte, hat in sich Anschauung der
Gesamtwelt; irgendwie ist es ein wirklicher kleiner
Weltball als Spiegelbild des großen Weltballs, der hier
in seinem Zusammenhang erklärt wird durch eine ein-
 
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