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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 1
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Heymel, Alfred Walter: Der Tag von Chaleroi
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0038

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Der Tag von Charleroi.

Baume im Winde hin und her wippte und das Gefechts-
feuer sich immer deutlicher markierte.

Einige Tage mußten wir uns allerdings noch ge-
dulden, denn die früher ausgerückten Truppen hatten
schon gute Arbeit getan, die erfie Festung fiel in diesen
Tagen, und zur Belagerung und Eroberung der zweiten
waren wir mit angesetzt. Noch hatten wir keine Kugel
pfeifen hören, nur dann und wann ein nervöses Vor-
postengeknatter in der Nacht, bei dem aber niemand
getroffen werden konnte, da kein Feind da war. Fran-
zösische Streitmächte wurdcn häufig gemeldet, zogen
aber, wie zum Spott, immer vor uns her und wurden
von uns nie gesichtet, geschweige denn gestellt.

Am 21. August endlich wurde die Sache feierlicher.
Gefangene wurden vorbeigeführt, erschossene Pferde
lagen an der Straße. Nachmittags ging die Vorhut
unserer Division richtig in Stellung.

Iu meiner unbeschreiblichen Freude bekam ich den
Auftrag, festzustellen, wie stark die gemeldeten feind-
lichen Kräfte in den Dörfern Thimöon und Gosselies
seicn.

Der Kommandeur ermahnte zur Vorsicht, wenn wir
in die Nähe der Dörfer kämen, das Gelände schiene der
Karte nach sehr frei zu sein, er riet mir, irgendeinen
hohen Punkt zur Beobachtung zu wählen, einen Kirch-
turm oder einen hohen Strohschober. Dann ritt ich
mit meinen zwöls Jungens los, und als wir in das be-
schriebene freie Gelände kamen, da sahen wir, daß gar
nichts zu machen war, als, so vorsichtig es eben ging,
crst einmal geradeaus auf das Dorf ThimLon loszureiten,
denn nirgends bot sich cin Aussichtspunkt, und so verab-
redete ich mit einem jeden, wohin wir uns, im Falle
wir Feuer kriegen sollten, zurückziehen wollten.

So ritten wir, weit in Fächerform auseinander-
gezogen, über die Getreidefelder, auf denen einzelne
Bauern die Ernte einbrachten und uns sast zu freundlich
Auskunft gaben. Wir strebten einer kleinen Anhöhe zu,
von der wir uns Überblick erhofften und auf der noch
die wohlgeordneten Garben in ihren gewöhnlichen
Abständen lagen.

Als wir aber auf etwa 200 Schritte heran waren,
wurden die Garben lebendig, und wir befanden uns
im heftigsten Jnfanteriefeuer, mußten etwa 500 Meter
ungedeckt im Galopp über das freie Feld zurück, wobei
wie durch ein Wunder niemand verletzt wurde, nur ein
Pferd einen Streifschuß am Hufe erhielt.

Als wir nach rechts hinüberhaltend versuchten,
gegen Gosselies durchzubrechen, wurde von der Chaussee
aus wieder Feuer auf uns eröffnet.

Mcine Leute benahmen sich prachtvoll, einer von
ihnen kam aus dem Sattel, da sein Pferd ins Stolpern
geriet, ich dachte schon, er sei abgeschossen, aber gleich
waren zwei seiner Kameraden bei ihm, fingen scin
Pferd ein und halfen ihm im feindlichen Feuer hinauf.
Solche Fälte der unbedingten Kameradschaft habe ich
im weiteren Verlauf des Feldzuges unzählige erlebt.

Der Stolz meiner Patrouille, als erste von unserer
Division Feucr bckommen zu haben, war unbeschreiblich,
besonders ging der Mann, dessen Pferd einen Hufschuß
bekommen hatte, wie ein Pfau umher, und ich machte
ihm und mir das Vergnügen, ihn mit der Meldung

an den Divisionskommandeur zu schicken, daß die Felder,
Höhen vor Thimeon und Gosselies von feindlichen Kom-
pagnien besetzt seien und keinen Einblick in die Stellungen
des Feindes durch Kavallerie gestatten.

Dann mußten wir alles erzählen, alle waren ver-
gnügt, denn wie das kleine Scharmützel stattgefunden
hatte, entsprach es den Vorstellungen, die wir zu Hause
vom Krieg durch Manöver und kriegsgeschichtliche und
historische Studien, ja sogar aus der Ainnsoldatenspielzeit
her erhalten hatten.

Der Schluß des Tages war friedlich, der Feind zog
sich wieder wie zum Schabernack zurück, und wir bezogen
Ortsunterkunft, ohne von irgend jemand belästigt oder
angegrifsen zu werden.

Am Morgen des 22. August, der trübe und staubig
anbrach, saßen wir mit dem Bewußtsein auf: heute
müssen wir die Flußübergänge über die Sambre in
Charleroi gewinnen, wenn anders wir rechtzeitig in
die große Schlachtlinie einrücken wollen, um die zweite
gewaltige Festung, nämlich Namur, mit erobern zu
helfen.

Es war etwa 5 Uhr, als das Regiment gesammelt
stand, der Kommandeur die Kolonne zu zweien abritt
und nach dem ältesten Rittmeister rief. Es war der Führer
jener ersten Schwadron, zu der auch ich gehörte. Wir
erhielten den Auftrag, die Spitze der Vorhut zu bilden.
Augleich wurde uns mitgeteilt, daß nach Meldungen
anzunehmen sei, daß wir hier und da auf Barrikaden
stoßen würden, die dann von schnell vorzuzießender
Artillerie und Maschinengewehren weggeputzt werden
sollten.

Also wir ritten an und kamen bald vom freien Lande
auf der Chaussee durch Dörfer, die schon wie Vorstädte
aussahen, wurden überall von der Bevölkerung fast
höhnisch freundlich begrüßt, man bot den Reitern Wasser,
Kafsee, Tabak an, und als wir schließlich in den richtigen
Anfang der schmutzig düsteren Stadt hineinritten, als die
Felder, Wiesen, Bauplätze und Gartenstücke zwischen den
Häusern mehr und mehr aufhörten und sich die niedrigen
cinstöckigen Häuser kasernenartig aneinandergliederten,
kam plötzlich aus einem Haus ein, wie es schien, deutsch-
freundlicher Belgier auf unsern Rittmeister, neben dem
ich gerade ritt, zu und sagte zu uns: „Nehmen Sie sich
in acht, in zehn Minuten werden Sie aus den Häusern
Feuer bekommen."

Wir hielten sofort, riefen für einen Augenblick den
Offizier, der mit dem ersten Iuge als Spitze 200 Meter
vor uns geritten war, zurück, machten ihn mit der Ein-
wohnerwarnung vertraut und schickten einen Meldereiter
zurück zum Befehlshaber der Vorhut und baten um
Maschinengewehre. Der Reiter kam zurück mit dem Be-
scheid, wir möchten vorsichtig feststellen, ob die Warnung
stinimte, Maschinengewehre würden im Notfall nach vorn
kommen.

Die Spitze, die mein Freund, der Oberleutnant S.,
führte, trabte nun wieder nach vorn und fing sich, was
sie an Aivilisten habhaft werden konnte, als Geisel ein
und ließ so etwa zwölf bis sechzehn alte und junge, dicke
und dünne Jndividuen vor und zwischen seinen Lanzen-
reitern marschieren; außerdem hatte sie die kamerad-
schaftliche Order, nicht allzuweit vorauszureiten.

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