Der Tag von Charleroi.
gewehr, das in irgendemem Häuserdach eingebaut
sein mußte; aber die Kugeln gingen alle zu hoch und zu
weit und trafen nicht; wenigstens nicht uns.
Wir hatten alle das Gefühl, daß, wenn jetzt unsere
letzte Jnfanterie über die Brücke hinüber sein würde,
wir als Schluß des Detachements wiederum die ganze
hinterlistige Wut der Bevölkerung auszukosten haben
würden. So entschloß sich unser Kommandeur, den Rest
der Reiter heranzuholen und einen hinter dem andern,
jenseits der Brücke an die Häuser gedrückt, aufzustellen.
Wir unterhielten uns bis Anbruch der Dunkelheit
damit, dann und wann auf irgendein Haus des gegen-
überliegenden Ufers zu schießen, aus dem man auf uns
geschossen hatte.
Oben, auf der rückwärtigen Höhe, vielleicht eine
halbe Stunde Marsch von uns entfernt, tobte die Feld-
schlacht. Wir unterschieden ganz genau unser ruhiges,
festes, energisches Artilleriefeuer, vor allem das Schwei-
gen gebietende Krachen unserer schweren Artillerie beim
Feldheer, des größten Schreckens der Franzosen, von
dem heftigen, nervösen, französischen Feuer.
Wir wußten aber auch ganz genau, daß, wenn es
da oben schief geht, wir durch Charleroi zurück mußten,
und ich glaube, ein jeder von uns hätte sich lieber an der
Stelle, auf der er stand, totschlagen lassen, als noch einmal
zu versuchen, durch diese Hölle jetzt in den sicheren Tod
zurückzugehen und dem Gorgonenhaupt dieser Stadt
in der Nacht ins Auge zu schauen.
Da erhielt ich den Auftrag, mit meinem Zug einmal
links herauszufühlen, ob dort vielleicht eine Abzugsstraße
für uns nach Chatelet in Frage käme.
Jch ließ führen, Karabinerschützen neben den Pferden
gehen und das äußere Tor einer der großen Fabriken
am Fluß aufbrechen, um sicher zu sein, beim Aurück-
kommen nicht von dort durch überlegene Kräste nieder-
gemacht zu werden. Wir fanden aber keinen mehr,
außer zwei heulenden, unsagbar erbärmlich feigen
Jngenieuren, die uns sofort verrieten, daß die Fabrik
bis zum Nachmittag von Schützen besetzt gewesen sei,
die sich jetzt aber auf den anliegenden Höhen verteilt
hätten. Das sprach sich herum. Jch glaubte zu merken —
und das ließ mein Herz zu Eis erstarren, und ich hoffe
immer noch, unrecht gedacht zu haben—, daß meine
sonst so braven Reiter keine rechten Nerven mehr hatten,
vorwärts zu gehen, ihr Schritt wurde immer langsamer,
sie suchten mit immer mehr Umständlichkeit Aivilisten
einzufangen, kurzum, ich sah mich gegebenenfalls vor
der Notwendigkeit, gegen die eigenen Truppen ein-
zuschreiten, das Herzzerreißendste, was einem im Krieg
passieren kann, jedenfalls schickte ich mich wehen Herzens
an, auch in diese abgrundtiefe Perspektive zu schauen.
Da aber komnit ein Meldereiter und ruft uns zurück.
Kaum drehen wir, beginnt ein lebhaftes Feuer aus dem
Dunkel von den Hügeln links auf uns, aber wieder gehen
alle Kugeln weit über uns weg, niemand wird getroffen,
und in atemlosem Lauf, die Pferde am Zügel, treffen
wir aus der Dunkelheit beim Regiment wieder ein,
das von Flammen umloht ist. Jch war wie befreit, daß
ich nicht weiter gemußt hatte.
Doch nun paßt auf! Denkt euch eine ziemlich breite
Straße, die aus einer Arbeiterstadt herausführt, diese
Straße aber von vier, sünf Kolonnen so besetzt, daß, wer
in dem Heerzug drinsteckt, keinen Schritt vor und zurück
machen kann, Maschinengewehre, Munition, Artillerie,
Reiterei, Jnfanterie, Pioniere, allcs nebeneinander,
dabei Hitze und Feuerbrand von den rechts und links
wie wahnsinnig brennenden Häusern her, von denen alle
Augenblicke eins einstürzt, eine brennende Hochspannung,
die sich schließlich zur Erde auf die Pferde der Maschinen-
gewehre heruntersenkt und sie biS zur Unkenntlichkeit
verkohlt, dann Franktireurfeuer, das zwar keinen Schaden
anrichtet, aber über die Kolonnen vorbeipfeift, saust,
miaut, gegen die elektrischen Drähte schlägt und alle
Nerven bis zum Unerträglichen kitzelt und peinigt.
Diese Drähte reißen; sie sind noch mit Strom geladen
und bilden eine ständige Lebensgefahr für Roß und Reiter.
Ein immer heftigeres Artillerie- und nun Jnfanteriefeuer
in nächsier Nähe auf der Höhe, dann deutlich zu unter-
scheiden das Hurra unseres braven Jnfanterieangriffs,
und wir da unten eingekeilt, untätig, wartend, nur mit
der einen Gewißheit, gehts schief, müssen wir noch einmal
durch diese Höllenstadt, wie ich vorhin schon einmal sagte.
Dann kommt wieder Bewegung in die Truppen-
menge; es geht eine Minute vorwärts, dann stockt wieder
alles, wieder eine Minute weiter, Stockung, dann biegen
wir in eine hügelanführende Straße ein, die ganz im
Dunkeln liegt. Kaum sind wir drin, geht das elektrische
Licht an, Signal und zugleich Erleichterung des Ziels
auf uns.
Aber auch das ging vorüber, und gegen 10 Uhr
abends kommt flüssige Bewegung in die Heeresschlange,
und wir marschieren und kommen vorwärts; die Häuser
werden weniger, und plötzlich befinden wir uns auf einem
breiten Plateau unter Gottes Gestirnen. Der Abend-
stern jubelt uns zu, und der würdige Nordstern scheint
zu sagen, ich gehöre ja zu euch, warum Kleinmütigkeit?
Uns gegenüber ift ein Wald, und Wege kann man unter-
scheiden, und links ist ein von der Jndustrie greulich auf-
geworfener Schutthügel, aber rechts ein kleines Dörfchen,
kurzum, freies Gelände, Manövergelände, so wie wir
es kennen und wie wir es gelernt haben, und auf Trag-
bahren werden viel Schwerverwundete vorbeigeführt;
aber jeder sagt es dem andern, fast leise und mit Tränen
in den Augen: Sieg, die Franzosen sind geschlagen,
und für heute haben wir Luft, wir können im Freien die
Nacht verbringen.
Und dann ist unser Reiterregiment getrennt von den
anderen Truppen, und wir haben unsere Biwakplätze,
wir haben Stroh für uns und Heu für die Pferde ge-
funden, und jeder legt sich gerade da hin, wo er eben
steht, an die Böschung eines StraßengrabenS oder in
die Furchen eines Kartoffelfeldes. Keiner kann ein-
schlafen und starrt ungläubig glücklich in den gestirnten
Himmel hinein, den wiederzusehen er oft den einen
langen Tag zweifeln mußte. Essen sah ich keinen.
Es wurde bekanntgegeben, daß am nächsten Tag die
schwere Artillerie das Teufelswerk zusammenschießen
sollte, und es ging wie eine glückliche Befreiung durch
alle Seelen; aber es kam anders, die Stadt bezahlte
viele Millionen und freie Verpflegung für die Truppen.
Seht, ihr Lieben, das war ein langer und ein grauen-
hafter Tag, und ich möchte keinen zweiten der Art wieder
gewehr, das in irgendemem Häuserdach eingebaut
sein mußte; aber die Kugeln gingen alle zu hoch und zu
weit und trafen nicht; wenigstens nicht uns.
Wir hatten alle das Gefühl, daß, wenn jetzt unsere
letzte Jnfanterie über die Brücke hinüber sein würde,
wir als Schluß des Detachements wiederum die ganze
hinterlistige Wut der Bevölkerung auszukosten haben
würden. So entschloß sich unser Kommandeur, den Rest
der Reiter heranzuholen und einen hinter dem andern,
jenseits der Brücke an die Häuser gedrückt, aufzustellen.
Wir unterhielten uns bis Anbruch der Dunkelheit
damit, dann und wann auf irgendein Haus des gegen-
überliegenden Ufers zu schießen, aus dem man auf uns
geschossen hatte.
Oben, auf der rückwärtigen Höhe, vielleicht eine
halbe Stunde Marsch von uns entfernt, tobte die Feld-
schlacht. Wir unterschieden ganz genau unser ruhiges,
festes, energisches Artilleriefeuer, vor allem das Schwei-
gen gebietende Krachen unserer schweren Artillerie beim
Feldheer, des größten Schreckens der Franzosen, von
dem heftigen, nervösen, französischen Feuer.
Wir wußten aber auch ganz genau, daß, wenn es
da oben schief geht, wir durch Charleroi zurück mußten,
und ich glaube, ein jeder von uns hätte sich lieber an der
Stelle, auf der er stand, totschlagen lassen, als noch einmal
zu versuchen, durch diese Hölle jetzt in den sicheren Tod
zurückzugehen und dem Gorgonenhaupt dieser Stadt
in der Nacht ins Auge zu schauen.
Da erhielt ich den Auftrag, mit meinem Zug einmal
links herauszufühlen, ob dort vielleicht eine Abzugsstraße
für uns nach Chatelet in Frage käme.
Jch ließ führen, Karabinerschützen neben den Pferden
gehen und das äußere Tor einer der großen Fabriken
am Fluß aufbrechen, um sicher zu sein, beim Aurück-
kommen nicht von dort durch überlegene Kräste nieder-
gemacht zu werden. Wir fanden aber keinen mehr,
außer zwei heulenden, unsagbar erbärmlich feigen
Jngenieuren, die uns sofort verrieten, daß die Fabrik
bis zum Nachmittag von Schützen besetzt gewesen sei,
die sich jetzt aber auf den anliegenden Höhen verteilt
hätten. Das sprach sich herum. Jch glaubte zu merken —
und das ließ mein Herz zu Eis erstarren, und ich hoffe
immer noch, unrecht gedacht zu haben—, daß meine
sonst so braven Reiter keine rechten Nerven mehr hatten,
vorwärts zu gehen, ihr Schritt wurde immer langsamer,
sie suchten mit immer mehr Umständlichkeit Aivilisten
einzufangen, kurzum, ich sah mich gegebenenfalls vor
der Notwendigkeit, gegen die eigenen Truppen ein-
zuschreiten, das Herzzerreißendste, was einem im Krieg
passieren kann, jedenfalls schickte ich mich wehen Herzens
an, auch in diese abgrundtiefe Perspektive zu schauen.
Da aber komnit ein Meldereiter und ruft uns zurück.
Kaum drehen wir, beginnt ein lebhaftes Feuer aus dem
Dunkel von den Hügeln links auf uns, aber wieder gehen
alle Kugeln weit über uns weg, niemand wird getroffen,
und in atemlosem Lauf, die Pferde am Zügel, treffen
wir aus der Dunkelheit beim Regiment wieder ein,
das von Flammen umloht ist. Jch war wie befreit, daß
ich nicht weiter gemußt hatte.
Doch nun paßt auf! Denkt euch eine ziemlich breite
Straße, die aus einer Arbeiterstadt herausführt, diese
Straße aber von vier, sünf Kolonnen so besetzt, daß, wer
in dem Heerzug drinsteckt, keinen Schritt vor und zurück
machen kann, Maschinengewehre, Munition, Artillerie,
Reiterei, Jnfanterie, Pioniere, allcs nebeneinander,
dabei Hitze und Feuerbrand von den rechts und links
wie wahnsinnig brennenden Häusern her, von denen alle
Augenblicke eins einstürzt, eine brennende Hochspannung,
die sich schließlich zur Erde auf die Pferde der Maschinen-
gewehre heruntersenkt und sie biS zur Unkenntlichkeit
verkohlt, dann Franktireurfeuer, das zwar keinen Schaden
anrichtet, aber über die Kolonnen vorbeipfeift, saust,
miaut, gegen die elektrischen Drähte schlägt und alle
Nerven bis zum Unerträglichen kitzelt und peinigt.
Diese Drähte reißen; sie sind noch mit Strom geladen
und bilden eine ständige Lebensgefahr für Roß und Reiter.
Ein immer heftigeres Artillerie- und nun Jnfanteriefeuer
in nächsier Nähe auf der Höhe, dann deutlich zu unter-
scheiden das Hurra unseres braven Jnfanterieangriffs,
und wir da unten eingekeilt, untätig, wartend, nur mit
der einen Gewißheit, gehts schief, müssen wir noch einmal
durch diese Höllenstadt, wie ich vorhin schon einmal sagte.
Dann kommt wieder Bewegung in die Truppen-
menge; es geht eine Minute vorwärts, dann stockt wieder
alles, wieder eine Minute weiter, Stockung, dann biegen
wir in eine hügelanführende Straße ein, die ganz im
Dunkeln liegt. Kaum sind wir drin, geht das elektrische
Licht an, Signal und zugleich Erleichterung des Ziels
auf uns.
Aber auch das ging vorüber, und gegen 10 Uhr
abends kommt flüssige Bewegung in die Heeresschlange,
und wir marschieren und kommen vorwärts; die Häuser
werden weniger, und plötzlich befinden wir uns auf einem
breiten Plateau unter Gottes Gestirnen. Der Abend-
stern jubelt uns zu, und der würdige Nordstern scheint
zu sagen, ich gehöre ja zu euch, warum Kleinmütigkeit?
Uns gegenüber ift ein Wald, und Wege kann man unter-
scheiden, und links ist ein von der Jndustrie greulich auf-
geworfener Schutthügel, aber rechts ein kleines Dörfchen,
kurzum, freies Gelände, Manövergelände, so wie wir
es kennen und wie wir es gelernt haben, und auf Trag-
bahren werden viel Schwerverwundete vorbeigeführt;
aber jeder sagt es dem andern, fast leise und mit Tränen
in den Augen: Sieg, die Franzosen sind geschlagen,
und für heute haben wir Luft, wir können im Freien die
Nacht verbringen.
Und dann ist unser Reiterregiment getrennt von den
anderen Truppen, und wir haben unsere Biwakplätze,
wir haben Stroh für uns und Heu für die Pferde ge-
funden, und jeder legt sich gerade da hin, wo er eben
steht, an die Böschung eines StraßengrabenS oder in
die Furchen eines Kartoffelfeldes. Keiner kann ein-
schlafen und starrt ungläubig glücklich in den gestirnten
Himmel hinein, den wiederzusehen er oft den einen
langen Tag zweifeln mußte. Essen sah ich keinen.
Es wurde bekanntgegeben, daß am nächsten Tag die
schwere Artillerie das Teufelswerk zusammenschießen
sollte, und es ging wie eine glückliche Befreiung durch
alle Seelen; aber es kam anders, die Stadt bezahlte
viele Millionen und freie Verpflegung für die Truppen.
Seht, ihr Lieben, das war ein langer und ein grauen-
hafter Tag, und ich möchte keinen zweiten der Art wieder