Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:
Aus dem Tagebuch Adolf Hoelzels
DOI Artikel:
Schäfer, Wilhelm: Puppchen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0080

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Aus dem Tagebuch Adolf Hoelzels.

Wcnn mcm eine abstrakte Form genauer begutachten,
sich über sie besonders klar werden will, wird es gut sein,
sie zur Silhouette zu machen. Sie wird dann deutlicher
hervortreten. Falls eine Ausammensetzung bestimmter
abstrakter Formen, die wir auch als Gegenstandsformen
also als konkrete empfinden können, uns dann in ihrer
Gesamtform behagt, können wir bei der llbertragung
auf die Leinwand durch eine entsprechende Farbe und
der damit verbundenen Helldunkelverteilung eine inter-
essante Abwechslung von Hell und Dunkel eintreten
lassen. Jch denke dabei immer nur an Ubung und eine
damit anzustrebende verfeinerte Formempfindung. Über-
haupt an eine gründliche Durcharbeitung und Erkenntnis
der künstlerischen Mittel, um sie im geeigneten Augen-
blick richtig empfunden zu verwerten. Es ware eine von
jenen ständigen, auch steigerungsfähigen llbungen, wie
ich mir sie dächte in einer Vorschule für eine Akademie,
so daß die Jugend schon vollständig eingeweiht in die
künstlerischen Elemente und mit gereifter Empfindung
für dieselben zum späteren künstlerischen Naturstudium
zugelassen werden kann. Denn eine gründliche in die
Empfindung übergegangeneKenntniS und Erkenntnis der
Mittel muß der Anfang sein. Denke ich, wie der Ärmere,
für Kunst Begeisterte, da er nicht die Mittel besitzt, sich
in den Gesellschaftsstrudel zu stürzen, für sich ständig
abends schreibt und zeichnet, wie müßte er erst bei An-
deutung einer reellen künstlerischen Erziehung dieses
ausnützen können und noch ganz anders weiter komnien,
gegenüber jenen, die gezwungen sind, ihrc Aeit anders
zuzubringen. Denn erst unendliche aber rationelle Arbeit
kann zum Aiele führen. Eine Reorganisation der Aka-
demie in diesem Sinne ist unter allen Umständen an-
zuregen.

uppchen.

Von Wilhelm Schäfer.

Jn einem Nachtgefecht an der Aisne blieb der Ge-
freite Kratz verwundet in einem Rübenfeld liegen. Er
vermochte noch aus dem Schußseld der Kugelspritzen
und Gewehre in das Erdloch der Granate hinein zu
kriechen; aber er lag zwischen den Schützengräben, wo
ihn keiner suchen konnte. Jch muß den Tag abwarten,
überlegte er und tastete nach seinen Beinen, die beide
von den Splittern getroffen waren: Freund oder Feind,
sie müssen mich finden und ich komme noch früh genug
ins Lazarett!

Darüber fuhr eine Leuchtkugel in die Nacht, und ihr
grelles Licht überschwemmte ihn. Er war nicht allein
in dem ausgewühlten Loch, zwei Stiefel hingen über
den Rand; doch als er daran rüttelte, den Mann zu
wecken, staken die Beine steif wie Holz darin: Der wird
näher an der Granate gewesen sein, dachte er und sah
sich noch einmal in dem platzenden Feuer. Er suchte,
wer es gewesen sein könnte von den Kameraden, und
wurde von neuem hineingerissen in den Bildersturz der
letzten Vergangenheit mit den Gewaltmärschen durch
verbrannte Dörfer und zertretene Felder. Wie im Kino
wechselten die Bilder, auch so wesenlos; denn seine Seele
war schauernd und fremd in diesen Erlebnissen seiner

Sinne gewesen, darin er nicht mehr derMaler Kratz,nur
noch Gefreiter der sechsten Kompagnie mit der Nummer
seiner Blechmarke war. Es ist richtig so, nickte er, der
Krieg braucht Soldaten, keine Menschen!

Unversehens aber entwich ihm seine Seele in die
Heimat, wo seineMutter nun dieNachricht erhalten würde,
daß er verwundet sei. Er sah sie in der kleinen Miets-
wohnung der Vorstadt mit der Schwester sitzen und um
ihn weinen. Sie hatte ihn auf der Kunstschule durch-
gehalten mit ihrer Witwenpension, gläubig wartend auf
seinen Ruhm in vielen sparsamen Jahren; nun ging sie
wohl täglich in die Dachkammer hinauf, wo die Studien
und Bilder Überreste geworden waren, statt Erdreich zu
sein für neue Arbeit; die Farben trockneten ein in den
Tuben und die Pinsel brauchte ihm keiner mehrzu waschen.
Er hatte irgendwo gelesen: dies sei die große Erhebung
des Krieges, daß der Einzelne sich für sein Vaterland
zum Opfer brächte; aber er wußte, daß es nicht stimmte,
für ihn nicht und für die andern nicht: jeder träumte
von dem Tag der siegreichen Heimkehr, und die gefähr-
lichsten Dinge wurden mit dem Gefühl getan, daß dem
Mutigen die Welt gehöre. Er fühlte sich zu Unrecht
voni Schicksal getroffen und so sehr empörte sich sein
Blut, daß er aufstehen wollte — in diesem Augenblick
erkannte der Gefreite Kratz, daß seine Verletzunq töd-
lich sein könnte.

Der Gedanke des Todes senkte sich über ihn wie eine
gläserne Glocke; wohl hörte er noch immer die Eisensaat-
maschine klappern, der Kanonendonner rollte über die
Berge, und ein Brand flackerte mit seinem Geleucht:
aber dies war nun die Welt der andern, die seine sank
wieder in den Ursprung zurück. Jch hatte es nicht sobald er-
wartet, klagte er leise; aber es war nicht mehr die Mutter,
an die er dachte: er sah sich im Frühsommer vor der
Leinwand stehen, von stolzen Hoffnungen erregt, weil
ihm endlich ein eigener Durchbruch ins Reich der Kunst
geglückt war. Sie nannten mich das Krätzchen, weil
meine Beine kürzer als die ihrigen waren, jetzt hab ich
damit meinen Mann gestellt und bin dem Tod recht ge-
wesen wie die andern!

Er staunte plötzlich, daß er dies getan hatte; er sah
sich wieder vor das erschrockene Gesicht der Mutter
treten, die Aeitung in der Hand, rauschhaft in seinem
Entschluß: Die Welt fängt an zu brennen und Deutschland
wird die Brandstätte sein, wenn wir nicht alle zur Stelle
sind! Er sah sich zum erstenmal im Waffenrock und fühlte
den Schauer, mit dem er das eiserne Gewehr in die
Hände nahm fürs Vaterland; er sah sich fahren mit den
Kameraden, grüne Büsche und Blumen in den Gewehr-
läufen, durch Bahnhofshallen, wo Tag und Nacht
Frauen und Mädchen unermüdlich waren, ihnen die
Liebe des Vaterlandes mit auf den Weg zu geben;
er sah sich durch glühenden Staub marschieren, bis die
ersten weißen Spritzwölkchen der Schrapnells an-
kündigten, daß sie an den Feind kamen. Signale klangen
in seine Gedanken hinein und noch einmal war er Soldat,
der nicht daliegen durfte, indessen derKampf weiterging:
Weil seine Hand nichts anderes fand, griff er nach den
Stiefeln des Toten, sich aufzurichten. Für einen Augen-
blick sah er über den Rand seines Loches das nahe
Dorf, wo die Häuser und Scheuern im lohenden Brand

»s
 
Annotationen