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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 2
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Zech, Paul: Drei Kriegsgedichte
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Bab, Julius: Der neue Strindberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0085

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Drei Kriegsgedichte von Paul Aeclu

Ich fühle mich mit allem schuldig, ja!

Du hebst dein gramgedunkeltes Gesicht,
hebst deine Iitterhand und klagst mich an;
ich fühle, wie nrir jedes Wort zerbricht,
das ich niir, dich zu trösten, vorersann.

Es klafft ein Riß jetzt zwischen dir und mir,
den keine Tröstung wölbend überbrückt.

Es weht kein Hauch durch diese Raume hier,
aus dem nicht Drohendes zu mir sich zückt.

Jch fühle mich mit allem schuldig, ja!

Weiß, daß es nieine spitze Kugel war,
durch die dies Ungeheuere geschah —:
schlaflose Nacht und Reif in deinem Haar,

ein liebewarm Umhegtes plötzlich kalt
und irgendwo verscharrt im fremden Sand...
Was weinst du? Warum brauchst du nicht Gewalt?
Durchbohre meine Seite, meine Hand!

Schlag mich an alle Kreuze dieser Welt!

Lösch meinen Namen aus der Menschheit Buch
und streu mich, schon gerichtet und zerschellt,
streu meine Asche noch in jeden Fluch.

Dir aber wachs' aus Christi Wunder die Passion
zu der Geburt, um die sich Sterne drehn,
der Sohn, durch den wie brausender Posaunenton
die Götterhimmel aller Erden gehn.

Wer noch in dieser Wirrnis fühlt...

Weiß steht die Sonne in dem Saal
und du erhebst dich fieberfahl
aus den zerwühlten Kissen,
und deine Augen irren rund,
und hart um Stirne, Kinn und Mund
wächst dir ein dunkles Wissen.

Die Nachbarn, grau herumgebaut,
sind dir mit einem Mal vertraut;
weißt, daß jetzt Schwesternschritte
von Bett zu Bett sich langsam drehn,
und fühlst ein Blond herniederwehn
und Glanz um eine neue Mitte.

Der Arzt spricht, daß die Wunde beilt;
du dankst, und dein Erinnern eilt
auf halb erloschenen Spuren
zurück in das begrellte Feld,
wo Eisenwogen, sturmgeschwellt,

Brustberge überfuhren.

Das wilde Auge, das dich traf,
fährt auf aus rotbelaubtem Schlaf
und rüttelt an den Awinger
und sucht die Fahne, die du suchst,
und flucht das Fluchen, das du fluchst,
und krümmt wie du den Finger —:

Daß einmal blauer Sonntag war
mit Frau und breiter Kinderschar
und Blumenspiel auf Wiesen-Bühnen ...

Wer noch in dieser Wirrnis fühlt,

daß Schauern, das dich nun umspült,

durch Graber, Höllen fortgedreht, zu sühnen?!

er neue Strindberg.

Der harte Sinn der Theaterdirektoren hat
endlich, der vieljährigen Mahnung der Kenner
folgend, die ungeheure, seit länger als einem Jahr-
zehnt schon gleichgefüllte Schatzkammer an dramatischen
Werken entdeckt, die August Strindberg angelegt hat.
Es sind beinahe ein halbes Hundert Bühnenwerke,
die dieser Schwede (neben seinen Epen, seinen zahllosen
wissenschaftlichen Studien und seinem Hauptwerk, der
vielbandigen Lebensgeschichte) in ungefähr 40 Jahren
geschaffen hat. Au einem erheblichen Teil sind sie natür-
lich in Deutschland noch ungespielt; man kann also auf
die bequemste Weise mit literarisch bedeutsamen Ur-
aufführungen protzen. So greist denn jeder, der sein
Theatergeschäft mit etwas moderner Kultur vergolden
will, blind in diese Schatzkammer hinein. Wirklich blind

— denn keineswegs alles, was man von dem neuen
Strindberg ausgeführt hat, scheint mir wertvoll. Dieser
einsamste, volksfremdeste Problematiker wurde in seineni
Alter von der rührenden Eitelkeit heimgesucht, ein
Nationaldichter, ein schwedischer Shakespeare zu werden.
Und er hat (natürlich mit außerordentlichen Einzelheiten)
in höchst stofflicher, trockener und flüchtiger Art die schwe-
dische Geschichte in einem Dutzend Dramen durch-
gedichtet. Daß man uns einige der schwächsten Stücke
dieses Kreises vorführte, war in Deutschland doppelt
überslüssig. — Nicht minder rührend ist, menschlich be-
trachtet, jenes Bedürfnis, aus dem heraus der alternde
Luzifer sich eine kindlich traumende Märchenstimmung zu
erzwingen suchte; aber die Produkte dieser Stunden

— von schönen poetischen Einfällen durchglitzert, von
der ganzen Schwere Strindbergschen Lebensgefühls
zuweilen erschreckend durchzuckt — sind doch im ganzen
dünne, allzu absichtlich geknüpfte, wenig bedeutende Ge-
webe. (Das allerschwächste, namens „Schwanenweiß",
ist so schwach, daß man es sogar im Königlichen Schau-
spielhaus zu Berlin, natürlich unter Beseitigung aller
Strindbergschen Reste, als etwas langweilig alberne
Feerie zu spielen wagte.) Aber so äußerlich und kritiklos
dieses plötzliche Strindberginteresse der Bühnenleiter
auch sein mag, auch hier ist die List der Jdee am Werke,
die sich der menschlichen Eitelkeiten zur Erreichung
geistiger Aiele zu bedienen pflegt. Denn mit allem
Minderwertigen und Schwachen ist durch diese Mode
auch ein neuer, wahrhaft großer Strindberg sichtbar
geworden.

Der alte Strindberg, den man von der Bühne her
kennen konnte, der Strindberg von 1880 und 1890,
war ein wütender Naturalist — in freilich unkorrektem
Sinne, den das Wort damals besaß. Denn wenn er
seine nächste und dichteste Wirklichkeit zum Stoff nahm,
so tat er es weder im technischen noch im geistigen Sinn,
 
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