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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 4
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Westermann, Charlotte: Kapelle zu den sieben Schmerzen
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Röttger, Karl: Das Warten im Frühling: Frühlingsmärchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0158

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Kapelle zu den sieben Schmerzen.

Kapelle in ihren Schlaf. Die Blumen sterben, die man
auf einen Haufen ins Gras geworfen hat, und modern
in Tau und Regen ihrem Ende und ihrem Anfana
entgegen.

Jn diesen Passionsnächten aber mag eS geschehen,
daß ein Mann sich im Wald zeigt. Er ist jung und schön
und hat über einem Kettenhemd ein weißes Seiden-
gewand bis zu den Knien. Vom Gürtel hängt ein
breites Schwert mit rotumbändertem Griff; er geht
aber mit bloßen Füßen und barhaupt im blonden Haar,
das seine hagern Wangen rahmt. Er setzt sich auf die
oberste Stufe der Kapelle und wartet. Das Frührot
glüht zwischen den Kiefern auf und er wartet noch. Und
fällt das Taglicht auf sein Haupt, senkt er es tief zur
Brust und weint. Er hat sich mit der Kapelle und dem
Fest der Armen den Grabfrieden nicht erkaufen können.
Er kann nicht los von einer Schuld, die er im Leben
nicht bekannt hat. Seine Tat war seine kleine Schuld
— seine Untat haben die Lippen nicht entsiegelt. Jn
seinem Wald wartet er der Stunde, da ihn ein Mensch
um die Sünde seiner Seele fragt.

Er war Herr über diesen Wald, dem Lehen aus seines
Kaisers eigner Hand. Der Wald war sein Herz: ob er
zur Jagd zog oder seinen Bienen und Vögeln horchte.
Am Wald baute er sich seine Burg; ein Hügel trug sie
nur so hoch, als ihm die Fichten in Hof und Haus schauen
konnten. Den Wald nahm er vor seinen Namen, und
als er freite und Hochzeit hielt, stand auf einer Lichtung
ein Zelt, drin die Neuvermählten sich schlafen legten.
Die schlanke Frau, die er sich vom Donautal aus edleni
Geschlecht geholt, war einen Winter durch seiner Augen
Wonne und seines Herzens Glück. Sie war zart wie die
Falkenfeder auf seiner Jagdkappe und war ihm ein
leichtes Spiel und eine schwere Hut. Mit dem Früh-
ling aber kam der Kaiser an der Burg vorbei nach Nürn-
berg geritten. Da holte er Schwert und Schild aus der
Kammer und prüfte, wie ihm der Schuppenpanzer
noch auf den verzärtelten Leib paßte. Die Frau wand
ihre weichen Flechten von seinem Hals und nahm wahr,
wie seine Arme wieder hart, sein Gang heftiger, seine
Stimme lauter wurde. Sie seufzte ein wenig und
schlüpfte aus dem Lärm des Burghofes in den Awinger.
Er stand in Veilchen, und grün beugte sich der frische
Wald vor den Mauern. Die Cdelfrau pflückte Veilchen
in ihr aufgerafftes Kleid und schaute über die Stein-
wehr und die schwankenden Bäume in die umschleierte
Ferne. Sie sah die Burg zu Nürnberg wie ein Traum-
gebild im Himmel stehn, biß sich in die Lippen und zer-
drückte mit rauhen Händen die Blumen. Aber sie lachte,
als sie mit ihrem Herrn aufsaß und klopfenden Herzens
der Stadt und des Reiches Herrlichkeit entgegenritt.
Sie drückte im Turnier — die Jüngste und Schönste
mit schmalen Schimmerschultern aus veilchenfarbenem
Sammet — dem Staufen mit den leisbewegten Lippen,
der ein Kriegsheld und ein Liebessänger war, den Kranz
auf den Königsreif. Sie nahm gefaßten Abschied von
ihrem Gatten, der sich das Kreuz auf den Mantel geheftet
hatte, und als er im langen Iug der Fürsten und Ritter
aus dem Tor ritt, wandte auch sie den Falben nach ihrer
Waldburg zurück. Sie saß daheim und hörte nichts als
das Waldrauschen, den Schrei der Häher und der Falken,

und ihres eignen Blutes Getön. Sie wußte nichts, als
daß es Sommer und Winter wurde und wieder Hitze
und Frost den Wald durchschauerten. Jn den Wochen
vor der zweiten Ostern aber kam Kunde vom Kreuzheer.
Und ehe sie ihres Mannes Namen wieder zu sprechen
versuchte, kehrte er schon übers Meer heim vom heiligen
Land. Er war gleich den andern ein wunder und siecher
Mann gewesen. Nun aber war er da in kaum ver-
harschten Narben, braun von syrischer Sonne, doch nicht
anders, alS da sie ihn siegend in den Schranken zu Nürn-
berg gesehen hatte. Der Wald stand in Leben und die
Burg in Jubel, als der Herr unterm Tor den Rappen
zügelte. Die schlanke Frau war ihm die stille Woche,
was sie ihm zuvor gewesen. Am Ostermorgen hat er sie
erschlagen. Es war kein Richter über ihm als der Kaiser;
als die Menschen vor ihm zurückwichen, verließ er sein
Haus und tat in Jtalien einen Kniefall vor dem Staufen.
Der hob ihn auf, wie der Papst ihn sreisprach. Der
Kaiser den Waffengefährten, der Papst den Büßer vom
Heiligen Grab. Aber da er nicht reden wollte, um was
die Tote in ihrer Gruft lag, geboten beide ihm, heim-
zukehren und seine Burg nie wieder zu verlassen. Er
kam von Nom auf nackten Füßen und mit unbedecktem
Haupt gegangen, baute die Kapelle und stiftete, was zu
ihr gehörte. Seinen Namen tat er von sich und nannte
sich Gramlieb. Er blieb einsam auf seinem festen Haus;
aber er fastete nicht und betete nicht und war im Wald
bei Tag und Nacht. Als er im Sterben lag, ließ er sich
hinaustragen, denn er hatte unter Dach keinen Frieden.
Er ging aus seinem trotzigen Leben in einen trotzigen Tod.

Jhm nach ging die Legende. Von dem Tag an, an
dem die Ruhmesse für die gemordete Frau gelesen wird,
bis zum Auferstehungsmorgen des Ostersonntags, er-
scheint er im Wald von St. Lorenz. Er wartet. Manche
sind schon an ihm vorbeigekommen, aber keiner, der
reines Herzens war. Jn ein unwissend Herz nur darf
er, wie in den Kelch einer Frühlingsblume, sein schweres
Bekenntnis legen. Die Kapelle zu den sieben Schmerzen
steht am zweiten Sonntag vor Ostern allen Wandernden
offen. Manche ziehen an ihr vorbei, manche treten ein.
Einzelne kommen abends noch hin auf ihrem Heimweg
und eilen sich, die Stadt zu erreichen. Einer unter den
Tausenden, welche die große Stadt in den lenzenden
Wald schickt, sieht in der Nacht den blassen Mann auf den
Stufen der Kapelle sitzen. Erschrickt er dann und zögert
sein Fuß, sieht ihn der Stille an und sagt in Gram und
Liebe: „Du Fremder, geh vorüber."

as Warten im Frühling.

Frühlingsmärchen.

Von Karl Röttger.

Das halbblinde Mädchen saß an der Hauswand,
gleich unter den offenstehenden Fenstern auf einem
Stuhl. Die Sonne lag auf ihr und an der Hauswand.
Die Hyazinthen im Fenster dufteten, und die weiche
Hand des unsichtbaren Windes strich manchmal über
ihren Kopf. Sie hatte die Hände ausgestreckt auf dcm
Schoß liegen. Das Gesicht blickte gradaus; aber die
Augen trugen das Aeichen ihres langsamen Todes —
 
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