Das Warten im Frühling.
Da sagte das Mädchen: So wollen wir ganz leise
sprechen. Oder komm noch näher heran. Da kam der
Schatten näher auf sie zu und sie sah nun: Ja, eine
dunkle Gestalt, eines Menschen Gestalt. Und die flüsterte
nun ganz nah ihrem Gesicht, ich weiß noch etwas anderes.
Steh auf und geh ein wenig mit mir. Hier die Wiese
entlang bis an den Weiher mit den Birken darum.
Jch führe dich an der Hand und werde dich hernach auch
wieder zurückführen. —
Als sie schwieg, sprach er weiter: Fürchtest du mich?
Nein, sagte sie. Jch fürchte deine Stimme nicht.
Sag mir zuvor nur eins: warum bist du gekommen,
willst du mich sehend machen?
Warum ich gekommen bin, weiß ich nicht; sehend
machen kann ich dich nicht. Jch bin nur so durch den
Frühlingstag gekommen, weil es mich zog. Jch gedachte
ein wenig mit dir zu sprechen. Sollen wir gehn?
Ja. — Und sie stand auf und nahm seine Hand;
danach seinen Arm und so gingen sie. Den Pfad an der
Wiese entlang, hundert Schritte entlang bis unter die
Birken. Er setzte sie auf einen Baumstumpf und sprach:
Wir sind schon da. Jch will mich ins Heidekraut setzen
zu deinen Füßen.
Und was wirst du weiter tun?
Hinaus sehn. Jn die Weite, auf den Wald da fern,
auf die Birken und Buchen und in den blauen Himmel.
Manchmal auch auf dein Gesicht.
Und weiter?
Alles, waS du willst.
Gut, so schau hin und erzähle mir davon. Aber,
dabei mußt du mir dann deine Hand geben, daß ich sie
halte. Dann versteh ich es besser...
Und er schaute und sprach...
Eine Straße liegt weithin durchs Heideland. Sie
ist weiß in der Sonne. Und niemand geht auf ihr. Sie
ist ganz still. Und führt bis weit in den Horizont; und
man denkt vielleicht, warum nicht eine Gestalt aus dem
blauen Kreis da fern geschritten kommt, und kommt
herzu ... eine hohe Gestalt, oder ein König —
Ja, auf einem Pferd, wie im Märchen, fügte das
Mädchen ein...
Oder auch ein Königskind; auch wie im Märchen —
eins, das verstoßen ist, weißt du! oder ... oder ...
Oder Er — flüsterte das Mädchen...
Wer? Was meinst du?
Er — Jesus; der Blinde heilt...
So? Ja, du hast recht...
Er fuhr sort: Es stehen Bäume viel im Land. An
der weißen Straße hin die lange Reihe der Birken...
weit, weit, weiß, und grün an den Kronen... Jch seh
die nächsten mit den dünnen Zweigen schwanken. Und
die fernsten sind ganz klein.
Es ist sehr hell über dem Land. Alles steht in der
Sonne. Nur der Kiefernwald steht ganz schwarz und rührt
sich nicht. Aber in den Fensterscheiben der Höfe, die da
einsam liegen, glitzert die Sonne.
Sprich weiter; ich seh es...
Nicht wahr, der Frühling ist schön? — Hier, zunächst
dir: die Birken haben Kätzchen, die hängen herunter,
und das Laub ist ganz klein noch und jung, und zart;
ich werde dir ein Aweiglein schneiden, später; mit ein
paar Kätzchen und Grün daran — es riecht so schön,
und du nimmst es mit nach Hause und stellst es ins
Glas...
Da am Rand hin stehen Schlüsselblumen und wilde
Veilchen; die duften nicht; aber sie sehen schön aus.
Das nächste Mal, wenn du allein bist, werde ich dir echte,
duftende mitbringen; ich weiß, wo sie stehn.
Ja, das kannst du tun, ich werde mich freuen. Wenn
ich sie rieche, werde ich sie vielleicht auch — sehen...
Der Knabe neigte seinen Kopf zu ihr hin und sprach
mit leis bebender Stimme: Tut es weh?
Sie sah ihn groß an: Was denn?
Er errötete; aber das konnte sie nicht sehen. — Weil
du doch fast blind bist...
Das meinft du, sprach sie. O, das hab ich schon
lange. Es kam ganz langsam. Die Welt verblaßte mir
in den Jahren allmählich; wie es den Sehenden jeden
Abend geschieht, wenn die Dämmerung kommt. Aber
erzähl weiter-
Ja, du hast recht, es ist noch so viel in der Welt.
Man kann es garnicht alles sagen. Man schaut so hin.
Schmetterlinge sliegen, an den Knicks entlang, wo die
Weiden blühn; über den Gärten; gelbe Aitronen-
falter und weiße Baumweißlinge. Schwalben fliegen
dahin. Und eine Lerche steigt aus; sie singt sich in den
Himmel hinauf. Hörst du sie singen?
Jch höre.
Man kann ihr nachschauen in den blauen Himmel;
das ist fast das Schönste, immer in den Himmel sehen —
und alles vergessen...
Jch sehe. —
Du heißest Magdalene —
Ja.
Magdalene, wenn du so allein sitzest... du sitzest
doch viel allein — was tust du dann, was denkst du?
Jch weiß nicht — es ist wenig! Jch sitze und lausche,
was kommt und geht. — Jch warte...
Ja, im Frühling warten wir alle. Wartest du auf
etwas Besonderes, Magdalene?
Jch weiß es nicht... Und auf einmal faßt sie seine
Hand sester: Du hast mir immer noch nicht gesagt,
warum du gekommen bist! Sag es!
Da errötet er wieder, senkt sein Gesicht und spricht
vor sich nieder: Jch weiß es nicht. Sie fühlt es, aber
sie wartet noch. Er spricht weiter: Wenn ich mein Ohr
an die jungen Blätter und Knospen lege und sage:
Warum seid ihr gekommen? Was werden sie sagen?
Die können auch nicht sprechen, sagt das Mädchen.
Doch Magdalene, sie sagen auch nur, wir wissen
es nicht. Wir sind eben da!
Sie sitzt wie tief lauschend. Dann spricht sie langsam
und schön: Also gut, du bist eben da! Sie sitzen eine
ganze Weile still. Aber er sieht wohl, daß sie viel denkt.
Er sitzt und wartet. Und dann fängt ihre Hand an zu
zittern, die seine Hand hält. Und zittert immer mehr
und will sich ihm langsam entziehen. Und ihr Mund
spricht, leise erregt: Sag, bist du-? bist du...
Jesus?
Da muß er lächeln. Nein, Magdalene, das bin ich
nicht. Warum meinst du?
Du hast mir den Frühling gezeigt!
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Da sagte das Mädchen: So wollen wir ganz leise
sprechen. Oder komm noch näher heran. Da kam der
Schatten näher auf sie zu und sie sah nun: Ja, eine
dunkle Gestalt, eines Menschen Gestalt. Und die flüsterte
nun ganz nah ihrem Gesicht, ich weiß noch etwas anderes.
Steh auf und geh ein wenig mit mir. Hier die Wiese
entlang bis an den Weiher mit den Birken darum.
Jch führe dich an der Hand und werde dich hernach auch
wieder zurückführen. —
Als sie schwieg, sprach er weiter: Fürchtest du mich?
Nein, sagte sie. Jch fürchte deine Stimme nicht.
Sag mir zuvor nur eins: warum bist du gekommen,
willst du mich sehend machen?
Warum ich gekommen bin, weiß ich nicht; sehend
machen kann ich dich nicht. Jch bin nur so durch den
Frühlingstag gekommen, weil es mich zog. Jch gedachte
ein wenig mit dir zu sprechen. Sollen wir gehn?
Ja. — Und sie stand auf und nahm seine Hand;
danach seinen Arm und so gingen sie. Den Pfad an der
Wiese entlang, hundert Schritte entlang bis unter die
Birken. Er setzte sie auf einen Baumstumpf und sprach:
Wir sind schon da. Jch will mich ins Heidekraut setzen
zu deinen Füßen.
Und was wirst du weiter tun?
Hinaus sehn. Jn die Weite, auf den Wald da fern,
auf die Birken und Buchen und in den blauen Himmel.
Manchmal auch auf dein Gesicht.
Und weiter?
Alles, waS du willst.
Gut, so schau hin und erzähle mir davon. Aber,
dabei mußt du mir dann deine Hand geben, daß ich sie
halte. Dann versteh ich es besser...
Und er schaute und sprach...
Eine Straße liegt weithin durchs Heideland. Sie
ist weiß in der Sonne. Und niemand geht auf ihr. Sie
ist ganz still. Und führt bis weit in den Horizont; und
man denkt vielleicht, warum nicht eine Gestalt aus dem
blauen Kreis da fern geschritten kommt, und kommt
herzu ... eine hohe Gestalt, oder ein König —
Ja, auf einem Pferd, wie im Märchen, fügte das
Mädchen ein...
Oder auch ein Königskind; auch wie im Märchen —
eins, das verstoßen ist, weißt du! oder ... oder ...
Oder Er — flüsterte das Mädchen...
Wer? Was meinst du?
Er — Jesus; der Blinde heilt...
So? Ja, du hast recht...
Er fuhr sort: Es stehen Bäume viel im Land. An
der weißen Straße hin die lange Reihe der Birken...
weit, weit, weiß, und grün an den Kronen... Jch seh
die nächsten mit den dünnen Zweigen schwanken. Und
die fernsten sind ganz klein.
Es ist sehr hell über dem Land. Alles steht in der
Sonne. Nur der Kiefernwald steht ganz schwarz und rührt
sich nicht. Aber in den Fensterscheiben der Höfe, die da
einsam liegen, glitzert die Sonne.
Sprich weiter; ich seh es...
Nicht wahr, der Frühling ist schön? — Hier, zunächst
dir: die Birken haben Kätzchen, die hängen herunter,
und das Laub ist ganz klein noch und jung, und zart;
ich werde dir ein Aweiglein schneiden, später; mit ein
paar Kätzchen und Grün daran — es riecht so schön,
und du nimmst es mit nach Hause und stellst es ins
Glas...
Da am Rand hin stehen Schlüsselblumen und wilde
Veilchen; die duften nicht; aber sie sehen schön aus.
Das nächste Mal, wenn du allein bist, werde ich dir echte,
duftende mitbringen; ich weiß, wo sie stehn.
Ja, das kannst du tun, ich werde mich freuen. Wenn
ich sie rieche, werde ich sie vielleicht auch — sehen...
Der Knabe neigte seinen Kopf zu ihr hin und sprach
mit leis bebender Stimme: Tut es weh?
Sie sah ihn groß an: Was denn?
Er errötete; aber das konnte sie nicht sehen. — Weil
du doch fast blind bist...
Das meinft du, sprach sie. O, das hab ich schon
lange. Es kam ganz langsam. Die Welt verblaßte mir
in den Jahren allmählich; wie es den Sehenden jeden
Abend geschieht, wenn die Dämmerung kommt. Aber
erzähl weiter-
Ja, du hast recht, es ist noch so viel in der Welt.
Man kann es garnicht alles sagen. Man schaut so hin.
Schmetterlinge sliegen, an den Knicks entlang, wo die
Weiden blühn; über den Gärten; gelbe Aitronen-
falter und weiße Baumweißlinge. Schwalben fliegen
dahin. Und eine Lerche steigt aus; sie singt sich in den
Himmel hinauf. Hörst du sie singen?
Jch höre.
Man kann ihr nachschauen in den blauen Himmel;
das ist fast das Schönste, immer in den Himmel sehen —
und alles vergessen...
Jch sehe. —
Du heißest Magdalene —
Ja.
Magdalene, wenn du so allein sitzest... du sitzest
doch viel allein — was tust du dann, was denkst du?
Jch weiß nicht — es ist wenig! Jch sitze und lausche,
was kommt und geht. — Jch warte...
Ja, im Frühling warten wir alle. Wartest du auf
etwas Besonderes, Magdalene?
Jch weiß es nicht... Und auf einmal faßt sie seine
Hand sester: Du hast mir immer noch nicht gesagt,
warum du gekommen bist! Sag es!
Da errötet er wieder, senkt sein Gesicht und spricht
vor sich nieder: Jch weiß es nicht. Sie fühlt es, aber
sie wartet noch. Er spricht weiter: Wenn ich mein Ohr
an die jungen Blätter und Knospen lege und sage:
Warum seid ihr gekommen? Was werden sie sagen?
Die können auch nicht sprechen, sagt das Mädchen.
Doch Magdalene, sie sagen auch nur, wir wissen
es nicht. Wir sind eben da!
Sie sitzt wie tief lauschend. Dann spricht sie langsam
und schön: Also gut, du bist eben da! Sie sitzen eine
ganze Weile still. Aber er sieht wohl, daß sie viel denkt.
Er sitzt und wartet. Und dann fängt ihre Hand an zu
zittern, die seine Hand hält. Und zittert immer mehr
und will sich ihm langsam entziehen. Und ihr Mund
spricht, leise erregt: Sag, bist du-? bist du...
Jesus?
Da muß er lächeln. Nein, Magdalene, das bin ich
nicht. Warum meinst du?
Du hast mir den Frühling gezeigt!
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