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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 5
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Walser, Robert: Rosa: eine Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0196

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so, als sei das Zusammentreffen mit Rosa ihm fast lästig. Sein Kuß
wurde kälter und kälter, und eines Tages sah sich das arme Mädchen
gezwungen, sich zu sagen, daß sie betrogen sei, daß Paul sie weder
mehr verehre noch liebe, daß keinerlei Sehnen ihn mehr zu ihr hin-
ziehe, daß die Lüge, die Komädie und der handgreifliche Verrat
offenbar seien, und daß es daher für sie Zeit sei, mit dem Treu:
losen zu brechen.

Sie weinte ganze lange Tage. Die gesunde junge Frau, die
sie war, besaß sie auch die Kraft, sich dem Schmerz mit der vollen
Gewalt hinzugeben? Sie überließ sich der traurigen und schreck:
lichen Wollust endloser jammervoller Klagen. Der Verlust des
geliebten Mannes, der Untergang all der holden Hoffnung, das
zertrümmerte liebliche Gebäude, der Iusammenbruch des Lust:
schlosses, in welchem die schönen Prinzessinnen „heitere Aussicht"
und „frohe Zuversicht" und „süße Empfindung" gewohnt hatten,
das unabsehbare Leid, das wie ein Meer sich vor ihrem Bewußtsein
ausdehnte, bedeuteten eine Wunde in dem verlehten Busen, die
mit heißen und vielen Tränen ausgewaschen sein wollte, damit sie
nach und nach heilen konnte. Jndem aber Rosa viel weinte, blieb
sie gesund und bei einiger Heiterkeit, denn in einem großen Unglück
liegt auch ein großer Seelenstolz, mithin immer noch eine Art
Gewinn. Jndem sie klagte, mußten auch nach und nach die Klagen
aufhLren, wie denn alles, was einen Beginn hat, auch zu seinem
Ende kommen muß, denn das, was nie aufhört, beginnt auch nie.
Dem Menschen ist weder endloses Leid auferlegt, noch endloses
Glück gegönnt. Rosa lernte wieder lächeln und heiter scin. Der
muntere Geist, den sie besaß, gab nicht zu, daß sie verzweifelte, und
ihre Klugheit und Aufgewecktheit zeigten ihr den Weg, den sie ein:
schlug, um nicht nur am Leben zu bleiben, sondern auch fernerhin
am Leben eine bescheidene Freude zu haben. Sie gehörte am Ende
zu den Leuten, die den Drang haben, sich selber zu schähen; denen
es daher unmöglich ist, gänzlich zu verzagen. Sie faßte frische Hoff-
nung, denn sie sah ein, daß neben Paul noch allerlei sonstige achtens:
sowohl wie liebenswerte Männer auf der Welt lebten. Die Zeit,
die eine bedeutende Arztin ist, trug bei und half mit, das Gewesene,
teilweise wenigstens, zu überwinden. Stolz und gerechter Zorn
taten an dem Werk der Überwindung das ihrige und waren Rosa
behilflich, sich zu erneuern. Sie lernte bei einer Gelegenheit einen
rechtschaffenen Mann kennen, der ihr mit der Zeit bewies, daß sie
ihm teuer sei und daß er wünsche, ihr ergeben sein zu dürfen. Sein
Charakter und seine männliche Bestimmtheit veranlaßten sie, ihn
zu achten. Sie gewöhnte sich an ihn, derart, daß, als er sie zu einer
guten Stunde mit stiller, angenehmer Stimme bat, ihm sagen zu
wollen, ob er der Jhre sein dürfe und ob sie die Seine sein möchte,
und ob sie seine Meinung teile, die ihm einrede, daß sie beide gut
zusammen passen würden, sie ihn ehrlich und freundlich anschaute
und ihm gar keine lange und breite Antwort gab, sondern sich zu:
traulich und mit dem vergnügtesten und schönsten Lächeln der Welt
auf den Lippen an ihn anschmiegte, worauf er sie herzlich küßte.

Derartig innen und außen zufriedengestellt und befestigt,
konnte sie mit großer und stolzer Ruhe Teilnehmerin und handelnde
Person eines bald darauf erfolgenden Auftrittes oder Nachspieles
sein und einem ungerechten, bösartigen Angriff auf ihre Zartheit
und weibliche Ehre, der von Pauls Mutter gegen sie unternommen
wurde, mit der zierlichen und bewundernswerten Würde, die nur
die Redlichkeit und die Unschuld aufzubringen vermögen, entgegen:
treten, um ihn gelassen abzuwehren. Cines Abends nämlich stellten
sich in ihrer Wohnung, wo auch um die Zeit ihr neuer Freund sich
erade aufhielt, Paul und dessen Mutter ein, welch lehtere ganz
esonders deshalb gekommen war, um, wie es ihr beliebte sich aus-
zudrücken, Rosa „alle Schande zu sagen". Die zwei Leute, Mutter
und Sohn, traten in die Stube, wo erstere alsogleich anfing,

indem sie ein klägliches Jnteresse und eine übel angebrachte, völlig
plumpe Besorgnis für ihren Sohn hoch vor sich her trug, die jungs
Herrin der Wohnung mit Vorwürfen schlechter und törichter Art
zu überschütten, unter anderem dem, daß Rosa den armen Paul
nicht nur zu verführen, sondern obendrein noch grausam zu quälen
sich unterstanden habe, so, daß der junge Mann noch heute darunter
zu leiden habe. „Verführen? Quälen?" rief Rosa voll reizender
und aufrichtiger Entrüstung und mit ebenso zornigem als graziösem
Erbeben aus, „man komme mir nicht mit so dummem Geschwähe,
und wo ich in diesem Zimmer etwas zu befehlen oder nur sonstwie
zu sagen habe, so muß ich bitten, mich mit allen und jeden nichts-
sagenden und unpassenden Vorwürfen zu verschonen. Der soll
sich in sein Herz hinabschämen, der zu sagen wagt und sich darüber
beklagt, daß er soll gequält worden sein, wo doch nur ich gelitten,
geweint und geseufzt habe, wo doch nur mir durch kalten, schnöden
Abfall eine Qual bereitet wurde. Der soll sich schämen und sich
voll Schmach und Scham hinter seiner Mutter Rock verbergen, der
sich erdreistet, vorzugeben, daß er soll verführt worden sein, wo
doch nur ich durch Treulosigkeit und Fühllosigkeit verraten und be-
trogen, wo doch nur ich durch den Glauben an ihn verführt wurde.
Der soll sich nicht nur dreimal, sondern tausendmal schämen und sich
klein, feig und schwach vorkommen, unfähig, sich das schöne Recht
zu erwerben, sich Mann zu nennen, der sich nicht scheut, seine
einstige Geliebte bei seiner Mutter anzuschwärzen und sie der
Grausamkeit anzuklagen, wo nicht er, sondern doch nur sie grausam
behandelt worden ist. Was ist mein heißer und inbrünstiger Wunsch
gewesen? Daß Paul ein Mann sein möchte. Inwiefern habe ich
ihn verführt und grausam behandelt? Insofern vielleicht, als ich
hoffte, er liebe mich, werde mir treu sein und werde mich zu seiner
Frau machen. Doch mit einem Knaben vermag ich nichts anzu-
fangen, denn wenn ich Frau sein soll, muß der, mit dem ich zu
tun habe, ein Mann sein, und das ist der nicht, von dem Sie sagen,
daß er unter mir zu leiden gehabt haben soll. Und Sie, Madame,
sind Sie klug, daß Sie ungerecht gegen Ihr Geschlecht sein wollen,
sind Sie klug, daß Sie Jhren Sohn, der ein Mann sein sollte, in
seiner Kleinherzigkeit und Unedelherzigkeit unterstützen? Ich, ich
bildete mir ein, daß er ein edles, liebes, großes Herz habe; Gott
im Himmel, du weißt, wie ich mich abgehärmt habe, weil ich habe
einsehen lernen müssen, daß er kein edles Herz besiht. Aber eine
Närrin wollte ich schließlich dcnn doch nicht sein. Nein, nein, für
so dumm und für gar so verliebt in den Gram und in das Leid und
in das Clend muß man mich nicht halten. Du, komm doch, tritt
vor, damit dich die Herrschaften doch auch zu sehen bekommen." —
„Der hier", sagte sie, als ihr Freund aus dem Nebenzimmer, wo
er still sihen geblieben war, heraustrat, „ist ein Mann, wie ich
ihn brauche, auf dessen vortreffliche Eigenschaften ich mich stützen
kann. Aus solch einen Mann wage ich zu bauen, und er wird mein
Vertrauen nicht dazu benuhen, mich zu hintergehen; das ist einMann,
wie Frauen ihn sich wünschen, die sich nach einem festen Boden
unter den Füßen und nach einem ruhigen Heim sehnen. An ihn
schmiege ich mich; an ihm halte ich mich. Cr ist zuverlässig, sagt
und tut nicht heute dieses und morgen jenes. Der, der liebt mich,
hält mich hoch, verehrt uiich, nicht wahr, Freund, und es wird ihm
niemals einfallen, irgend etwas zu tun, was mich unglücklich machen
könnte. Solchen Mann respektiere ich, habe ich lieb. Solchem
Mann zu gehorchen ist eine Freude, wie es ihm eine Lust ist, die
zu lieben, die er regiert. Er macht mich und ich mache ihn glücklich.
Und wenn nun die, die wir nicht gebeten haben, uns zu besuchen,
so gefällig sein und sich entfernen wollen, so sind hier Zwei, die
HLflich gute Nacht sagen und die froh sind, wenn man sie allein
läßt, und dort ist die Türe, die freundlich bittet, Gebrauch von ihr
zu machen." Worte, die weder an Deutlichkeit etwas zu wünschen,
noch Paul und seiner Mutter etwas anderes übrig ließen, als
zu gehen.

Verantwortlich: Wilhelm Schäfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Düsseldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Zanders, B.-Gladbach.
Gedruckt mit Farben der Chr. Hostmann - Steinbergschen Farbenfabriken, G. m. b. H., Celle (Hannover).

Alle redaktionellen Sendungen sind an den Herausgeber Wilhelm Schäfer in Vallendar a. Rh. erbeten.

Für unverlangte Manuskripte und Rezensionsexemplare wird keine Verpflichtung übernommen. Rückporto ist beizulegen.
 
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