Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

DOI Heft:
Heft 8
DOI Artikel:
Röttger, Karl: Die Berufung des Johann Sebastian: Novelle
DOI Artikel:
Mahrholz, Werner: Paul Ernsts Novellendichtung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0286

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Berufung des Johann Sebastian.

Der Knabe sah ihre Lieblichkeit an und bat dann:
Bleib noch ein wenig, du bist so schön.

Wohl? Bin ich schön? Aber nicht mehr denn an-
dere. Irgendwo ist alles schön. Wo Gott und sein
Licht ist. Das macht alleS schön.

Also im Himmel nur, sprach der Knabe.

Ja dort. Aber der Himmel wird immer größer
werden und Gotteö Licht wird überall hin gelangen und
dann ist überall — alles schön.

Also vermöchte Gott auch auf der Erde zu sein?

Ja, auch aus der Erde. Wenn dort Raum gemacht
wird sür ihn. Jobann Sebastian, leb wohl.

Ach, du gehst schon?

Ja, bedrückt es dich?

Er nickte.

So gehe noch ein weniges mit mir.

Da sprang er auf... und ging an ihrer Hand.
So wandelten sie hin über die Auen und sie neigte
ihr schönes Gesicht einmal zum andernmal und sprach
weich wie Frauengcsang: Hörst du, Sebastian? Hörst du?

Ja, ich höre. Und er sah lächelnd zu ihr aus.

Dann stand sie still und sprach: Es ruft mich. Jch
bliebe gern noch ein weniges bei dir; aber es rust mich.
O, auch die Erde ist schön, und schön ist es, mit Mcn«
schen zu gehn. Aber es ruft mich. - Der Knabe schwieg
und sah sie an.

Dann sprach er: Laß mir den Bogen. Damit ver-
möchte ich vielleicht leichter, waö Gott mir durch dich
aufgetragen.

Sie lächelte und gab ihm den Bogen.

So stieg sie empor. . . Und sah vielmal zurück,
lächelte, bis ihr Gesicht im Blau entschwand, wie einer
Lerche Lied da oben verklingt-

Und er stand allein im Feld, und sah empor. Und
sah danach um sich und wußte sich keinen Rat vor
Glück, Seligkeit und Trauer. . .

BiS daß er stumm, die Augen gesenkt, zurückschritt
dem Dorfe zu.

* *

*

Als sie zu Mittag am Tisch saßen und die Schwägerin
das Effen hereintrug, sprach Johann Sebastian wie aus
dem Traum heraus: Die Welt vermag nicht nur zu
erscheinen, sondern auch zu tönen .. . Und daS Leben
ebenso . . . Die Schwägerin blieb einen Augenblick stehen
mit der Suppenschüffel — und sagte nichts. Der Bruder
sah ihn an und schwieg. Johann Sebastian sprach
weiter: Gott gibt sein Werk in die Hände der Men-
schen; sie singen oder tönen die Welt Gottes; die noch
ungesehene und stumme. Aber Gott muß in den Men-
schen sein, anders vermögen sie es nicht.

Wieder schwiegen sie. Nur daß sie ihn ansahen.

Iohann Sebastian aber war schon ein großer, an-
sehnlicher Knabe, und er sah traumverloren vor sich hin:
Auf den Auen begegnete mir ein Märchen, und eine
Himmlische gab mir einen Bogen, zu spielen.

Welchen Bogen? fragte der Bruder.

Den Geigenbogen. Unter ihm wird alle Welt
Musik... bis an die Tore Gottes. Dort aber, hinter
den Toren wird unserer Hände und Munde nicht be-
durft, um Musik zu machen, dort singen, spielen und
tanzen die Himmlischen selbst.

Sie aber verstanden wenig von den Worten, die er
redete.

* *

*

Der Traum ging mit ihm durch die Tage. Und er
suchte zu erhorchen: die Töne der Welt, auf daß er
erschaue die Welt der Töne. Und den Tanz und die
Chöre der Himmlischen. Und erlausche den Sturm und
die Lieblichkeit des Lichts. Denn auch Licht vermag süß
zu tönen ... Er gedachte des Traumes, und oft war
eS Mühsal. Mühsal des Herzens und der Hände.
Mühsal der Seele. Mühsal des Suchens — aber oft
das große Glück des Findens.

Lange Jahre so. Bis er des Traumes vergaß. BiS
er nun, ein rastlos Schaffender, aus dunkler Kraft heraus
begann, Gottes Werk zu tun. Denn die da GotteS Werk

tun und wissen eS kaum, die sind besonders gesegnet.

* *

*

Und es geschah danach, als er schon ein Mann
geworden war, als er die Welt gesehen hatte und
das Spiel der großen Meister gehört und andächtig ge-
seffen bei Böhm, bei Reinken und Buxtehude — es
geschah danach, daß er zu Arnftadt in seinem Zimmer
saß und spielte, daß da die Türe aufging und eine
Tante trat herein und ein Mädchen hinter ihr. Und
es war das Barbara Bach, die gekommen war, um Tante
und Vetter zu sehen.

Da ftand Sebastian einen Augenblick verlegen und
groß da und fand noch kein Wort.

Jch habe von dir gehört, sprach das Mädchen; daß
du die Meister gesehen und gehört hast und liebst selbst
die Kunst. Jch liebe sie auch.

O, sprach er, ich liebe sie schon; aber mir scheint,
mein Herz hat noch kein Genügen an dem, was Hände
und Herz vollbringen. Es muß wohl noch Größeres

und Schöneres werden.

* *

*

Und eines Tages, da er mit Barbara Bach an einem
Alltag an der Orgel in der Kirche war, er spielend und
sie singend, und er sie ansah, da fiel in sein Denken
und Sinnen wie aus dem Himmel der Traum der
Kindheit. Und die Hände sanken ihm in süßem Schreck
von den Tasten herunter. Also, daß sie fragte: Was
hast du, Sebastian?

Da sprang er auf und war bei ihr: Du — du —
und ein ungeheurer Glanz war in den Augen und auf
der Stirn: Du bist es, die Himmlische, die mir den
Bogen gab - weißt du? Du bift die von damals, als
du vom Himmel stiegst und den Bogen brachteft.

Und da lagen zwei Menschen in Seligkeit einander
in den Armen.

P

aul Ernsts Novellendichtung.

„Erst jetzt erkannte ich klar die früher nur geahnten
Schwierigkeiten des Dramas, die nicht im dichterischen
Können liegen, wie die meisten glauben, nicht im Kon-
struktiven, wie die Wissenden meinen, sondern in der ge-
heimnisvollen Verbindung von Schicksal und Wesen des
Helden. So trug ich Scheu und versuchte mich zuerst in

2S8
 
Annotationen