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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 9
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Schäfer, Wilhelm: Wilhelm Lehmbruck
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0317

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Wilhclm Lehmbruck.

ciuch nicht für die verspäteten Nachfahren derBoheme, die
in Pariser Apachenkneipen schmerzvoll an das rückstandige
Deutschland dachten, wohl aber für die, die wie Maröes
seinerzeit in Rom „satt von ihrem Vaterland" in eine
Art von künstlerischer Verbannung geraten waren. Denn
daß Paris, seitdem es Rom als Aiel der Künstler-
sehnsüchte ablöste, durch irgendwelche staatliche oder
gesellschaftliche Fürsorge ein besonderer Lebensboden
für moderne Kunst gewesen
sei, wird nur der glauben
können, der die geschickten
Bemühungen einiger Kunst-
handler und die Anregung
dafür nimmt, die aus der
Sammlung junger Künstler
aus aller Herren Lander
von selber kommen muß.

Letzten Endes war an der
Seine die Sammelstelle der
Unzufriedenen und Unbe-
friedigten, derer, die in der
Heimat keinen Lebensboden
fanden: sei es, daß sie dem
landlaufigen Akademiewesen
oder dem Kunstbetrieb über-
haupt entgehen, oder eben
nur von der Anregung gleich-
gesinnter — d. h. in den mei-
sten Fällen gleich auf nichts
als ihr Talent gestellter —

Genossen profiticren wollten.

Gegen ihre Auslanderei zu
wettern, istbequemeralsmit-
zuhelfen, daß der Lebens-
boden der Kunst nirgend-
wo von einem höheren Aus-
schwung der Gesinnung
durchsetzt sei, als in unserm
Vaterlande.

>Ir ^ rjc

Die Werke des Bild-
hauers Wilhelni Lehmbruck
nötigen zu einer ausholen-
den Betrachtung, weil er
einer von diesen in Paris
schaffenden deutschen Künst-
lern — vielleicht der vor-
nehmste — war. Wie 1870
Wilhelm Leibl wurde er vom
Krieg überrascht und vertrie-
ben, gerade, als er nüt einer
Gesamt - Ausstellung seincr
Werke dort Anerkennung fand, was in dem Maße
seit Leibl vielleicht keinem deutschen Künstler begegnet
war. Hoffentlich bleibt ihm das äußere Schicksal
Leibls erspart, den sein Vaterland danach durch An-
erkennung nicht gerade verwöhnte und dessen „Frauen
in der Kirche" Lenbach, der Münchener Bravour-
könig, eine „Zuchthausarbeit" nennen konnte, ohne
daß mehr als Einige diese schwere Beschimpfung der
deutschen Kunst in einem ihrer größten Meisterwerke

sühlten. Weni ein solches Bedenken kleinlaut scheint,
möge sich vor den Abbildungen dieses Heftes auf-
richtig prüfen,' ob er in den letzten Arbeiten des
Künstlers niehr als Merkwürdigkeiten sieht, ob er
wirklich etwas von dem hohen Aielwillen spürt, der
um der stilistischen Wirkung willen den Weg von der
klassischen Figur (Abb. 1) bis zu der Ubersteigerung
in den letzten Arbciten zu gehen wagt.

Mit den Abbildungen 1
bis 4 werden die einzelnen
Stationen dieses Weges
an eineni ähnlichen Motiv
gegeben. Das „stehende
junge Weib" scheint auf den
ersten Blick nicht mehr in
der Haltung darzustellen, als
etwa der bekannte stehende
Mann von Adolf Hildebrand
in der Nationalgalerie. Doch
ist es lehrreich, die Köpfe
beider Statuen zu verglei-
chen, wobei sofort das selt-
sanie Leben bei Lehmbruck
zu sprechen beginnt; es ist
zugleich weniger Modell und
wcniger stilistisches Schema,
die Natur scheint unmittel-
barer erfaßt, und wer von
dem Kopf aus die ganze Ge-
stalt durchprüft, wird diese
Naturnahe, die „moderne"
Jntimität bis in die Finger-
und Aehenspitzen verfolgen
können, sodaß sich die klassi-
sche Haltung nur als äußere
Bindung darstellt, der kein
Lebensopfer gebracht wird.
Es ist durchaus unmöglich,
von dieser Figur aus an die
Renaissance zu denken, darin
die Anschauung Hildebrands
immer gebadet scheint, viel
stärker stellt sich die Erinne-
rung an die Jungfräulichkeit
einer griechischen Original-
skulptur ein, die unserm
modernen Gefühl eine an-
dere Sprache zu reden be-
ginnen, als die „klassische"
der Thorwaldsenzeit: es ist
mehr Jugend der Anschau-
ung, mehr Lebensnähe darin,
die wir nur deshalb nicht gern Jnnigkeit nennen, weil
das schöne Wort leider im sentimentalen Sinn ab-
gebraucht ist.

Nur wer diese Jnnigkeit und Lebensnahe durchfühlt,
hat die Grundlage, auf der er Lehmbruck in seiner an-
scheinend so ins Lebensfremde führenden Anschauung der
späteren Dinge zu folgen vermag. Jhre Stufen sind
mit Abb. 2 u. 3 vortrefflich gegeben und als ihr Aiel mag
vorweggenommen wcrden: diese Jnnigkeit und Lebens-

Wilhclm Lehmbruck. Gebeugter Torso

(2/z Lcbcnsgröße, Bronze mit rotcm Marmor).

2»?
 
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