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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 11
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Lüthgen, Eugen: Spätgotik und Frührenaissance in der niederrheinischen Bildnerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0397

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Spätgotik und Frührenaissaxce in der niederrheinischen Bildnerei.

an den Niederrhein kamen, so bringt für diese Aufnahme
fremder Formeinheiten das dritte Jahrzehnt des Ib.Jahr-
hundcrts die bezeichnendsten Denkmaler. Der Marien-
altar Heinrich Douvermanns der Viktorkirche in ikanten
zeigt eine völlige Verschmelzung von Renaissancemerk-
malen mit gotischen Schmuckformen, am schönsten in
der einheitlichen Verbindung schlanler, gotischer Anmut
mit der durchsichtigen Klarheit der Renaissancegliederung
in den die Nischen des Altares trennenden und um-
rahmenden Säulen mit kleinen Gestalten von Heiligen
als Schmuckgliedern (Abb. 1); weiterhin in dem Flächen-
schmuck, der zur Gliederung der Rückwand.der Altarnische
des öfteren verwendet wurde. Auch hier völlig in Ver-
bindung mit den spätgotischen Formen der Landschafts-
und Raumgestaltung. Unvermittelt steht neben der rein
spatgotischen Forni die Renaissance. Jmmer aber so, daß
durch den persönlichen Geschmack Douvermanns kein Auf-
einanderplatzen verschiedener Stilstrebungen fühlbar wird.
So unbemerkt war die spatgotische Darstellungsweise
von dem inneren Wesen der Renaissancegliederung er-
griffen worden, daß die seltsam-wunderliche Ausammen-
stellung verschieden gearteter Schmuckformen nicht ein-
mal als stilwidrig empfunden werden kann.

Jm vierten Jahrzehnt endlich kam das Renaissance-
ornament voll zur Herrschaft. Der Altar des hl. Krispinus
und Krispinian in Calcar hat ebenso wie der Calcarer
Johannesaltar keinerlei gotische Schmuckform mehr ver-
wendet. Jetzt sind alle Formen von dem neuen Re-
naissancegefühl durchtränkt. Der Zug zum Ruhigen,
Bleibenden, zum Schweren, Breiten, Wuchtenden hat
Körper geschaffen von Selbstbewußtsein und persön-
lichem Wollen (Abb. 8).

Der Reiz des Körperlichen hat seine höchste Steige-
rung erreicht, zumal in den Johannesgestalten des
Johannesaltares (Abb. 7). Die malerisch bewegte Ge-
wandung verrät die Formensprache der reifen Re-
naissance, die schon in sich den Keim zur barocken Stil-
auflösung tragt.

Die mittlcre Gestalt des Krispinusaltares, Maria
Magdalena, scheint wegen ihrer reichen Renaissance-
tracht im 16. Jahrhundert allgemein beliebt. Sie findet
sich in Troyes, ihrem Ursprungsgebiet, wie am Nieder-
rhein, in Holland, in Westfalen. Für die Beliebtheit und
Verbreitung dieser Gestalt spricht eine Heilige in dem
Altar der Pfarrkirche in Uedem. Während die Gestalt in
allcn Einzelheiten dem Stil der Renaissance sich einordnet,
ist der Altarschrein noch befangen in den Formen der
Spätgotik.

Dafür, daß zwischen dem dritten und vierten Jahr-
zehnt die Aufnahme der italienichen Renaissanceformen
erfolgte, gibt das Votivrelief der Jrmgard von Nieven-
heim den bestcn Beweis (Abb. 9). Es handelt sich um
ein bemaltes Kalksteinrelief mit der Madonna und Stifte-
rinnen. Das Relief gehört dem Bonner Provinzial-
museum an. Jn der linken Ecke knien zur Seite der
Madonna zwei geistliche Frauen, von denen die eine
durch das Wappen als die Abtissin des Klosters Dahl-
heim (Kreis Heinsberg), Jrmgard von Nievenheim, zu
deuten ist. Sie starb im Jahre 1537. Für die dreißiger
Jahre als Entstehungszeit spricht, daß trotz der durchaus
renaissancegemäßen Gesamthaltung noch Spuren go-
tischer Stilbildung erkennbar bleiben. So ist das Spruch-

band, das sich wie ein Rahmen um die Renaissance-
Muschelnische legt, in seiner bewegt malerischen Freiheit
der klaren, scharf umrissenen Gliederung der Renaissance
wesensfremd.*

Daß die eigentliche Formensprache dieses Reliefs so
wenig mit niederrheinischer Art übereinstimmt, ist be-
deutsam für die Wandlung der Kunstauffassung in dieser
Zeit, die eine völlige Lockerung der örtlichen Schul-
zusammenhänge hervorrief. Süddeutsche Formmerimale
wirken sowohl in dem Aufbau wie in den Einzelformen
mit. Man könnte versucht sein, an eine Beeinflussung
durch den jüngeren Holbein zu denken, die am Nieder-
rhein keineswegs unmöglich erscheint.

Awar ist, zumal bei der Annahme süddeutschen Ein-
flusses, eine frühere Entstehungszeit nicht ganz unmög-
lich. Die ganz ähnliche Verbindung des architektonisch
empfundenen Renaissancebogens mit dem anschmiegen-
den, in den Umgrenzungslinien und dsn Enden malerisch
bewegten Schriftbande findet sich in dem Epitaph für
Henning Goden im Dom zu Erfurt. Der Schöpfer
dieseS schönen Werkes war Peter Vischer; es gehört
der Jnschrift nach dem Jahre 1521 an. Auch die
wunderlich-gotische Erinnerung, den Stifter in kleiner
Gestalt in die linke Ecke hineinzudrücken, ist bei dem
Vischerschen Epitaph genau wie in dem der Jrmgard
von Nievenheim.

Auch das spricht aufs neue für den Einfluß Süd-
deutschlands. Denn vergleicht man die eigentlich nieder-
rheinischen oder westfälischen Epitaphien mit diesem
Werke, so finden sich kaumirgendwelchegemeinsame Züge.
Wie ganz anders in seiner beengcnden gotischen Gedrängt-
heit ist das Epitaph im Kreuzgang des Paderborner
Domes, auf dem die stehende Madonna mit Kind, von
drei Heiligen begleitet, sich dem knienden Stifter zu-
wendet.** Das Epitaph entstand1517; es findet sich in
ihm aber nicht eine einzige Form, die auf die Renaissance
hinweist. Höchstens, daß die Schönheit des Antlitzes der
Madonna, ihre anmutige Neigung des Kopfes, das freie
Gelock des Haares in gewisser Weise auf die Auffassung
des Bonner Epitaphes hindeutet.

Sehr verwandt in der Empfindung für bewegte An-
mut und reife Schönheit des keineswegü mehr zarten
Frauenkörpers ist die siehende, von musizierenden
Engeln umgebene Madonna des kleinen Hausaltärchens
der Sammlung des Herrn Braun in Erkelenz.f Wenn
auch in der Faltengebung noch auffallige gotische Nach-
klänge erkennbar bleiben, so zeigt der Gesamteindruck
doch unverkennbar etwas von der gleichen reifen süd-
deutschen Renaissanceauffassung des Epitaphs der Jrm-
gard von Nievenheim. Ein Zeichen, daß auch diese Stil-
richtung nicht ganz vereinsamt am Niederrhein ist. Es ist
ja auch nur zu natürlich, daß infolge der weltbürgerlichen
Freiheit und Weite aller geistigen und künstlerischen Ziele
der Renaissance die früher örtlich begrenzten Kunstkreise
sich nunmehr dem Austrom fremden Kunstgeistes willig
öfsnen mußten. vr. vr. Eugen Lüthgen.

* Führer durch die mittelalterliche und ncuc Abteilung des
Bonner Provinzialmuseums. S. 36, Abb. Taf. XIII. Bis 1912
war da§ Relief in der Sammlung Buyr-Müllenmeister in Nieu-
kerk bei Geldcrn, die reich an niederrheinischen Werken ist.

Ludorff: Bau- und Kunstdenkmäler Westfalens. Padcr-
born, Taf. 42.

f Clemen: Kunstdcnkmäler des Kreises Erkelenz, Fig. 35.
 
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