Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

DOI Heft:
Heft 11
DOI Artikel:
Mahrholz, Werner: Von der Literatur der Privatschmerzen
DOI Artikel:
Zech, Paul: Seliges Geborgensein
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0405

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Von dcr Literakir der Privatschmerzc».

schreibt und sich damit in die schützende Hülle der Ob-
jektivitat verbirgt, oder den Awiespalt durch Rausch und
Nachgiebigkeit zu überbrücken sucht. Die Dtittel der Ab-
wehr sind die Psychologie, objektive Beschreibung und
die Gesellschaftskritik; das Mittel, die Spannung zu
überwinden, ist die romantisch-lyrische Flucht ins „dritte
Reich". Für sich bleibcn, sich erhalten, kann man endlich
noch, indem man beiseite geht, und aus dieser seelischen
Haltung entspringt der einsam-stolze Hymnus der sich
selbst genügenden Einzelseele. Kritik und Lyrik ode^
Psychologie und Kunst der Worte, das ist zusammen-
gefaßt der Jnbegriff der technischen Mittel dieser Gene-
ration.

Aus der vorherrschendenTechnik nun ergeben sich end-
tich die Beziehungen des modcrnen Pathos zu den ein-
zelnen Dichtungöformen. Au den großen Formen von
Drama, Epos, Tragödie konnte das moderne Pathos
sich nicht erheben, denn die Grundvoraussetzung dieser
Formen: ein geordnetes Weltbild, ein System gültiger
Werte, die Anerkenntnis und das Gefühl der über-
persönlichen Auiammenhänge war dem modernen Pathos
der reinen Jnnerlichkeit und diesen auf sich selbst be-
schrankten Einzelnen nicht beschieden. Dagegen war
dieser Austand der inneren Aerrissenheit ein großartiger
Boden für eine pathetische Komödie, eine zersetzende
Satire großen Stilcs. Von den großen Formen der
Dichtung haben denn auch Komödie und Satire pracht-
volle Verrreter unter der Generation von 1880. Jbsen
z. B. ist in der „Wildente" eine ganz tiefe und große
Komödie, und in anderen seiner Dramen sind ihm
große Satiren gelungen. Strindbergs ganzes drama-
tisches Schaffen ist beinahe eine blutige Satire —
oft freilich ungewollt — auf bestimmte Verhältnisse der
Gegenwart.

Das Epos ist in dieser ganzen Aeit dem Roman ge-
wichen, der an sich kein eigentliches Formgebilde ist,
dafür aber breiteste Gelegenheit zur Entwicklung feinster
Psychologie und detaillierter Schilderung der Wirklich-
keit gibt und auch für lyrische Erhebung, Ausmalung von
Aukunftöbildern, von glücklichen Jdyllen usw. Naum
bietet.

Das neben der modernen Komödie Vorzüglichste aber
ist die moderne Lyrik, vor allem der religiöse Hymnus
Nietzsches, dann aber auch die Lyrik Wagners, Haupt-
manns, Dehmels. Das Bedenkliche dabei ist freilich, daß
diese unendliche Lyrik die Neigung hat, alle Dämme der
Form zu sprengen, und jedes Gefühl für Formen in
einem strengen Sinnc im Gebiete der Kunst so gut zu
ertöten, wie in den Gebieten der allgemeinen Lebens-
haltung, der Metaphysik, der Sittlichkeit, der Religion,
den Sinn für obiektive Gültigkeitcn. Ein Unendliches an
tiefem Gefühl haben die Schriftsteller und Dichter dieser
Aeit geschaffen und ins Bewußtsein gehoben: einer glück-
licheren Folgezeit wird es vergönnt sein, dem chaotisch-
gefühlten Neuen zu reinen Formen zu verhelfen, w.,s
freilich nur dann gelingen kann, wenn wir uns aus
diesem Chaos des Gefühls zu einem Koömos der Werte
hinarbeiten, wenn wir neben dem Erlebnis des vercin-
zelten Jchs das Gefühl für die großen Ausammenhange
des Ledens >n Sraat und Reügion, in Sittlichkeit und
Sitte, in Volkstum und Vaterland wiedergewinnen:

wenn wir uns mit einem Worte auS der rein privaten
Empfindung zu einer öffentlichen und allgemeinen
Gesinnung erziehen und uns als Einzelne zugleich als
Trager allgemeiner Jdeen wissen.

vr. Werner Mahrholz.

eliges Geborgensein.

Von Paul Iech (im Felde).

Jeden Nachmittag, wenn die herbstbleiche Sonne
den Gipfel des Mittags erklommen hatte, auf dem
roten Dächerfeld friedlicher Rauch sich krauselte, wenn
auf der Nußbaumtür des Feldpostamtes das neue
Telegramm des Hauptquartiers zu lesen war, sandte
irgendein vorgeschobenes, weittragendes Geschütz des
Feindes Granaten in unser Dorf. Sieben, acht, neun,
oder gar ein Dutzend. Es war ein schweres Kaliber,
das die Wiese metertief pflügte, weite Chausseestrecken
aufriß und die Giebelfront der Kirche klafterbreit auf-
spaltete.

Wir gruben Tote und Verwundete aus dem zu-
sammengeschlagenen Gemäuer. Wir hatten dunkelrote
Farbflecke vor den Augen. Wir sahen Schauer des
Schmerzes, der Angst, der Verstörtheit über erblaßte,
bestaubte, wütende Gesichter fließen. Wir zuckten bei
jedem Schuß zusammen, der aufknallte, von unseren
Batterien herhallte, die mit doppeltem Aufwand von
Munition und stärkerem Kaliber heimzahlten, was uns
die feindlichen Langrohre aufgebrannt hatten.

Wir duckten uns im Schlagschatten der Häuser vorbei
in die Unterstände. Jeden Nachmittag. Wir hockten
mit hochgezogenen Knien in dem fahlen Grabdunkel
wie schlechte Negerplastiken aus Holz.

Niemand hustete, tappte mit den Händen.

Wenn doch einer nur ein Streichholz gezündet hätte,
irgendwer nur gestammelt hätte:

Seufzer der Furcht, beklommene Fragen!

Mit aschfahlen Gesichtern und grausam gekrümmten
Fingern, hochgeschlagenen Rockkragen und vornüber-
gebeugt stolperten wir wieder auf die einsams Dorf-
straße hinaus. Aus einer Nacht, die kein Ausruhen war,
aus vielerlei Träumen, die Vorhölle waren in einen
Morgen, der von neuem die schwarzen Ruinen des
Jammers, die gorgonische Wüstcnei des Jrrsinns auf-
hellte. >

Und noch immer flügelte kein Laut. Nicht einmal
das Wiehern eines Pferdes scholl. Nur fern, ganz fern
blafften krepierende Minen, die uns leise erschreckten.
Oder eine Stahltaube rüstete sich prustend zum Späher-
flug.

Gleichgültigen Schrittes schob man sich zur Kaffee-
küche, fühlte das verschlafene Fluchen der Köche bitter,
fühlte die Frühstunden wie Bleigewichte am Körper und
horchte nur mit gedoppelter Spannung der Nerven in
den Himmel nach Nordwest. Auf den schlagenden Anlaut
der Langrohre, auf das Kreischen des Projektils von der
Flugbahn herab.

Niemandem schmeckte das Mittagbrot mehr. Das
duftende bunte Vielerlei der Kantinen gahnte aus leeren
Räumen.

ZS>
 
Annotationen