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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 11
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Zech, Paul: Seliges Geborgensein
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0407

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Seliges Geborgensein.

Auf der anderen Teite der Drücke lauerte ein Posten.
Unbeweglich wie eine aus rauchigem Birnbaum ge-
schnitzte Heiligenfigur.

Ein paar munternde Worte. Und schon ließ er uns
unangefochten passieren.

Der Weiler öffnete sich mit einer sauberen Straße.
Gefangene Russen wühlten mit langen Gabeln in den
Düngerhaufen. Gutmütige Slawenprofile. Sie grüßten
scheu herüber, obwohl sie die Worte unseres Anrufs nicht
deuten konnten.

Edle, slawische Profile! Schrecklich aber die roten
Ringe auf den Hosenböden. Die verblichenen Purpur-
kreuze auf den Jacken.

Es waren noch viel eingesessene Leute in der Ortschaft,
die ihrer ländlichen Hantierung nachgingen, wie wenn
die Welt von lauterstem Frieden triefte.

Die Madchen, wie fast alle der Wosvre-Ebene, waren
blond, jung und für werbende, bewundernde Blicke
empfänglich.

Wie glücklich wir waren!

' Blondheit, Mädchen, Anmut zu fühlen: wie glück-
lich wir waren!

Ja, und in den Garten hinter den einstöckigen Häusern
hing noch Frucht an den Bäumen. Hin und wieder
klopfte eine schwerreife Spätbirne aus den Rasen, holte
eine freche Hand sich einen roten Apfel aus dem herab-
hängenden Geäst. ^

Die Sonne stand wie ein riesenhafter Rubin am
anderen Ende der Erde. Die Strahlen hingen wie ein
Fächer aus weinroter Seide herab.

Auf der massigen Treppe eines vornehmen Hauses
setzten wir uns liebe Minuten lang. Hühner kamen dicht
heran, denn wir langten dürres Brot aus den Taschen,
brachen es und teilten es aus.

Von allen Enden kamen Hühner herbei. Pickten
und wandten sich um. Suchten flügellahm die Sprossen
nächtlicher Hahn-Paradiese.

Manches Mal blieb so ein aufgeplustertes Vieh stehen,
während es unter den ausgespreizten Flügeln den Kopf,
wie in einer Art von Nachdenklichkeit, duckte.

Am Brunnen wusch noch eine alte graue Frau. Wusch
wahrhaftig den steifen, aschgrauen Drillich einer Sol-
datenhose.

Aus der Kantine, die uns gegenüber lag, lärmte die
laute Ungebundenheit eines dienstfreien Abends. Singelte
die Ziehharmonika und stampften Nägelschuhe den Takt
zum Baß einer verwegenen Reiterballadc.

Wir konnten es uns nicht versagen, ein Maß Bayrisch
zu heben. Fremden, lieben Gesichtern zuzutrinken.

Wie glücklich wir waren!'

Es lag aber schon schwarzgrüner Dämmer auf der
leichten Krümmung der Straße. Schüchtern lugte der
Jupiter aus den Falten des schmutzigrot verfließenden
Gewölks.

Ein Hund bellte. Wie Metallkugeln schlugen kurz
und rauh die Laute an das Himmelsgewölbe, das
von ihnen widerhallte. Wir aber durchsangen in
bunter Ausqelassenheit die vier, fünf Kilometer des
Heimwegs.

Auf halbem Wege überholten wir eine Wagen-
kolonne, die ohne Lichter durch Massen aufgewirbelten

Staubes stolperte. Die Gäuls dehnten sich mit ge-
reckten Hälsen und spitzsteifen Ohren der Stallwärme
zu. Die Kutscher dampften friedliche Gefühle aus kurzen
Pfeifen.

Dieses momentane Erkennen, daß sie wieder eristierten
als edle Geschöpfe Gottes, berauschte sie so, daß sie mit
väterlich-gütigen Handbewegungen uns zum Aufsteigen
luden.

Wir warteten aber das Verflüchten der Staubwolken
ab und lehnten uns an die glatten Schäfte der Bäume.

Vor uns die schwarze Masse des Gebüsches mit ihren
unregelmäßigen Ecken und dem feinausgezackten Filigran
seines Randes hob sich scharf gegen den tiefdunklen
Stahl des Himmels ab.

Fern darüber stiegen, wie langstielige, goldne Feuer-
lilien, die ersten Leuchtraketen.

Au anderer Stunde und an anderem Ort wäre uns
ein Fieber durch das Blut gefroren, wieder erinnert zu
werden an den blutigen Spuk der Nachtgefechte. Jetzt
aber genossen wir das feurige Spiel wie ein schönes
Feuerwerk, das über dem ausgelassenen Lebenslärm
eines Konzertgartens sich spreizt und ballernd mit einem
Endtableau verpufft.

Wie glücklich wir waren!

Als wir, steifgestanden fast, aufbrachen, spannte die
Milchstraße ihren Lichtbogen über den Wald durch den
metallisch klaren Himmel.

Jrgend jemand deklamierte unbeholfen und laut
Verse von Liliencron.

Da erschien miteins der^scharfe Strich des Turmes,
der unser Quartier überragte. Wie goldne Wespen auf
schwarzroten Laubwänden hingen die Lichter der Fenster
in den Mauerbergen.

Wir fühlten —

die zerschmetternden Bahnen der Geschosse, denen wir
geflohen waren, waren vorübergebraust ohne auch nur
den Rand eines Giebels zu streifen.

Wir fühlten —: ^

Menschen, die wir liebten, die uns verbrüdert waren,
sind noch da!

Wir fühlten —:

daß wir in den simpel ausstaffierten Hallen einer ver-
gehenden Jahreszeit seliges Geborgensein, Ursinn
des Lebens, Milde und Aartsein erfahren hatten.

Wie glücklich wir waren!

Und wie wir kaum die Schwelle betraten, Kerzen-
helle uns blendete und der Raum über uns zusammen-
zustürzen schien —: fing die Schlacht zu atmen an.

Mit dem rasenden, millionenfachen Aufschrei heran-
brausender Geschosse ist sie bis zum Rand des Dorfes
gekommen. Das helle freche Tacken der Maschinen-
gewehre schwirrt und schreit nach dem Nebenbuhler: sich
mit ihm zu messen.

Tausend lebendige Glocken schallen aufreizend durch
die Kanäle des Blutes, durch das zitternde Netzwerk der
Nerven.

U - O ihr Heiligen alle!
i""Wie glücklich wir waren!

Wären wir es doch! Jetzt und in der Stunde
unseres Absterbens.

O ihr Heiligen alle!
 
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