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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 12
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Walser, Robert: Frau Scheer
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0439

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Frau Scheer.

Hierbei tat es mir weh, daß Frau Scheer nun nicht einmal
ein gutes Andenken mehr auf der Welt besaß, auf der sie
so viel gestritten und erlitten hatte. Jch muß hier noch
auf einen andern sonderbaren Umstand aufmerksam
machen, denn ich darf nichts Wichtiges unerwähnt lassen,
das meinen Gegenstand zu beleben und zu beleuchten
imstande sein könnte. Jn Frau Scheers nächster Nachbar-
schaft wurde allgemein ein junges hübsches Madchen,
ein rechtes Ganschen übrigens, eines Polizeiinspektors
Töchterchen, als die Scheersche Erbin bezeichnet. Jch
sah das Mädchen oft in der Wohnung, und ich muß sagen,
daß mir das achtzehnjährige, ziemlich alberne Ding, das
sich mit allerhand süßen Glücksillusionen erkühnte zu um-
geben, keinen sehr vorteilhaften Eindruck machte. Wenn
dieses Mädchens leichtgläubige Eltern sich leichtfertigen
Hoffnungen mit noch leichtsertigerem Behagen hin-
gegeben haben, so sind sie auf eine sehr lehrreiche Art
gänzlich getäuscht worden. Von einem Buchstaben zu-
gunsten des Fräulein Naseweis fand sich später nicht die
Spur, und das hofsnungsreiche Jüngferchen erbte keinen
Rappen. So sollte es allen denen gehen, die ihre Aus-
sichten auf den Tod ihrer Mitmenschen zu gründen sich
nicht schämen.

H -l-

-i-

Frau Scheer war von durchaus nicht unansehnlicher,
etwas starker Figur. Sie ließ mitunter eine sehr gefällige
und anmutige Haltung sehen. Jm Sonntagsstaat sah
sie ganz wie eine große und vornehme Dame aus. Aber
ich sah sie einige Male auf der Straße, wie sie von ihren
Häusern zurückkam, und da erschreckte mich jedesmal ihr
leidvolles, nach der Seite hingeknicktes Aussehen. Jhr
müder, schleppender Gang sagte mit trauriger Deutlich-
keit: „Jch sterbe bald." Jhre Augen schauten, während
sie so einherging, in den Himmel. Bei Frauen merkt man
oft ein solches Augen-zum-Himmel-Emporschlagen. Ein
schreckliches Flehen um ein wenig Liebe drang dann und
wann aus ihren Augen. Wenn sie heiter lächelte, hatte
sie etwas Tief-Bezauberndes. Sie muß in ihrer Jugend
die Lieblichkeit selbst gewesen sein. Sie selbst sagte
einmal lächelnd, daß man sie, als sie ein Kind war,
„Nesthäkchen" genannt habe. Sie ist vielleicht in ihrem
Jnnern immer eine träumerische Kleinstädterin ge-
blieben. Armes Herz! Arme getäuschte Träumereien!
Frau Scheer besaß sehr zierliche, kleine Füße. Jch sah
oft in der Küche auf dem Küchenboden ihre netten kleinen
engen Stiefelchen, die mich interessierten, weil sie mir
die Lebensgeschichte der Frau Scheer schienen erzählen
zu wollen. Die fanatische Liebe zum Geld, die seltsame
leidenschaftliche Freude am Erwerb desselben, die in
dieser Frau wohnten, scheinen mir eine echte Kleinstadt-
eigentümlichkeit gewesen zu sein. Jn ihren jüngeren
Jahren reiste sie zusanimen mit ihrem Mann einmal nach
der Schweiz, für deren Schönheiten sie im Alter noch
auf reizende Art zu schwärmen verstand. Sie sah Luzern
und war auf dem Rigi. Aus einer flüchtigen Bemerkung
von ihr ging hervor, daß sie ehedem eifrig Rad fuhr.
Jch gestehe, daß das Kleinigkeiten sind, aber sie sind mir
teuer, und ich bin nicht imstande, mich kalt über diese
kleinen Nebensachen hinwegzusetzen. Auch sehe ich
eigentlich nichts als nebensächlich an. Frau Scheer hatte
die Güte, mich aufzufordern, ungezwungen in ihrer

ganzen Wohnung umherzugehen, als wenn die Wohnung
mir gehöre, und ich machte natürlich gern Gebrauch von
einer so freundlichen Freiheit. Die Wohnung enthielt
weiter nichts Sehenswertes. Jm Arbeitszimmer der
Frau lagen stets Haufen von Geschäftspapieren, die der
Erledigung harrten. Die Küche war sichtlich unsauber,
der Salon strotzte von Unordnung und Staub. Frau
Scheer besaß keine rechte Häuslichkeit, sie, die Eigen-
tümerin von fünfzehn Häusern war. Wie oft sie seufzte!
Es war mir manchmal, wenn ich sie sö sah, als müsse ich
sie jetzt sehen unter der Arbeitslast, die sie trug, zusammen-
brechen.

-i-

*

Wie ich mich erinnere, standen wir beide einmal des
Nachts im Gespräch unter der Türe meines Aimmers.
Es war das erste Mal nach nun schon ziemlich langer
Aeit, daß ich länger und freundschaftlicher mit ihr redete.
Sie horchte mir mit stiller, schöner und sehr zarter Auf-
merksamkeit zu. Meine Gesprächigkeit schien ihr die
größte Freude zu bereiten. Auch sie redete. Frau Scheer
sprach stets mit einer bewundernswerten Leichtigkeit.
„Wie sind Sie", sprach sie, „bis jetzt, wo wir doch nun
schon so lang zusammenwohnen, immer so kalt, so steif,
fo zurückhaltend gewesen. Das hat mir oft weh getan,
aber um so mehr freut mich nun Jhre angenehme freund-
liche Vertraulichkeit. Jmmer sind Sie so allein Jhres
Weges gegangen, haben mich kaum eines Grußes oder
Blickes gewürdigt, das hat mich schmerzlich berührt. Und
Sie können doch, wie ich jetzt sehe und höre, so liebens-
würdig sein. Jch dachte manchmal, weil sie mir einmal
gesagt haben, daß Sie die einsamen Spaziergänge lieben
und viel in den Wald gehen, Sie könnten im Sinne haben,
sich ein Leid anzutun, oder es könnte Jhnen dort im Wald
etwas Unglückseliges begegnen. Aum Glück sehe ich Sie
gesund vor mir, und das freut mich." — „Verzeihen Sie
mir, wenn ich je unartig gewesen bin," sagte ich. — Sie
erwiderte mit offensichtlicher Lieblichkeit: „Das hat nichts
zu sagen." Sie stand mit so rührend schöner, jugend-
frischer Leichtigkeit da, und ich machte mir im stillen
wegen meines bisherigen Betragens Vorwürfe. Jch
gab ihr die Hand, um ihr anzudeuten, daß ich die Freund-
lichkeit und Autraulichkeit des Augenblickes als etwas
Menschlich-Schönes zu würdigen wisse, und sie drückte
mir die Hand mit lebhaftem Vergnügen. Das war eine
eigentümliche Stunde voll einfacher und starker Wärme;

sie wird mir immer im Gedächtnis bleiben.

*

*

Da ich mich selber aus Mangel an regelrechter Be-
schäftigung vielfach müßig, hingegen Frau Scheer mit
Arbeit überladen sah, so bot ich mich ihr bei guter Ge-
legenheit an, ihr bei ihren zahlreichen Geschäften behilf-
lich zu sein, und sie zögerte keinen Moment, in mein An-
erbieten einzuwilligen. Wie schön ist es und wie wohl
tut es, einem Menschen, der der Hilfe bedarf, zu helfen.
Es freut mich heute, wo das alles längst vorüber ist, tief,
daß ich aus Gleichgültigkeit, Kälte und Unanteilnahme
dann doch beizeiten noch herausgetreten und in einen
guten, teilnahmreichen Verkehr mit der Frau gekommen
bin. Es kam mir vor, als werde ich dadurch selber wieder
viel jünger. Jch schrieb Briefe, beforgte dieses und jenes,
empfing, wenn Frau Scheer abwesend war, begehrliche

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