Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

DOI Heft:
Heft 12
DOI Artikel:
Röttger, Karl: Weltliche Legende
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0441

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Weltliche Legcnde.

und sah das an. Und es war lieblich anzusehen, und er
dachte, ein Bild des Friedens ist auch schon Frieden
selber. Jch will hineintreten und bitten, ein wenig sitzen
zu dürfen und einen Trunk Wasser zu trinken. Jch könnte
auch an der Straße sitzen, am Rand des Feldes oder des
Haines und könnte aus dem Bach trinken, aber das wäre
namenlose Einsamkeit. Wohl liebe ich die Einsamkeit, sie
hat mich gezeugt, sie hat mich gesäugt ..... und ich
habe oft ihren großen schweigenden Liedern gelauscht.
Aber ich liebe auch die Menschen, liebe die Gemeinsam-
keit und den Frieden umzirkten Wohnens. Und ich bin
auf dem Weg, daß ich suche das Glück bei Menschen.

Und er trat ein. Da kam aus dem Hause hervor eine
Mädchengestalt in einem hellblauen Gewand, wie lauter
Himmel; also, daß er erfreut stillstand und nur schaute.
Dann aber, als er nun dem Mädchen gegenüberstand, er-
schrak er ein wenig, denn er sah: ihr Gesicht war häß-
lich, war blaß, schmal und mager, die Nase stand ein
wenig schräg und die eine Halfte des Gesichts war ein
wenig kleiner als die andere. Danach sah er: der linke
Arm war schmaler, zarter als der rechte, weniger aus-
gewachsen, und die Hand war wie eines Kindes Hand.

So bekam er den Eindruck, daß sie ein Wesen sei nicht
wie andere: ein Ding zwischen Kind und Mädchen, nicht
schön (nur die Gestalt im blauen Gewande mochte schön
sein), sondern traurig machend, da dies Wesen etwas war,
was so nicht hatte sein sollen. Ein Wesen mit weniger
Schönheit und Vollkommenheit, als in des Seins Ur-
sprungssphäre gewollt und erträumt war.

Er war aber ja eben der Träumer und Dichter, der
da suchte: das Angesicht der Seele, wo das erste (das
äußere) und das zweite Gesicht sich decken, und der
Mensch schön und vollkommen ist. Nach diesem Wunder
war er sehnsüchtig und suchte er; diese Gestalt suchte er,
auf daß er sich vor ihr neige und sage: nimm mich hin.
Darum schrak er ein wenig zurück, als er nun dies
Mädchen sah.

Sie sah wohl, daß er solches dachte, und war traurig
und sah vor sich nieder.

Er faßte sich aber bald, sah zu ihr auf und sah in ihre
Augen. Und er schwieg noch eine Weile, denn er sah,
daß diese Augen in dem blassen haßlichen Gesicht schön
waren.

Dann lächelte er und sagte seine Bitte. Da ward auch
das Mädchen froh und führte ihn heran an das Haus und
auf die Terrasse und brachte ihm zu trinken.

„Es ist schön hier," sprach er, „man möchte wohl die
Sommernacht so verträumen."

„Daran seid Jhr nicht gehindert," sprach das Mädchen,
„sitzt, ruht, solang Jhr mögt." Und sie ging und ließ
ihn allein.

* >«-
» ^

Er saß die Sommernacht und schlief ein in ihr, und
ward danach wach, als die Sonne in Wipfel schimmerte,
eine Weile hinter dem Erwachen der Vogelstimmen.

Er saß und wartete. Und dachte, es sei wohl ein
Traum. Wie alles Warten ein Traum ist und alles Leben
ein Träumen ist . . . . . hernach, in dem Erinnern und
an des Blickes Hintergrund. Er saß und sah, also daß er,
ob er gleich wach war, doch erst zu erwachen meinte, als
das Mädchen die Fenster aufmachte, und danach aus


der Tür hervortrat. Da nickte er ihr zu, als sie Milch
und Brot vor ihm niedersetzte und ihn zu essen bat. Doch
sah er danach vor sich nieder und dachte nach. Er dachte
bei sich, das Antlitz ist des Menschen zweite Seele. Die
erste ist verborgen. Jhr Antlitz ist häßlich, es könnte mich
fast, wie immer, erschrecken, diese Blässe, dieses Unaus-
gewachsensein der linken Seite des Gesichts. Und doch
ist sie wohl gut. Vielleicht. Was weiß ich? Aber icb
muß ihr hernach danken und will es gern tun, wenn ich
nun bald gehen werde.

Er ging aber sobald noch nicht. Und cr wußte nicht,
warum er noch blieb. Weil das Mädchen ihn bat? Weil
sie zu ihm sprach, sie wolle ihm noch den Wald zeigen,
der hinter dem Hause beginne, und der schöner als andere
Wälder sei, und eine Grotte sei ani Wasser aus blauen
Steinen? ..... Blieb er darum? Aber er sah oft auf
ihr Gesicht, denn das Häßliche zieht uns oft ebenso an
wie das Schöne, und er sprach bei sich selber, lieben kann
man aber nur das Schöne. Wäre sie schön, würde ich sie
lieben, so aber ist sie halb schön und halb häßlich. Sie
war wohl einmal anders gedacht vom Weltsinncn, sie
mißlang in den Händen des Werdens. Jch werde hinter
Mittag wirklich gehen.

Zunächst ging er aber mit ihr in den Traumwald und
saß bei ihr in der Grotle am Wasser und sah daS Licht
und das Grün und hörte die Stimmen des Waldes.

Danach am Mittag trat er zu ihr: „Jch werde vor
Abend gehen." Sie nickte nur und sagte nichts. Ging
fort und sagte über die Schulter zurück: „Wohl! Jch
werde Euch noch sehen. Nuht noch ein wenig. Jch sitze
derweilen an der anderen Seite des Hauses und arbcite
an diesem Tuch."

Er saß also noch und schlief ein. Sein Haupt sank
hintenüber und so ruhte er lange, biö in den Abend.
Einmal kam das Mädchen herzu und sah ihn schlafen, ge-
dachte ihn zu wecken, denn sie dachte, sonst versäumt er
die Stunde, da er gehen will. Aber dann, wie sie ihn
ansah, dachte sie, daß er schön sei, und daß das Schöne
zu halten keinem Menschen verwehrt sein könne. So
ging sie wieder, ohne ihn zu wecken, und sah im Gehen
noch ein paarmal hinter sich.

Dann, als sie drüben war, dachte sie, er wird schlafen
bis in die Dämmerung, und dann ist es zu spät, dann
bleibt er noch die Nacht, und ich habe ihn länger hier.
Sie sann dem nach, fand aber, daß eü nicht ehrlich sei, und
wollte gehen und ihn wecken und ihm sagen: Es ist nun
die Ieit, da du gehen wolltest. Aber sie ging doch nicht,
sondern saß nur so unter den Baumen, und das Licht fiel
schrag hinein, und danach fing sie auf einmal schwer an
zu weinen.

Sie weinte so tief und versunken, daß sie garnicht
hörte und sah, wie der Mann gekommen war und nun
vor ihr stand und sie ansah. Wie er sich wieder wandte
und beiseite trat. (Denn er dachte, wenn sie aus ihrem
Weinen aufwacht, soll sie nicht wissen, daß ich es sah, und
soll sich nicht schämen.)

Er stand hinter eineni Baum und wartete. Eine
ganze Zeit lang. Dann, als er merkte, sie weinte nicht
mehr, trat er wieder hervor, und sah sie sitzen in ihrem
hellen Gewand. Da mußte er den Fuß anhalten, da cr
nun etwas Wunderbares sah: Da er sah, wie ihr Gewand

4l7

5
 
Annotationen