Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

DOI Heft:
Heft 12
DOI Artikel:
Braun, Felix: Der Sternenschiffer: Legende
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0435

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Stemenschiffer.

dem Lichte des Steinbildes zu erkennen. Vielleicht war
es um die Lander der Gestirne nicht anders bestellt, da
ja auch sie nur nachts leuchteten. Er grübelte lange. Jn
vielen Nächten besprach er mit dem Pfarrfischer all diese
rätselhaften Dinge. Der Pfarrfischer aber wich nicht ab
von seinen Gedanken. „Wenn also ein Stern niederfällt,
dann fällt eine ganze Erde nieder?" sagte er. „Dann
müßten wir alle längst erschlagen und verschüttet sein.
Hier — sieh!" Vom tiefen Himmel löste sich ein Stern
grünlichen Lichts und sank leuchtend ins Meer. Die
beiden alten Schiffer hielten den Atem an.

„Jch weiß es," begann der Pfarrfischer geheimnisvoll.
„Ein Engel schüttelte den Baum des Lebens im Para-
diese, da fiel die goldene Frucht."

„Hätte er sie uns doch zugeworfen," sagte der Sternen-
schiffer kummervoll. „Aber ich kornme noch darauf!
Jch komme darauf!"

Der Pfarrfischer lächelte.

Wer von den beiden die tiefere Sehnsucht nach dem
Himmelreich hatte? Gott berief den Pfarrfischer zuerst.
Beim Fischen auf der See traf ihn der Hitzschlag. Sein
Boot stand bis zur Nacht auf dem Wasser. Endlich fiel
den anderen auf, daß es nicht heimkehren wollte, sie
ruderten hin und fanden den alten Mann tot unter den
toten Fischen im Kahne. Er hätte den schwarzen Hecht
gefangen, der den Meergöttern zur Speise dient, sagte
einer der Fischer. Jn der Tat lag ein schwarzer, langer
Hecht in dem großen Netze. Der Fisch zuckte noch, als
das Boot gelandet war. Schnell lösten sie ihn, warfen
ihn ins Meer zurück und sprachen den uralten Segen nach.

Jm Kirchhof gruben sie dem Pfarrfischer ein Grab
unter einem Myrtenstrauch. Der Sternenfischer pflanzte
die Blume auf den Hügel, die ihm der deutsche Student
gegeben hatte. Er mußte sie aus seinem Hausgarten
ausgraben und wunderte sich, wie lang die Wurzeln ge-
worden waren. Aber die Blume gedieh nicht auf dem
Grabe.

Von dieser Zeit an ward er wunderlich.

^ Er wartete, daß ihm der Geist des Pfarrfischers er-
scheinen und die Wahrheit über die Sterne kundtun
würde. Er wartete Tag und Nacht. Er fischte nicht mehr,
sondern saß von Morgen an auf der Bank am Strande.
Nachts schlief er bei dem Götterbild, um des toten Pfarr-
fischers gegenwartig zu sein, wenn er aus dem Himmel
niederschwebte. Jedoch nichts kam als der Wind und die
Brandung. Manchmal schien es, als ob eine Wolke die
Gestalt des Pfarrfischers plötzlich zeigte, doch sogleich
ward ein anderes Bild: ein stürmender Gott, ein Tier-
haupt, ein Baum aus ihr. Manchmal erscholl es wie des
Toten Stimme. Doch das war wieder nur der Wind,
das Meer oder das Laub.

Eines Nachts, als er am Strande saß und nicht
schlafen konnte, ward ihm die Erleuchtung. Ganz plötz-
lich wußte er, was zu tun war. Der kleine Wagen stand
wie einst tief am Horizonte über dem Wasser. Der
Sternenschiffer meinte, weyn er auf ihn zuruderte,
könnte er ihn etwa in einer Stunde erreichen; dann könnte
er selbst erkennen, was es mit diesen sieben Sternen für
eine Bewandtnis hatte. Denn, wenn diese sieben er-
kannt wären, dann wären alle erkannt und er brauchte
nicht mehr darüber zu grübeln und zu denken.

Er ging zu seiner Hütte, machte sein Boot los, richtete
das Segel, das blau war und zahlreiche Sterne aus Gold-
papier zur Schau trug, sprang hinein und ergriff die
Ruder. Während er beschäftigt war, allerlei im Boote zu
ordnen und zu richten, wußte er nicht, daß nahe bei den
Aloen sein Schutzengel stand und für ihn betete. Als er
abstoßen wollte, hielt der Engel mit goldener Hand den
Kahn zurück. Aornig stieß der Schiffer ein zweites Mal
vom Strande, da streckte der Engel beide Arme aus und
zog das Boot ans Land. Aber als der Schiffer zum
drittenmal mit der langen Ruderstange abstieß, traf er
des Engels Flügel mit ihr und brach ihm eine der sieben
goldenen Federn. Da wußte der Engel Gottes Rat-
schluß, flog über das Boot, stieg unsichtbar ein und setzte
sich still ans Steuer.

Das Boot ging dahin, jedoch immer noch stand der
goldene Sternenwagen gleich fern in der Himmelstiefe.
Längst war eine Stunde überschritten, eine zweite fast
erfüllt. Der Schiffer sah bekümmert ins Weite: Die
Sterne blieben, wie sie vom Strande aus zu sehen waren:
klein, fern und golden.

Als Mitternacht erreicht war, wollte er umkehren.
Da kam ein fremder Wind in sein Segel. Da kam ein
fremder Duft mit dem Winde. Da kam ein fremder
Glanz von Himmel und Meer.

Der Schutzengel ward dem Schiffer sichtbar.

„Wer steuert?" fragte er.

„Ziehe die Ruder ein," sagte der Engel und lächelte
ihn an.

Er ward böse. „Jch verstehe mich auf die Schiffahrt,"
entgegnete er und wollte nun erst recht kräftig rudern.
Da lösten sich die beiden Ruder aus den Gabeln und
fielen in die Tiefe. Aber sie schlugen nicht wie in Wasser
ein. Der Schiffer horchte lange nach — kaum, daß er
das Meer noch vernahm.

Jhm ward bange. „Wo bin ich?" fragte er. „Und
wer bist du?"

„Wir fahren zu den Sternen," sagte der Engel. „Der
Wind im Segel führt uns. Komm zu mir und ruh aus."

Da kam er herüber zum Steuersitz, wie er als Kind
zur Mutter kam. Er sah dem Engel ins Antlitz und siehe,
es war das Antlitz seiner Mutter, als sie noch jung gewesen
war. Sein Haupt mit dem grauen Bart sank in des
Engels Schoß, zwei selige Arme hielten ihn umschlossen.
Und ihm war, als würde ihm innen ein Gesicht auf-
getan und er sah sich in einem fremden blauen Meere.

Wunderbar war dieses neue Meer.

Ferne aber im Osten erschien ein Hauch von
Gold, ein Dunst, ein Streif, ein Küstenzeichen. Er
richtete sein Haupt von dem Schoße des Engels
empor und schaute eine goldene Jnselküste aus dem
Meere tauchen.

„Dies ist der erste Stern," sagte der Engel. „Wir
fahren zu allen, zu allen, zu allen ..... Ewigkeiten
fahren wir, zu den stehenden und den schweifenden, zu
den tönenden und den stillen, zu den goldenen und zu
den feurigen, bis in die Sonne. Und von der Sonne
zu allen anderen Sonnen, bis zu dem letzten Stern, auf
dem die Toten leben."

Er lächelte nur und nickte. Er wußte, dies mußte
ihm geschehen.
 
Annotationen