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Studien und Skizzen zur Gemäldekunde — Wien, 1.1913

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VII. Lieferung (Juli 1914)
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Frimmel, Theodor von: Ein Entwurf Tintorettos für eine Assunta
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https://doi.org/10.11588/diglit.20638#0179

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motive und einige in der Skizze gut charakterisierte Gesichter wohi er-
kennen.
in seiner gesteigert lebhaften Natur hat Tintoretto in die Kunst Be-
wegungsmotive eingeführt, wie sie ja vor ihm sicher iange gesucht, aber
nicht eigentiich gefunden worden sind. Ich meine die durch die Luft hin
schießenden Figuren, die aiie Gravitation überwinden. Wie es scheint, hat
der Künstier die kühnen Kopfsprünge von Schwimmern wohi beobachtet und
in getreuer Erinnerung festgehaiten. Auch aiieriei Schwimmbewegungen im
Wasser selbst mögen für die gemaiten Luftschwimmer benutzt worden sein.
Da ist z. B. das Motiv der haib erhobenen Arme, wie es beim Kopfsprung
so häufig zu beobachten ist. Tintoretto, nicht aber seine Vorgänger und
auch nicht seine minder begabten Zeitgenossen, wendet es oft und höchst
feinsinnig an. So tut er es auf dem Ariadnebiid im Anticoiieggio des Dogen-
paiastes zu Venedig, so kommt es vor auf dem vieibewunderten Markus-
wunder in der Accademia ebendort, ähniich so auf dem Agneswunder in
Santa Maria deii'Orto, auf der Entstehung der Milchstraße in der Nationa)
Gaiiery zu London, woran ich noch ais verwandt anreihe die Auferstehung
in der Scuoia di San Rocco, die Taufe Christi in San Pietro zu Murano,
die Versuchung Antonii in San Trovaso zu Venedig und das Biid mit dem
Martyrium des Fieiiigen Sebastian und anderer in San Giorgio maggiore.
Auf der Skizze bei Herrn Dr. Kramer gehört der von rechts her
kommende Gewandengei unter der schwebenden Maria in dieselbe Reihe
von Schwebefiguren, die gerade dem Tintorett eigen sind. Die Verkürzung
der Beine und des übrigen Körpers ist so geschickt in wenigen Strichen
angedeutet, daß für sicher der Meister selbst ais Urheber anzunehmen ist.
Und so geht es Strich für Strich durch die ganze Farbenskizze. Wäre sie
Kopie, so müßte doch an vielen Steilen ein Nachlassen des künstlerischen
Schwunges, ein Auskühlen des Feuers zu bemerken sein. Auf die Ursprüng-
lichkeit weist auch der obere Abschluß hin, der den Halbkreis nur andeutet.
Eine Kopie hätte einen sauber abgemessenen geometrischen Abschluß.
Zu Tintoretto heran führt uns auch noch eine gewisse Ähnlichkeit des
zweiten Apostelkopfes von links mit den Modellen auf einem beglaubigten Werk
des Künstlers in der Wiener Akademie. Es ist das Bild (Nr. 9) mit den Heiligen
Hieronymus, Ludwig und Andreas, das aus dem Magistrato dei Governatori
delle Entrate im Palazzo Camerlenghi zu Venedig stammt (vgl. meine >Ge-
schichte der Wiener Gemäldesammlungen«, IV. Kapitel, S. 87 f.). Dies zur
Benennung der abgebildeten Farbenskizze. Nun sei noch eine Vermutung
angedeutet.
Mit den oben in erster Reihe genannten Kompositionen der Maria
assunta verglichen, ergibt sich da und dort eine kleine Verwandtschaft im
allgemeinen, jedoch erweist sich die Assuntazkizze bei Kramer als unabhängig
von allen übrigen. Am nächsten verwandt ist sie mit der Komposition des
Altarbildes für die Crociferi, das jetzt bei den Gesuiti in Venedig zu finden
ist. Vielleicht war die Skizze bei Kramer ein erster Entwurf für die Crociferi,
der dann üppiger ausgebaut und so verändert im großen ausgeführt wurde.
Dr. Theodor von Frimmel.
 
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