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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 13/14 (Erstes und zweites Oktoberheft 1914)
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Stramm, August: Erwachen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0096

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Seitl Freund (zieht ilin zuruck): Unsinn!
Seine Frau (hängt sich an ihn): Josef
Verscitiedenc (ziehen und schieben den
Schmied in die Masse zuriick)
t)irne (springt vor, schiägt die Arme in grehes
Lachen): däs ist mein Schatz! däs is ja mei
Schatzei! du! Kteinerü du!

Wachtmeister (stößt sie brutai zurück und
brtütt durch den Aufruhr): Ruhe
(FiammctTder Utitz uud unmitteibar täubender
Dnnnerschiag)

(Totcnsiiiie im Augenbiick, dann kreischen die
Weiber attf und bekreuzigen sicit)

RinzCine: der macht utis aüe verriickt! kein
MensCti wciß wat er is! dä machts Jewidder!
(aufsChweiiettd): Jewidder! Jewidder! dä is
schttid! aÜes schutd! dä Mord! dä Mord!
Hausknecht (greift auf): dä Wart! dä wärt! dä
wart! dä hat jemordet! anstift! ik wtiii nich! ik
wttü tiicit! ik wui! jo jar nich!

D u r C h e i n a n d e r: dät is der Mörder! Mörder!
Jewidder! Jewidder! unsre Hättser fatien her!
tmsre Hättser in! Ruff! rttff! rin mit em! Rin!
Jefängnis! Jefängtiis! Zuchthaus! Schaffot! Schaf-
fott! Setzt n fest! setzt n fest!

Die Pistöte (spieit im Kreise ttnd häit das
Tobett zurtick)

Wachtmeister (zieht den Säbet. wutschäu-
mend): die Waffe runter! ich verhafte Sie! ich
verbafte Sie! verhafte Sie! !m Namen des Qe-
setzes Gesetzes Gesetzes! Aufruhr Aufruhr! Die
gaftzc Stadt in Aufrtihr gebracht!

G e h e u i (stimmt zu)

Rufe (dringen durch): wir saßen in der Kneipe!
ruhig! ich habe meinen Schoppen stehn iassen
müssen!

Hauskuecht (dazwischen): ik kunn jo niks
vor! ik kunu niks vör! ik wuii dät nich!

Aiie (dringen auf ihn vor und fiuten zurück):

Mörder! Mörder! Häuserstürzer! Mörder!
Wäshtmeister (schiägt biind mit dem Säbei
nac!t der Pistoie): runter runter!

Hausknecht (ringt ios und entfiieht)

Die Poiizisten (drängen durch die Masse auf-
ge'tatten mühsam nach)

Hine Frauenstimme (geiit langgezogen von
der Tür und erstarrt den Lärm)
Feuerschein (fiackert durch die MaueHnke)
Weib: Lot mi dörch! iot mi dörch! iot mi dörch!
dr Lumpei is higeschioge! dr Lumpel! n ScMag!
n ScMag! higescMoge äs n Sack! dod! dä Lum-
pe! is dod! Jrad haddn wir et em seggt! janz
!eise seggt! dor is r (steHt sich wuthaft auf
sie zu) dei Mann is dod! dei Mann is dod! dei
Mann

Der Feuerschein (wird heüer, Fätnken
sprühn)

S i e (ist bei dem Geschrei des Weibes entsetzt auf-
gefahren, !äche!t dann, iegt den Arm um seitten
Ha!s nnd verbirgt ihr Gesicht an seiner Brust)
Weib (außer sich, empört): se iacht! selacht! se
iacM! se lacht!

Bewegung: et brennt! et brennt!

Rufe (draußen und an der Tür): Feuer! Feuer!
der Biitz!

Die Sturmgiocken (setzen ein)
Feuerhörner ttnd Wagengerassei (drau-
ßen)

Durcheinander (schreit): Feuer! Feuer! dät
Rathaus brennt! dä Markt brennt! de Straße
brennt! aiie Ecke brennt! brennen! Feuer!
Feuer! (Fiiehen und Forthasten)

Wachtmeister (eiit fort) das Haus wird um-
steiit! das Haus wird umsteHt!

Weib: nu kuckt! nu kuckt! se rührt sich nich! ihr
Mann is dod! se rührt sich nich! ihr Mann is

dod! der Deüvei hat se in. de Kraiie!]! Der Deü-
vel! (weist in piötziicher Eriettchtung auf I h n)
dät is der Dettvei!

Weiber und Männer (bekreuztgen sich): der
Deuvei! der DeuveÜ

W e i b e r (schreieti darußett): ttnsre Kinder! unsre
Kinder!

(weitere Weiber ciien fort)

S i e (horcht attfatmend, tmuciit): Kinder!

E r (faßt sie fester): m e i n Kind!
Durciieinander: der hat de Stadt anjezün-
det! de Stadt! der Deuvei! Deuveü
Weib: den Paster haien! den Paster!
Verschiedene: ttträttchern sol! r em! uträu-
chern! Paster! Paster!

E i n z e! n e (eiien fort tind stoßen auf das Mäd-
chen)

M ä d c h e n (tritt ein, zwei Kinder im Aiter von
fiinf und sechs Jahren an der Hand)
Mädchen (geht vcrschüchtert vor): du du dein,
Mann is tot! deitie Kinder
K i n d e r (b!ickcn neugierrg um, drängen fest au
das Mädchen und weinen)

S i e (ringt von 1hm ttnd streckt die Arme)

Er (itäit Sie mit aüer Kraft): du bist verioren
Kinder (seiiert die Mutter tmd strecken auf-
schreiend die Arme): Mufter! Mutter!

Sie (von ihm festgehaiten strebt mit ausgestreck-
ten Armen auf die Kinder zu)

Er: bieib bieib! (häit Sie mit äußerster Anstren-
gung)

Sie (stößt üm mit wiiden Aufschrei zurück ttnd
taumeit ohnmächtig timkiammernd zu Ftißen
ihrer Kinder)

E r (steht betäubt und gespannt)

M ä d c h e n (starrt Ihn erschrocken groß an)

D ie M a s s e (mit Wutgeheu! tiber Si e): do ts se!
hooo! hoa! wir hebben se! so! nu! packt se!
he! her mit! (Sie wird hochgerissen): ratts!
raus!

W e i b e r (schtagen der Ohnmächfigen, ins Ge-
sicht): Pfui Teuvei! Pftti Teuvei! (Männer drän-
gen die Weiber zttrück): weg da! weg! dät jibt
n Spaß! n Spaß! n Spaß!

Weiber: sie is ne Httre! (schreien ihr ins Ge-
sicht): Hure! Hure!

M ä n n e r: se soii de Weih kriegen! de Weih krie-
gen! (schieppen, zerren und stoßen S i e zur Tür)
Stadthure! Stadthure werden! jleich! (treten
sie roh): hopia! hopia!

D i e K i n d e r (hängen schreiend an I h r)

Er (hat auf sich seibst bedacht dagestanden,
springt jetzt mit einem Wutschrei die Pistoie
von sich schiettdernd über die Trümmerbarri-
kade, reißt mit mächtigem Schwung das Fen-
sterkreuz hoch uttd scMägt dazwischen: ios! ios!
Hunde! Schurken!

Die Masse (fiiichtet in wiidem Entsetzen): der
Deuvei! der Deuvei! der Deuvei!

D i e K i n d e r (iassen entsetzt die Mutter ies und
fiüchten schreiend)

Das Mädchen (drückt sich fest an die Wand
neben der Tür uttd schaut mit großen starren
Augen auf I h n)

E r (stürmt der Masse nach, kommt schwer
atmend zurück, wirft den Rest des zerbrochenen
Fensterkreuzes verächtiich von sich, blickt be-
sinnend um und beugt sich zu ! h r hinab, die in
der Mitte des Raumes zusammengekauert auf
dem Fußboden iiegt)

E r (iegt die Hand auf I h r Haar, weich): du du
E r (wiii S i e hochheben)

Sie (springt entwindend hoch, die Handfiächen in
höchstem Entsetzen gegen Ihn): du du! du du!
schreit iang auf): oooooü! (wild stiirmend

zischeud): du! du! der Himmei brennf! du! du!
die Mauern stürzen! du!

D a s M ä d c h e n (preßt die Fäuste vor dien Mund)
Er (tritt beruhigend aüf Sie ztt): stark stark!
Sie (weicht vor ihm zur Tür ttnd tdammert am
Türpfosteu zurückschreiend): du hter! dü! du
hier!

Er (springt auf Ste zu und faßt ihr Handgetenk):
wir fiiehen wir fiiehett! wir kommen durch! das
Qetümme) durch!

S i e (windet unter seinem Griff und rhrgt außer
Sich): durcit! durch! durch! fiiehen! fiiehen!
fiiehen! Gott! Teufeü Htmrnei! Feuer! Men-
schen! du du du

Er (häit sie): Ruhig! ruhig! schneü!

Sie (in höchstem Entsetzen): Hnre Hure Hure!
Weib Weib Weib! ich wiü! ich wiü! wiii ich!
Hure Hure Hure! Nicht dein Weib! nie dein
Weib! dein Weib! nicht (reißt ios und läaft das
Wort ianggeiiend raus): dein Weieieieieib!

Er (steht. die ieeren Hände zur Aufnahme gebrei-
tet ttnd starrt Ihr nach, wendet dann langsam,
das Haupt zerschmettert gesenkt; ballt jäh im
Puck die Fäuste, knirscht, stampft zu dem Trüm-
merhaufen, stößt die Steine mit Fnßtritten als
Spieibäüe attseinander, iacht dumpf höhnisch in
die Flamntennacht, am ganzen Leibe wutzit-
ternd, heiser bellend)

Eine große Giocke (schlägt an. poitert, geüt
und erstirbt in gewaltigem Krachen)

(Lärm, Geschrei, Wehklagen. greüer und immer
näher greifender Feuerregen): Die Kirche! die
Kirche!

E r (springt in die Luke, stemmt an die Mauer und
brüilt mit Wutkraft hinaus): den Fiuß hinein!
den Flttß hinein! den Fiuß in die Stra^niün die
Rinnsteine! in die Qassen! den FIuB hinein! das
Wehr auf! das Wehr auf! zttm Teufel! das
Wehr!

D e r R u f (iäuft draußen irnmer weiter fert): das
Wehr! das Wehr! das Wehr!

Er (brtiüt): rechts herum! rechts herum! so! die
Schieusen! so! so! ja! so! Schafsköpfe! so!

W e i b e r und K i n d e r (jammern): unsre Häuser!
unsre Häuser!

Er (brüiit): wir batiett sie auf! bauen $ie auf!
bauen sie auf!

Wirre Ru fe (draußen): batien auf! bauen auf!
aufbauea! aufbauen!

E r (tritt iiber die Trümmer zurück und lacht wiid,
die Arme verschränkt, nickt und murmeit hm):
aufbauen! aufbauen! (Gewaitiges Rauschen,
draußen, Schäumen und Zischen)

Das Mädchen (steht fest an dte Matter gepreßt
in Ihn versunken)

E r (schaut attf, stöhnt, seufzt und biickt hilüos um;

sein Blick schrickt auf das Mädchen)

D i e A tt g e n (beider starren ineirtander)

Er: du? du? wer bist du? wer du?
DasMädchen (stammeit verwirrt zittemd): ich
ich

E r (macht einen Schritt auf Es zu)

Es (reckt sich höher an die Wand schmiegend)
Er: was wiilst du hier?

E s (steht fest ihn anstarrend)

Er (vor dem Mädchen, blickt ihm ins Gesicht, er-
staunt): bis du nicht? brachtest du nicht?

E s (ruhig, halbiaut): ich bin die Scbwester
Er: Schwester?

Es: ihre Schwester

Er: oooooohhü (betrachtet Es, nach einer Weile):

was willst du hier? was hast du
Es (trocken, ohne Tonfaü): ich weiß es nicht
E r : fürchtest du dich nicht?

E s (schweigt und starrt ihn an)

Er: fürchtest du dich nicht? (ruitig mit ieisem
 
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