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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 15/16 (Erstes und zweites Novemberheft 1914)
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Kohl, Aage von: Die Hängematte des Riugé
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0107

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aber die Tasche war schon teer, das tat jedocl!
sciner Freude keinen Abbruch. die Prämie
des französischen Konsuiats war sehr groB. Er
ging zn dem großen Rechts-Yamen nnd fing an,
von Riuge zu erzähien. Ais Bcweis die Brief-
tasche. Ber Richter nickte ein paar Afa! und da
er die Brieftasche sah. giitt ein vergniigtes
Lächein über sein Qesicht.

,Jst es diese?" fragte er du.rch seincn Doi-
metscher. und drciite sich mn: da saß K'uge und
untersuchte die Taschc auf das gcnaueste, zuictzt
nickte er wiedererkenriend.

„Ja, ich giauhe woh), daß es diese ist!" sagte
er. „Der Fremde hatte sie in der Hand, ais er
mich bezahite! Der Chinese hat sie sicher ge-
sehen, icli merkte, daß er hinter uns war. ich
habe es auch dem Fremden gesagt, aber er iachte
nur!"

Der Richter !ieß den Chinesen untersuchen.
!u einer inneren Tasche fand man eine tdeine
Xilbermünze, vun der man wußte, daß sie dem
Handelsmann geliört hatte.

Der Chinese ließ seinen Kopf hängen, er säh
ein, daß Riuge noch besser a!s er verstand eine
Umarnumg zn benutzen — nnd er verneinte nicht
mehr: gegen das Genie kämpft jeder vergebÜch.

Riuge bekam seine Prämie und er war wun-
dervo!) besoffen an dem Tage, a!s er auf den Hin-
richtungsp!atz kam, um zu se!ien, wie der Chi-
nese geköpft wurde. A!s es geschehen war,
sch!uchzte er !ange dartiber, daß es fiir ihn not-
wendig gewesen war, sich von diesem üeben
Freund trcnnen zu miissen.

Dann kamen die Qerüchte, daß Krieg zwischen
Japan und Rußiand erkiärt war. Riuge erinnerte
sich der schönen Zeiten während der Boxerauf-
stände. Und stah! sich schneü an Bord eines
Dampfers, der nach Tokio ging. Seibst der Qe-
danke, daß sein Land wagte, sich mit Ruß!and im
Krieg einzulassen, Ruß!and, vor dem die Chiue-
sen zitterten, dieser Qedanke imponierte und amii-
sierte ihn. Fr nahm s'ch vor, er wiirde iedenfahs
das seinige dazu tun. daß Rußiand wenigstens öko-
noniiscii dcn Kürzeren ziehen sohte.

Es war Abend, a!s er in Kinzas Laden kam.
Kinza war eben dabei. seinen Laden für !än-
gere Zeit zu schheßen. Riuge fing mit einer gut
vorbereiteten Rede an:

„Meine Liebe zu dir," sagte er, indem er sich
behaghch niederheß, „ist wie eine Kirschenb!üte.
Sie entfa!tet sich, ohne daß man weiß warum,
und bringt jeden, der sie sieht, zum Entzücken!"
Und nach einer kurzen energischen Rede am
nächsten Morgen meldeten sich Riuge zusammen
mit dem Bruder als Freiwiüige.

Zufäüig kamen sie in dieseibe Kompagnie.

Es dauerte nicht lange, dann avanzierte Kinza.
Er bekam seinen Korpora!sgrad in jener Nacht,
a!s die Russen am Motien-!ing die Feldwache über-
fie!en. Der Offizier Wurde niedergestochen, er
stand bei den Vedetten, der nächste Kommandie-
rende fie! gieich darauf, aber da iibernahm der
Gemeine Kinza das Kommando tiber die Kamera-
den, und zwanzig Minuten hieiten zehn Mann
stand gegen eine ganze feindiiche Kompagnie. Zu-
!etzt waren nur drei zurück. Die EÜnten g!ühten
von dem schneüen Schießen und die Patronen
waren fast verbraucht. Die Arme der Soldaten
zitterten und die Muskeln barsten beinahe vor
Anstrengung, aber da kam die Verstarkung und
die Steüung war gerettet.

Riuge dagegen war sehr enttäuscht, er hatte
sich den Krieg nicht so vorgesteüt. Die Ideen, die
ihm vorgeschwebt und seinen patriotischen Eifer
entzündet hatten, waren ganz anders. Die gin-
gen meistens in der Richtuug, den Feind dadurch
zu strafen, daß man ihn gründhch ausp!ünderte

und auf seine Kosten gewaitig f)ott iebte. Ein
paar Ma! hatte Riuge auch versucht, aie Kamerä-
deu in dieser Richtung zu beeinftussen und ihnen
denseiben Bhck auf den Krieg zu geben, aber
'sein Rückcn wttrde so blau uud tat so weh nach
seiuem Vcrsuciic in dieser Richtung, daß er es
attfgab — jedenfahs voriäufig. Aher es ilattc ihu
uicht populär gemacht, weder bei den So!daten
noch den Offizieren und die Zeit, die jetzt foigte,
wurde sehr kraftraubend uud anstrengend fiir
Riuge. Es gab keinen Tag, an dcm er nicht gc-
braucht wnrde —. und das ordenthch. In einem
Monat wurde er schtank wie ein Blutncnsti! —
nur der Kopf bheh genau so dick und breit.

„Wir wohen versucken, ob wir hier durchkom-
men können," sagte Leutnant Hirai und zeigte
vorwärts, während er hin zu Riuge schiette, der
schou Bescheid wußte. „294, schneh durchgehen!
Aber die Beine gebrauchen!" fügte er mit bedeu-
tungsvohcr Stimme hinzu. Und Riuge mußte sich
durch das Dickicht drängen. A!s er zurtickkam,
war er von oben bis unten voh Dornen.

„Es ist wahrscheinüch zu tief!" sagte Lentnant
Hirai an einem andern Tag. Er machte seinen
Ha!s lang und guckte in das Wasser, wo schwarze
Eisstücke hin und her trieben:

„294, versuch, ob es geht! Wenn Sie nicht
Boden gewinnen körmen, maciits doch nichts!"

Und Riuge mußte daran, obgieich er beschwor,
daß er nie geschwommen hatte. Die Kameraden
lachten sich beinahe tot, während 294 auf dem
andern Ufer stand, sich schütte!nd vor Käite, mit
veüchenbiauem Qesicht, und sich infoige der
Menge Ftußwasser erbrach, das er verschiuckt
hatte.

„Wir miissen Meldung haben hinüber zu der
Kompagnie," sagte der Leutnant ein anderes Mai.
— „Aber schneü muß es gehen!"

„294. lauf und me!de, daß eine PatrouiUe Fuß-
vo!k zweihuudert Meter vor der Feklwache ist."

Und Riuge, der die ganze Nacht nicht gesch!a-
fen, sondern an drei schweren, mühsamen Späher-
patrouiüen teügenommen hatte, mußte jetzt mit
zusammengebissenen Zähnen und Augen voU
Schwefe! sich im Lauf setzen.

„Aber schneUer!" rief der Leutnant. Und Riuge
mußte Qalopp !aufen.

Ais er wieder schwankend vor Müdigkeit sich
bei Hirai meldete, sagte dieser:

„Es ist gut, und jetzt auf Ihren Posten. Da
draußen bekommen S)e Ihre Instruktionen. Jetzt
können Sie wohl ein bischen Ruhe gebrauchen?"

Hirai lächelte. AIs Riuge herauskam, wurde
er a!s Posten aufgesteüt.

„Jetzt ordentüch aufpassen!" sagte der Ser-
geant und gab ihm einen Rückenstoß.

Nach dem was der Leutnant sagte, hatte Riuge
geg!aubt, er diirfe jetzt ein bißchen schiafen, nun
merkte er, daß sie ihn zum Narren hieiten. Hatte
er früher zu viel laufen müsscn, soUte er jetzt mehr
stehen, a!s er vermochte.

Es ging eine gute Stunde. Der kühle Wind
hatte schon iängst den Schweiß vom Laufen ge-
trocknet. Riuge füh!te, ais stände er in einem
Giaskasten. Die Füße brannten, ohne Haut wie
sie waren. Seine Hände waren wie im Brand
geraten. Die Käite schmerzte und juckte driu.
Die Ohren fiihite er scbon iange nicht mehr. Und
von der Nase ging eine kieine Eisbahn zum Mund
herunter.

Er wurde gänz unkiar im Qehirn und wachte
auf vou einem fürchteriichen Stoß in aiien Qiie-
dern. Er war von dem Hiige! heruntergefaUen.
Ein Fali, der die meisten Nacken sicher gebrochen
!hätte. Aber er verrenkte sich nur seinen Arm.
Trotz der Erschütterung hatte er Qeistesgegen-

wart genug, um zu versuchen durch seinen Arht
irgend einige Vorteile zu erreichen.

„Ah, ah, mein Arm, mein Arm ist gebrochen!"
rief er brüHend.

Der Sergeant versetzte ihm eine Faust ihs
Gesiciit. ..Haits Maui, du bist ja Vorposten!"

Und einen Augenbiick uaci'her wareu vier So!-
daten damit beschäftigt, seinen Arm wieder ein-
zurenken. Eine Vierteistunde Zeit nahmen sie
sich, um sich auch ein bißcheu Bewegung in der
Käite zu mac!ten.

„Bitte," sagte dann der Sergeänt und stteß ihn
mit der Fiinte vor die Brust.

„Hier die Fiinte, die ich so gut gewesen bin
und fiir Sie aufgestammeit habe. Uud jetzt wie'-
der auf den Posten! Aber fix!"

Und dann stand Rmge wieder da oben. Er
weinte beinahe vor Wnt und Schmerzen, bis die
Tränen zu dicken Eisstäbchen auf seinen Wangen
froren.

Ais der Krieg ein haibes Jahr gedauert hatte,
gab es keine Arbeit, nicht die niederträchtigste
Sache, die Riuge nicht gemacht hätte und iR der
er nicht Meister war. Das Kriegerhandwerk fing
an, fiir i!m ziemüch ieicht zn sein.

Die Soldaten hatten die dummen Qeschichten
im Anfang beinahe ganz vergessen, 'auch Leutnant
Hirai fing an freundlich gegen Ringe zu !äche!n,
aber zu dem Schwierigsten verwandte er ihn doch
immer. Und jetzt tag 294 a!so und wartete in seiner
Hängematte, die die Rnssen ihm gemacht hatten,
er wartete auf Korporai Kinza, den Bruder, der
zurückkommen und ihm heifen würde.

Die Abteüung war ein kleines Stückchen in
dem Wa!d vorgerückt, als Kinza zurückge!aufen
kam. „Der Späher meidet, daß Qräben mit
Stacheldraht an der Waidkante gegraben sind!"
sagte er mit heißer kurzer Stimme. Er dachte an
den Bruder.

„Ringsherum!" kommandierte Leutnant Hirai
sofort, und einen Augenblick nachher war die Ab-
teüung wieder heraus aus dem Walde. Hiran
setzte sich an die Spitze und die AbteUung fing
an, zu laufen, um auf die Wcise heran zu kommen.

„Wo ist 294?" fragte Hirai schneil dazwischen.
Er schwang seinen Säbei. „Vorwärts, Leute —
schneiler vorwärts!" Schüsse fielen links von dem
Wald, da, wo sein Regiment gegen die Russen
gehen soiite. Es gait, zur Zeit heranzukommen.

„Vorwärts, vorwärts!" rief Hirai wieder, die
fernen Schüsse kiangen Schiag auf Schlag.

Die Flintenmündungen glänzten im Laufen, als
könnten sie nicht warten mit dem Schießen. bis
sie in SchießsteHung iagen.

„Wo ist 294?" rief der Leutnant wieder zu
Kinza, der hinter ihm iief, mit der Flinte in der
Hand geklemmt und ohne Zeit zur Antwort.

„Eriauben Sie, Herr Leutnant!" bekam Kinza
heraus, es iief wie kieine WeHen über seine Lippen,
die Augenbrauen bewegten sich herauf und her-
unter. „Mein Bruder," er schämte sich nicht, dies
Wort zu sagen, „294 iiegt in dem Loch, das sie
gegraben haben. Er hängt fest. Darf ich —!"

Hirai hieit inne, einen Bruchteil von einer Se-
kunde. „Der Stacheidraht? 294?" fragte er und
lief wieder zu, stärker a!s früher.

„Er selbst hat mich zurückgesandt. Zu der Ab-
teilung!" und Korporai Kinza fühite, ais barst der
eine oder der andere Mnskei irgendwo in ihm, „ist
hängend geblieben!" hörte der Leutnant.

Die Abteilung war herangekommen.

„Nach rechts — Kette formieren!" rief Hirai
und in demseiben Moment war die Kette gebiidet.
Es klang ein schneHes Schmettern, wie von 3ie-
genden Steinen, die Russen hatten die Schießkette
gesehen und gaben Feuer.

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