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Zeitschrift für allgemeine Geschichte, Kultur-, Litteratur- und Kunstgeschichte — 3.1886

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Meyer, Karl: Fastnachtsspiel und Fastnachtsscherz im 15. und 16. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.52691#0181

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Faſtnachtsſpiel und Faſtnachtsſcherz im 15. und 16. Jahrhundert. 171

z. B. dem Altertum oder dem helleniſchen Mythus, angehören,
in das Gewand ſeines Jahrhunderts kleidet, und daß es auch ſonſt
an mancherlei Verſtößen gegen Geſchichte und Chronologie nicht
arm iſt, befremdet weniger, weil es dieſe poetiſche Lizenz ſowohl
mit anderen poetiſchen Gattungen als mit den bildenden Künſten
teilt. So mögen denn Bühnenweiſungen wie „an herren herrn
Jupytter, ein gott der gotter detur litera“, die Erwähnung des
Königs Salomo oder des Chriſtengottes durch Pallas Athene oder die
in Jeruſalem zur Zeit Konſtantins und der Kaiſerin Helena ſchon
befindlichen Kreuzfahrer u. a. m. durch den Geiſt der Zeit, welche
das Faſtnachtsſpiel hervorgebracht hat, entſchuldigt werden. Aber
die zahlloſen Roheiten in Stoff und Ausdrucksweiſe finden im
Geiſt und Geſchmack des ganzen Zeitalters keine genügende Ent—
ſchuldigung. Man fühlt ſich vielmehr bei derartigen ſtereotyp
wiederkehrenden Situationen unwillkürlich veranlaßt, zu fragen,
ob denn das ſittliche Leben in Nürnberg und anderswo im
15. Jahrhundert in der That ſo tief geſunken ſei, wie es uns im
Faſtnachtsſpiel entgegentritt. Nun wird man allerdings zunächſt
der Faſtnacht ihr Recht laſſen müſſen, und man wird auch ſonſt
nicht überſehen dürfen, daß das Luſtſpiel in allen ſeinen Zweigen,
das rohe des ausgehenden Mittelalters wie das feine der franzö—
ſiſchen Klaſſiker, überhaupt mehr auf die Mängel und ſittlichen
Gebrechen der Menſchen als auf ihre Vorzüge und Tugenden an—
gewieſen iſt. Zur Ehre der Nürnberger oder vielmehr ihres Rates
wollen wir ſogar noch darauf aufmerkſam machen, daß letzterer
im Jahre 1468 am Samstag vor Judica mit Beziehung auf die
„zu vergangen vasnachten“ bei den Spielen vorgekommenen Un—
ſittlichkeiten in Worten und Gebärden beſchloß, künftig derartige
Vergehungen mit drei Gulden rheiniſch zu beſtrafen. Allein an—
dererſeits iſt auch zu beachten, daß gerade im 15. Jahrhundert,
alſo unmittelbar vor der Reformation, die Zuſtände allerdings
ſchlimm genug waren, und daß die Reformation keineswegs nur
mit den Dogmen und der Verfaſſung der Kirche, ſondern auch mit
dem Volksleben und mit ſeiner ſittlichen Erneuerung vollauf zu
thun hatte. Das Mittelalter befand ſich in der That in dem
Stadium der Auflöſung, und ſo mußte es jetzt auch in ſittlicher
Beziehung diejenigen Früchte hervorbringen, welche man auch ſonſt
in Zeiten des Uebergangs oder der Auflöſung alter, unhaltbar
gewordener Zuſtände findet. Der beſte Beweis daſür, daß wir es
keineswegs bloß mit Uebertreibungen zu thun haben, dürfte wohl
darin liegen, daß das Faſtnachtsſpiel nach der Reformation bei
Hans Sachs und Jakob Ayrer um ein Gutes ehrbarer und an—
 
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