942 Die Volkszahl deutſcher Städte zu Ende des Mittelalters 2C.
Die Volkszahl deutſcher Städte zu Ende des Mittelalters und zu
Beginn der Neuzeit
hat Dr. J. Jaſtrow, Privatdocent an der Berliner Univerſität, zum Gegen—
ſtande einer „hiſtoriſchen Unterſuchung“ gemacht, welche die Reihe der von ihm
herauszugebenden Veröffentlichungen aus allen Gebieten der Spezialforſchung,
namentlich aber der Wirtſchaftsgeſchichte! eröffnet. Während man vor wenigen
Jahrzehnten nach dem Vorgange Wilh. Arnolds der Anſchauung zuneigte, daß
die bedeutenden Handels- und Verkehrscentren des Mittelalters, Städte wie
Köln, Mainz, Nürnberg, Augsburg, wenigſtens einigermaßen unſeren modernen
Anſchauungen von dem Weſen einer Großſtadt entſprochen, d. h. etwa 60—100 000
Einwohner beherbergt hätten, haben neuerdings eine Reihe ſpezieller, mehr lokal—
geſchichtlicher Forſchungen zu einer ganz entgegengeſetzten Auffaſſung geführt,
nach der z. B. eine Stadt von der Bedeutung Nürnbergs im 15. Jahrhundert
nicht viel mehr als 20000, Baſel in demſelben Jahrhundert etwa 15000 Ein—
wohner gehabt haben ſollte. Noch ſpätere Forſchungen haben zu noch niedrigeren.
Refultaten geführt; ſo hat Bücher Frankfurt auf 9 -10000, Hegel gar die
Metropole des Reiches, das „goldene“ Mainz, auf 5-6000 Einwohner ange—
ſetzt. Auf der anderen Seite aber iſt auf Grund desſelben Verfahrens eine
Stadt von der geringen Bedeutung Dresdens im 15. Jahrhundert auf 5—6000
Einwohner, d. h. ebenſo hoch als nach Hegels Berechnung Mainz, geſchätzt worden.
Es liegt auf der Hand, daß dieſe verſchiedenen Anſichten Gegenſätze darſtellen,
die einander völlig ausſchließen. Iſt die ältere, hauptſächlich von Arnold ver—
tretene, aber auch neuerdings noch keineswegs aufgegebene Auffaſſung richtig,
ſo waren die deutſchen Handelsſtädte des Mittelalters auch nach unſerer heutigen
Auffaſſung Großſtädte, während ſie, wenn man der anderen Anſicht folgt, auf
das Niveal kleinerer Mittelſtädte oder gar noch unter dieſes heruntergedrückt werden.
Nicht minder ſchroff iſt der Gegenſatz, wenn man die von Hegel für Mainz ge—
fundene Berechnung mit der von O. Richter für Dresden gefundenen vergleicht.
Nimmt man beider Richtigkeit an, ſo gelangt man zu dem allen unſeren ſon—
ſtigen Anſchauungen über das Mittelalter widerſprechenden und faſt abſurden
Reſultat, daß ein kleines unbedeutendes Landſtädtchen im Oſten (denn Dresden,
damals noch nicht Reſidenz der ſächſiſchen Herzoge, war nichts anderes als ein
befeſtigter Brückenkopf) an Einwohnerzahl von der Metropole des Reichs am
Zuſammenfluß des Rheins und Mains nicht weſentlich verſchieden geweſen ſei.
„Hiſtoriſche Unterſuchungen“, herausg. von J. Jaſtrow, Heft 1. Berlin, Gärtner 1886.
Die Volkszahl deutſcher Städte zu Ende des Mittelalters und zu
Beginn der Neuzeit
hat Dr. J. Jaſtrow, Privatdocent an der Berliner Univerſität, zum Gegen—
ſtande einer „hiſtoriſchen Unterſuchung“ gemacht, welche die Reihe der von ihm
herauszugebenden Veröffentlichungen aus allen Gebieten der Spezialforſchung,
namentlich aber der Wirtſchaftsgeſchichte! eröffnet. Während man vor wenigen
Jahrzehnten nach dem Vorgange Wilh. Arnolds der Anſchauung zuneigte, daß
die bedeutenden Handels- und Verkehrscentren des Mittelalters, Städte wie
Köln, Mainz, Nürnberg, Augsburg, wenigſtens einigermaßen unſeren modernen
Anſchauungen von dem Weſen einer Großſtadt entſprochen, d. h. etwa 60—100 000
Einwohner beherbergt hätten, haben neuerdings eine Reihe ſpezieller, mehr lokal—
geſchichtlicher Forſchungen zu einer ganz entgegengeſetzten Auffaſſung geführt,
nach der z. B. eine Stadt von der Bedeutung Nürnbergs im 15. Jahrhundert
nicht viel mehr als 20000, Baſel in demſelben Jahrhundert etwa 15000 Ein—
wohner gehabt haben ſollte. Noch ſpätere Forſchungen haben zu noch niedrigeren.
Refultaten geführt; ſo hat Bücher Frankfurt auf 9 -10000, Hegel gar die
Metropole des Reiches, das „goldene“ Mainz, auf 5-6000 Einwohner ange—
ſetzt. Auf der anderen Seite aber iſt auf Grund desſelben Verfahrens eine
Stadt von der geringen Bedeutung Dresdens im 15. Jahrhundert auf 5—6000
Einwohner, d. h. ebenſo hoch als nach Hegels Berechnung Mainz, geſchätzt worden.
Es liegt auf der Hand, daß dieſe verſchiedenen Anſichten Gegenſätze darſtellen,
die einander völlig ausſchließen. Iſt die ältere, hauptſächlich von Arnold ver—
tretene, aber auch neuerdings noch keineswegs aufgegebene Auffaſſung richtig,
ſo waren die deutſchen Handelsſtädte des Mittelalters auch nach unſerer heutigen
Auffaſſung Großſtädte, während ſie, wenn man der anderen Anſicht folgt, auf
das Niveal kleinerer Mittelſtädte oder gar noch unter dieſes heruntergedrückt werden.
Nicht minder ſchroff iſt der Gegenſatz, wenn man die von Hegel für Mainz ge—
fundene Berechnung mit der von O. Richter für Dresden gefundenen vergleicht.
Nimmt man beider Richtigkeit an, ſo gelangt man zu dem allen unſeren ſon—
ſtigen Anſchauungen über das Mittelalter widerſprechenden und faſt abſurden
Reſultat, daß ein kleines unbedeutendes Landſtädtchen im Oſten (denn Dresden,
damals noch nicht Reſidenz der ſächſiſchen Herzoge, war nichts anderes als ein
befeſtigter Brückenkopf) an Einwohnerzahl von der Metropole des Reichs am
Zuſammenfluß des Rheins und Mains nicht weſentlich verſchieden geweſen ſei.
„Hiſtoriſche Unterſuchungen“, herausg. von J. Jaſtrow, Heft 1. Berlin, Gärtner 1886.