Ranke und Waitz 7.
Innerhalb nicht viel mehr als 24 Stunden hat das deutſche Volk zwei
ſeiner größten Geſchichtsſchreiber verloren. Am 23. Mai erloſch das bis zum
91. Jahre in wunderbarer Kraft erhaltene Leben Leopold von Rankes, in der
Nacht vom 24. auf den 25. verſchied Georg Waitz, der Leiter der ,Monumenta
Germaniae,“ der Schöpfer der „Deutſchen Verfaſſungsgeſchichte,“ ſelbſt ein Greis
von 73 Jahren und doch ein Schüler des erſteren. Ueber die Bedeutung Rankes
haben wir uns mit den Leſern dieſer Zeitſchrift nicht auseinanderzuſetzen, ſein
Ruf iſt ja weit über den Kreis der Geſchichtsfreunde hinaus bis zu jenen
Schichten der Bevölkerung gedrungen, denen ſonſt die Beſchäftigung mit ſtreng
wiſſenſchaftlichen Leiſtungen fern liegt, obwohl Ranke nie eine Zeile in jenem
Stile geſchrieben hat, den man „populär“ zu nennen gewohnt iſt. Im All—
gemeinen ſtehen die Umriſſe ſeines Weſens und ſeiner Werke in dem Bewußt—
ſein der Zeitgenoſſen feſt, im Einzelnen können ſeine Leiſtungen nur durch die
eingehendſte Prüfung derſelben gewürdigt werden. Von Ranke kann man nicht
ſagen, daß er „Schule gemacht hat,“ es wäre zu wenig und zu viel, denn be—
herrſcht werden von ihm alle Hiſtoriker der Gegenwart, es kann ſich niemand
rühmen von der Geſchichte des 15. bis zum 19. Jahrhunderte etwas Aus—
reichendes zu wiſſen, der Ranke nicht kennt. Schüler im engeren Sinne, in
ihren Arbeiten von ihm geleitet und beeinflußt, ſeine Ideen fortführend, ſeine
Aufgaben vollendend kann es nicht geben, dazu war ſeine Thätigkeit eiue viel
zu ſubjektive. Er bleibt, wieſ jeder „Große“ eine Erſcheinung für ſich, ſcharf
abgehoben von ſeiner reichen Umgebung, von innen herausgeſtaltet und in ſich
geſchloſſen. Vielen „Nachahmern“ Rankes zu begegnen, wäre wenig erfreulich;
denn in der Methode, die er begründet hat, mußte er ja in dem Menſchenalter,
das ihm über die gewöhnliche Grenze menſchlichen Schaffens hinaus gegönnt
war, notwendig überholt werden, ſeine Anſicht der Welt und der Menſchen, ſeine
Art, die Ereigniſſe anzuſehen und zu verknüpfen, ſein gewiß nicht unfehlbares,
aber ſtets zum Nachdenken anregendes, weitgreifendes Urteil entzieht ſich wohl
der Weiterbildung, in dieſem Punkte muß doch jeder ſelbſtändige Denker bei ſich
ſelbſt anfangen. Sehr beklagenswert iſt es, daß Ranke nicht mehr vermocht hat
die „Weltgeſchichte“ — die ſpät geſchriebene Einleitung zu ſeinen eigentlichen
Hauptwerken — bis zu dem Punkte zu führen, von dem er in den letzteren aus—
gegangen iſt, bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Weiter herauf würde er
ſie doch nicht geſchrieben haben, da er mehr und Beſſeres über die Geſchichte
der Neuzeit kaum zu ſagen hatte. Die nunmehr beſtehende Lücke wird ſtets un—
ausgefüllt bleiben. Vollendung gönnt das Schickſal auch dem Werke des glück—
lichſten Sterblichen niemals. — Unerwartet und von den Näherſtehenden daher
um ſo ſchmerzlicher empfunden kam der Tod von Waitz. Wer die gewaltige,
Innerhalb nicht viel mehr als 24 Stunden hat das deutſche Volk zwei
ſeiner größten Geſchichtsſchreiber verloren. Am 23. Mai erloſch das bis zum
91. Jahre in wunderbarer Kraft erhaltene Leben Leopold von Rankes, in der
Nacht vom 24. auf den 25. verſchied Georg Waitz, der Leiter der ,Monumenta
Germaniae,“ der Schöpfer der „Deutſchen Verfaſſungsgeſchichte,“ ſelbſt ein Greis
von 73 Jahren und doch ein Schüler des erſteren. Ueber die Bedeutung Rankes
haben wir uns mit den Leſern dieſer Zeitſchrift nicht auseinanderzuſetzen, ſein
Ruf iſt ja weit über den Kreis der Geſchichtsfreunde hinaus bis zu jenen
Schichten der Bevölkerung gedrungen, denen ſonſt die Beſchäftigung mit ſtreng
wiſſenſchaftlichen Leiſtungen fern liegt, obwohl Ranke nie eine Zeile in jenem
Stile geſchrieben hat, den man „populär“ zu nennen gewohnt iſt. Im All—
gemeinen ſtehen die Umriſſe ſeines Weſens und ſeiner Werke in dem Bewußt—
ſein der Zeitgenoſſen feſt, im Einzelnen können ſeine Leiſtungen nur durch die
eingehendſte Prüfung derſelben gewürdigt werden. Von Ranke kann man nicht
ſagen, daß er „Schule gemacht hat,“ es wäre zu wenig und zu viel, denn be—
herrſcht werden von ihm alle Hiſtoriker der Gegenwart, es kann ſich niemand
rühmen von der Geſchichte des 15. bis zum 19. Jahrhunderte etwas Aus—
reichendes zu wiſſen, der Ranke nicht kennt. Schüler im engeren Sinne, in
ihren Arbeiten von ihm geleitet und beeinflußt, ſeine Ideen fortführend, ſeine
Aufgaben vollendend kann es nicht geben, dazu war ſeine Thätigkeit eiue viel
zu ſubjektive. Er bleibt, wieſ jeder „Große“ eine Erſcheinung für ſich, ſcharf
abgehoben von ſeiner reichen Umgebung, von innen herausgeſtaltet und in ſich
geſchloſſen. Vielen „Nachahmern“ Rankes zu begegnen, wäre wenig erfreulich;
denn in der Methode, die er begründet hat, mußte er ja in dem Menſchenalter,
das ihm über die gewöhnliche Grenze menſchlichen Schaffens hinaus gegönnt
war, notwendig überholt werden, ſeine Anſicht der Welt und der Menſchen, ſeine
Art, die Ereigniſſe anzuſehen und zu verknüpfen, ſein gewiß nicht unfehlbares,
aber ſtets zum Nachdenken anregendes, weitgreifendes Urteil entzieht ſich wohl
der Weiterbildung, in dieſem Punkte muß doch jeder ſelbſtändige Denker bei ſich
ſelbſt anfangen. Sehr beklagenswert iſt es, daß Ranke nicht mehr vermocht hat
die „Weltgeſchichte“ — die ſpät geſchriebene Einleitung zu ſeinen eigentlichen
Hauptwerken — bis zu dem Punkte zu führen, von dem er in den letzteren aus—
gegangen iſt, bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Weiter herauf würde er
ſie doch nicht geſchrieben haben, da er mehr und Beſſeres über die Geſchichte
der Neuzeit kaum zu ſagen hatte. Die nunmehr beſtehende Lücke wird ſtets un—
ausgefüllt bleiben. Vollendung gönnt das Schickſal auch dem Werke des glück—
lichſten Sterblichen niemals. — Unerwartet und von den Näherſtehenden daher
um ſo ſchmerzlicher empfunden kam der Tod von Waitz. Wer die gewaltige,