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Zeitschrift für allgemeine Geschichte, Kultur-, Litteratur- und Kunstgeschichte — 3.1886

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Werner, Richard Maria: Wilhelm Scherer
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https://doi.org/10.11588/diglit.52691#0872

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Wilhelm Scherer +.

Ein Gelehrtenleben, reich an Erfolgen wie nicht bald eines, hat erſchreckend
raſch geendet. Wilhelm Scherer, welcher in ſeltenſter Weiſe das Wort beherrſchte,
ein ebenſo guter Redner als Stiliſt war, welcher als Gelehrter und Lehrer, als
Forſcher und populärer Darſteller, als erſter Grammatiker und poeſiebegabter
Litterarhiſtoriker, als genaueſter Kenner der deutſchen Entwickelung und frucht—
barſter Detailphilologie glänzte, Wilhelm Scherer, welcher anregend und ſtreitbar
überall einſetzte, wo es die höchſten Fragen galt, hat am 7. Auguſt 1886 uner—
wartet und plötzlich ſeine auch an äußeren Ehren reiche Laufbahn geſchloſſen.
Ein Schlaganfall machte ſeinem Leben ein Ende. Ihn beweinen nicht nur die
nächſten Angehörigen, ihn betrauern ſeine zahlreichen Schitler, ihn beklagt das
große Publikum und jedes deutſchfühlende Herz.

Es iſt nicht leicht von dieſer überraſchenden Vereinigung ſcheinbar wider—
ſtreitender Eigenſchaften ein zutreffendes Bild zu entwerfen. Vielleicht erklärt
ſeine Entwickelung manches. Scherer war Süddeutſcher von Geburt, geboren
am 26. April 1841 zu Schönborn; er nahm aus ſeiner öſterreichiſchen Heimat
jene Wärme des Gefühls, jene offene Herzlichkeit, jene friſche Unmittelbarkeit,
welche mehr noch in ſeinen Vorträgen und im perſönlichen Verkehr, als in ſeinen
Auffätzen deutlich wurde. Scherer war aber ſeiner Selbſterziehung nach Preuße
durch und durch; er hatte in der preußiſchen Philologenſchule ſeine Ausbildung
erhalten und ſuchte mit vollem Bewußtſein preußiſches Weſen zu erwerben.
Auch in ſeiner Sprache zeigte ſich dieſe Miſchung zwiſchen Süd und Nord; er
ſtrebte nach gänzlicher Beſeitigung ſüddeutſcher Anklänge aus ſeinen Lauten,
freute ſich jedoch, daß er trotzdem die bayriſch-⸗öſterreichiſche Mundart, wenigſtens
als Vorleſer von Dialektgedichten, noch frei beherrſchte. Scherer hatte dabei
nichts Geziertes in ſeiner Art; ſeine Selbſtzucht hatte ihm das Fremde ſo an—
geeignet, daß es mit ihm feſt verwachſen war, und beſonders ſeit ſeiner Ueber—
ſiedelung nach Berlin hatte er manche Eigentümlichkeit aufgegeben, welche miß—
verſtanden werden konnte.

Scherer hatte eine Gabe, welche leider überaus ſelten iſt: er vertiefte ſich
in die minutiöſeſten Detailforſchungen ohne das Ganze aus dem Auge zu ver—
lieren, und er konnte ſelbſt die trockenſten Unterſuchungen ſo anmutig und ge—
ſchmackvoll darſtellen, daß ſie faſt zur Unterhaltungslektüre wurden. Scherer
war Künſtler durch und durch, wer weiß, ob er nicht auch noch verſucht hätte
dichteriſch zu geſtalten; ſein Aufſatz über Goethes Nauſikaa in Weſtermanns
 
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