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Zeitschrift für allgemeine Geschichte, Kultur-, Litteratur- und Kunstgeschichte — 3.1886

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Brückner, Alexander: Ein sogenanntes Quellenwerk zur neueren Geschichte Rußlands
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https://doi.org/10.11588/diglit.52691#0546

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Ein ſogenanntes Quellenwerk zur neueren Geſchichte Rußlands.

Die Neuausgabe des im Jahre 1809 erſchienenen Werkes von G. Ad. W.
v. Helbig „Ruſſiſche Günſtlinge“ gibt Veranlaſſung, an einem beſonders auf—
fallenden Beiſpiele den Nachweis zu liefern, daß man noch heute, wenn man
ſich nicht der größten Vorſicht in der Wahl der Lektüre befleißigt, ſehr leicht in
die Gefahr kommen kann, unter dem Scheine einer wiſſenſchaftlichen Arbeit ein
Machwerk in die Hand zu bekommen, welches, ſtatt der Verbreitung der hiſtori—
ſchen Wahrheit Vorſchub zu leiſten, nur geeignet iſt, einem großen Leſerkreiſe über
weſentliche Fragen der neueren Geſchichte Rußlands falſche Begriffe beizubringen.
Im Gegenſatze zu den Ergebniſſen wahrer Forſchung ſind ſolche Halbromane,
wie das Helbigſche Buch, dazu geſchaffen, das Urteil über Perſonen und Ver—
hältniſſe in der Geſchichte irre zu führen. Und wenn nun gar Leute, wie Scherr
und Brüggen, welche unter der falſchen Flagge der Geſchichtsforſchung ſegeln,
vorwiegend derartige Quellen, wie das Helbigſche Buch, benutzen, ſo wird der
Einfluß einer ſolchen auf Skandalſucht baſierenden Litteratur auf die Quaſi—
geſchichtsbildung des Publikums ein um ſo weiter greifender.

Inſofern als Helbigs Buch für Fachleute nicht ganz wertlos iſt, kann ein
Neudruck der vergriffenen erſten Ausgabe als nicht ganz überflüſſig bezeichnet
werden, indeſſen wäre es zweckmäßig geweſen, bei der neuen Edition die Mit—
arbeit eines Fachmannes in Anſpruch zu nehmen, und das iſt in dieſem Falle
leider unterblieben. Es fehlen zuverläſſige Nachrichten über Helbigs Aufenthalt
in Rußland; an eine Berichtigung der falſchen Angaben und ſchiefen Urteile hat
niemand gedacht. Aller in dem Buche enthaltene Klatſch wird den Leſern als
bare Münze dargeboten. Wie ſollen da die argloſen Käufer der neuen Aus—
gabe ahnen, daß es ſich an unzähligen Stellen dieſes Werkes um eine Myſti—
fikation, um eine Art wiſſenſchaftlicher Falſchmünzerei handelt?

Selbſt Nichthiſtoriker werden bei der Würdigung des hier Dargebotenen
erwägen müſſen, daß die Frage von der Glaubwürdigkeit der Erzählungen
Helbigs, welche etwas mehr als ein Jahrhundert umfaſſen, mit dem Zeitpunkte
ſeines Verweilens in Rußland, wo er die Materialien zu ſeinem Buche ſammelte,
eng zuſammenhängt. Dieſen Zeitpunkt nun beſtimmt der Herausgeber im Vor—
wort folgendermaßen: „Nach aufgefundenen Notizen fällt der Aufenthalt des
Autors in Rußland und ſpeziell in St. Petersburg in die Jahre nach 1762
oder 1763.“ Eine ſolche chronologiſche Beſtimmung iſt keine. Da Helbig, wie
 
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