Politilde und Kulturgeſchichte.
Von
VBruno Gebhardt.
Mit einem Nachworte des Herausgebers.
Bei Erörterung der Frage, womit es die Wiſſenſchaft der
Geſchichte zu thun habe, treten ſich zwei Meinungen gegenüber.
Die eine behauptet, nur die Verhältniſſe des ſtaatlichen Lebens
ſeien in erſter Reihe zu behandeln; der Staat ſchließe das ge—
ſamte Leben eines Volkes ein, die Blüte der geſchichtlichen Studien
ſei die politiſche Geſchichte, nicht das, was man Kulturgeſchichte
nennt. Dieſer Anſicht ſteht eine andere gegenüber, welche meint,
daß das ſtaatliche Leben nur eine der vielen Lebensäußerungen
eines Kulturvolkes ſei, wenn auch eine der bedeutſamſten; daß
aber auch ſeine Thätigkeit in Wiſſenſchaft, Kunſt und Litteratur,
in Induſtrie und Ackerbau, daß auch ſeine Exiſtenz in Haus und
Geſellſchaft, in Schule und Kirche und welche Beziehungen ſonſt
noch vorhanden ſind, beachtet, erkannt und dargeſtellt werden
müſſen, daß mit einem Worte die Kulturgeſchichte die Blüte der
hiſtoriſchen Studien ſei. In noch ſchrofferer Weiſe wird der Gegen—
ſatz formuliert in der Aufſtellung des Satzes: Diplomatengeſchichte
oder Volksgeſchichte? und diejenigen, die für die letztere eintreten,
machen immer geltend, daß es viel gleichgültiger ſei, zu wiſſen,
wann, wie und weshalb dieſer oder jener Zipfel Landes zu einem
Staate zukam, und viel wichtiger ſei, zu erfahren, wer dieſe oder
In der Theorie vertreten dieſe Anſicht in erſter Reihe Fournier, Ueber
Auffaſſung und Methode der Staatshiſtorie (jetzt Geſ. Abhandlungen) und Mauren—
brecher unter Berufung auf Fournier „Geſchichte und Politik“ Eeipzig 1884.
Zeitſchrift für Allgem. Geſchichte ec,, 1886. Heft XII. 56
Von
VBruno Gebhardt.
Mit einem Nachworte des Herausgebers.
Bei Erörterung der Frage, womit es die Wiſſenſchaft der
Geſchichte zu thun habe, treten ſich zwei Meinungen gegenüber.
Die eine behauptet, nur die Verhältniſſe des ſtaatlichen Lebens
ſeien in erſter Reihe zu behandeln; der Staat ſchließe das ge—
ſamte Leben eines Volkes ein, die Blüte der geſchichtlichen Studien
ſei die politiſche Geſchichte, nicht das, was man Kulturgeſchichte
nennt. Dieſer Anſicht ſteht eine andere gegenüber, welche meint,
daß das ſtaatliche Leben nur eine der vielen Lebensäußerungen
eines Kulturvolkes ſei, wenn auch eine der bedeutſamſten; daß
aber auch ſeine Thätigkeit in Wiſſenſchaft, Kunſt und Litteratur,
in Induſtrie und Ackerbau, daß auch ſeine Exiſtenz in Haus und
Geſellſchaft, in Schule und Kirche und welche Beziehungen ſonſt
noch vorhanden ſind, beachtet, erkannt und dargeſtellt werden
müſſen, daß mit einem Worte die Kulturgeſchichte die Blüte der
hiſtoriſchen Studien ſei. In noch ſchrofferer Weiſe wird der Gegen—
ſatz formuliert in der Aufſtellung des Satzes: Diplomatengeſchichte
oder Volksgeſchichte? und diejenigen, die für die letztere eintreten,
machen immer geltend, daß es viel gleichgültiger ſei, zu wiſſen,
wann, wie und weshalb dieſer oder jener Zipfel Landes zu einem
Staate zukam, und viel wichtiger ſei, zu erfahren, wer dieſe oder
In der Theorie vertreten dieſe Anſicht in erſter Reihe Fournier, Ueber
Auffaſſung und Methode der Staatshiſtorie (jetzt Geſ. Abhandlungen) und Mauren—
brecher unter Berufung auf Fournier „Geſchichte und Politik“ Eeipzig 1884.
Zeitſchrift für Allgem. Geſchichte ec,, 1886. Heft XII. 56