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Zeitschrift für allgemeine Geschichte, Kultur-, Litteratur- und Kunstgeschichte — 3.1886

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Schmidt, Otto Eduard: Gian-Francesco Poggio Bracciolini: ein Lebensbild aus dem 15. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.52691#0436

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426 Gian-Francesco Poggio Bracciolini.

colos freundſchaftlich ertrug, den eine in höheren Jahren geſchloſſene
Ehe 20 Jahre lang, bis zum Tode der Gattin, beglücken konnte,
war im Kern ſeines Weſens nicht böſe. Aber ein gewichtiger
Vorwurf trifft ihn doch: er hat die ſittliche Tendenz, welche Coluccio
der neuen Bewegung eingehaucht hatte, nicht weiter entwickelt,
ſondern verkümmern laſſen; er wurde ein Mann ohne feſte poli—
tiſche und religiöſe Prägung, der in überzeugungsloſer Schön—
geiſterei die Ereigniſſe gehen ließ, wie ſie wollten. Indem er es nicht
für nötig hielt ſeinen eigenen Launen und Begierden je den Zügel
aufzuerlegen, überwucherte bei ihm die gleißende Eloquenz und
Dialektik allmählich die innere Wahrhaftigkeit. Poggios Feder
war erkäuflich — in unſer Jahrhundert verſetzt würde er als
Charakter vielleicht keine beſſere Rolle geſpielt haben, als jener
Friedrich Gentz, der erſt mit der glühendſten Beredſamkeit den Kampf
gegen Napoleon geſchürt hat, dann als Gehilfe Metternichs endete.
So liegt ſchon in Poggio der böſe Keim, an welchem wenig Jahr—
zehnte ſpäter die urſprüngliche ideale Aufgabe der italieniſchen
Renaiſſance ſcheiterte. Die letzte und ſchönſte Aufgabe dieſer
Bewegung, die ſittliche Erneuerung, welche Coluccio richtig ange—
ſtrebt hatte, erforderte einen andern Volkscharakter: ſie kam erſt
ſpäter in Deutſchland mit tiefer Innerlichkeit zur Vollendung.
Und ſo dankbar wir den Italienern für den zündenden Funken
ſein müſſen, ſo notwendig vollzog ſich doch das Aufflammen des
deutſchen Humanismus zur Reformation als eine Loslöſung
von Rom.
 
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