Die griechiſchen Ausgrabungen in Epidauros. 561
an; man kann die Inkubation einem anderen zuwenden wie den
Ablaß und das Gebet. Die Mutter einer waſſerſüchtigen
Lakonerin erſcheint ſtatt ihrer Tochter; ſie ſah, wie der Gott
den Kopf derſelben abſchnitt, den Körper an den Beinen auf—
hängte und dann das Waſſer aus demſelben abfloß. Die Tochter
hatte zu gleicher Zeit denſelben Traum gehabt und wurde geheilt.
Zu dieſen ſchwereren Fällen iſt aber die Hilfe des Asklepios ſelber
nötig, ſeine Söhne, die ſonſt wohl genügen, vermögen ſie nicht
auszuführen. Eine dies illuſtrierende, köſtliche Geſchichte iſt der
Rivalität zwiſchen dem Asklepieion in Epidauros und jenem in
dem benachbarten Troizen entſprungen. Sie gemahnt an die Rivali—
täten zwiſchen den Schutzheiligen benachbarter Ortſchaften in
Italien, wie eine ſolche Erzählung kürzlich als Gegenſtand einer
Novelle von einem italieniſchen Zola behandelt worden iſt. Die
Inſchrift von Epidauros erzählt die Sache folgendermaßen: Eine
Frau aus Troizen litt am Bandwurm; ſie begab ſich in das
daſelbſt befindliche Heiligtum des Asklepios und träumte. Doch
es waren nur deſſen Söhne zugegen, der Gott ſelbſt war — in
Epidauros. Um des Bandwurmes habhaft zu werden, ſchnitten
ihr jene den Kopf ab, konnten ihn aber nicht wieder mit dem
Rumpf der Frau zuſammenfügen. Darauf erbarmte ſich der Gott,
kam von Epidauros herüber, fügte den Kopf auf den Hals, öffnete
den Leib und nahm den Bandwurm heraus.
Es iſt daher begreiflich, daß wegen ſolcher Operationen manchem
angſt und bange wurde, während er im Tempel lag, wie jenem
Ungenannten der Inſchrift, der Geſchwüre im Leibe hatte und
ſich der Operation des Aufſchneidens, von der ihm träumte, durch
Flucht entziehen wollte, jedoch gebunden ſie zu ſeinem Heile aus—
halten mußte. Selbſtverſtändlich waren die blutigen Spuren dieſes
Eingriffes auf dem Eſtrich des Heiligtums zu ſehen und wurden
den Beſuchern gezeigt. Eine ganze Reihe dieſer Geſchichten ſind
deutlich genug Erfindungen, die an irgend welche Gegenſtände
oder Weihegeſchenke im Heiligtum anknüpften. Ein ſchwerer Stein
vor demſelben mußte für die Heilung eines an Gliederſchwäche
Leidenden herhalten; zwei der früher erwähnten Erzählungen ver—
danken dem ſilbernen Votivbild eines Schweines und einem in
Epidauros aufgeſtellten Trinkbecher ihre Entſtehung.
Es iſt eine reiche Muſterkarte menſchlicher Leiden und Nöte,
die auf dieſen Steintafeln verzeichnet iſt. Der Gott heilt den
Krieger, der jahrelang von einer alten Wunde geplagt wird, wie
den Podagriſten; er zeigt dem jammernden Vaͤter den Ori an,
wohin ſein Kind ſich verlaufen hat, und eröffnet Frauen die Aus—
an; man kann die Inkubation einem anderen zuwenden wie den
Ablaß und das Gebet. Die Mutter einer waſſerſüchtigen
Lakonerin erſcheint ſtatt ihrer Tochter; ſie ſah, wie der Gott
den Kopf derſelben abſchnitt, den Körper an den Beinen auf—
hängte und dann das Waſſer aus demſelben abfloß. Die Tochter
hatte zu gleicher Zeit denſelben Traum gehabt und wurde geheilt.
Zu dieſen ſchwereren Fällen iſt aber die Hilfe des Asklepios ſelber
nötig, ſeine Söhne, die ſonſt wohl genügen, vermögen ſie nicht
auszuführen. Eine dies illuſtrierende, köſtliche Geſchichte iſt der
Rivalität zwiſchen dem Asklepieion in Epidauros und jenem in
dem benachbarten Troizen entſprungen. Sie gemahnt an die Rivali—
täten zwiſchen den Schutzheiligen benachbarter Ortſchaften in
Italien, wie eine ſolche Erzählung kürzlich als Gegenſtand einer
Novelle von einem italieniſchen Zola behandelt worden iſt. Die
Inſchrift von Epidauros erzählt die Sache folgendermaßen: Eine
Frau aus Troizen litt am Bandwurm; ſie begab ſich in das
daſelbſt befindliche Heiligtum des Asklepios und träumte. Doch
es waren nur deſſen Söhne zugegen, der Gott ſelbſt war — in
Epidauros. Um des Bandwurmes habhaft zu werden, ſchnitten
ihr jene den Kopf ab, konnten ihn aber nicht wieder mit dem
Rumpf der Frau zuſammenfügen. Darauf erbarmte ſich der Gott,
kam von Epidauros herüber, fügte den Kopf auf den Hals, öffnete
den Leib und nahm den Bandwurm heraus.
Es iſt daher begreiflich, daß wegen ſolcher Operationen manchem
angſt und bange wurde, während er im Tempel lag, wie jenem
Ungenannten der Inſchrift, der Geſchwüre im Leibe hatte und
ſich der Operation des Aufſchneidens, von der ihm träumte, durch
Flucht entziehen wollte, jedoch gebunden ſie zu ſeinem Heile aus—
halten mußte. Selbſtverſtändlich waren die blutigen Spuren dieſes
Eingriffes auf dem Eſtrich des Heiligtums zu ſehen und wurden
den Beſuchern gezeigt. Eine ganze Reihe dieſer Geſchichten ſind
deutlich genug Erfindungen, die an irgend welche Gegenſtände
oder Weihegeſchenke im Heiligtum anknüpften. Ein ſchwerer Stein
vor demſelben mußte für die Heilung eines an Gliederſchwäche
Leidenden herhalten; zwei der früher erwähnten Erzählungen ver—
danken dem ſilbernen Votivbild eines Schweines und einem in
Epidauros aufgeſtellten Trinkbecher ihre Entſtehung.
Es iſt eine reiche Muſterkarte menſchlicher Leiden und Nöte,
die auf dieſen Steintafeln verzeichnet iſt. Der Gott heilt den
Krieger, der jahrelang von einer alten Wunde geplagt wird, wie
den Podagriſten; er zeigt dem jammernden Vaͤter den Ori an,
wohin ſein Kind ſich verlaufen hat, und eröffnet Frauen die Aus—