König Ludwig II. von Bayern und die deutſche Kunſt. 72
Wie oft haben wir ſie nicht ſchon in Kupferſtichen betrachtet,
die geiſtreichen Kompoſitionen Bouchers, welche die Plafonds der
einzelnen Zimmer ſchmücken: den „Abend“, den „Morgen“, „Flora“,
„Amor und Pſyche“, „Venus und Bacchus“, „Venus im Bade“?
Aber nicht nur Boucher, auch Watteau können wir als alten Be—
kannten begrüßen, da auf den Gobelins, welche die Wände ein—
zelner Zimmer bekleiden, „Amors Opfergabe“, der „Dudelſack—
pfeifer“ „Dolce far niente“, die „blaue Traube“ und andere
Kompoſitionen Watteaus prangen. Und ringsum ſteht der Apoll
vom Belvedere, die mediceiſche Venus, die Artemis von Verſailles,
ſtehen zahlreiche bekannte Statuen und Büſten aus dem Zeitalter
Ludwigs XV. Welcher Kontraſt gegenüber Neuſchwanſtein! Dort
der ritterliche deutſche Burgſtil, hier das tändelnde franzöſiſche Ro—
koko — dort monumentale Originalarbeiten, hier Kopien! Hau—
ſchild und Schwoiſer mußten in den Plafonds die Kompoſitibnen
Bouchers wiedergeben, während Pechmann für die Wandgobelins
die Kompoſitionen Watteaus zu verwenden hatte. Albert Gräfle,
welcher die Porträts berühmter Männer und Frauen aus der
Zeit Ludwigs XIV. und XV. in Paſtell zu malen hatte, war da—
bei auf das Vorbild alter Kupferſtiche angewieſen. Und Perron,
welcher die zahlreichen in den Zimmern aufgeſtellten plaſtiſchen
Werke lieferte, durfte nur teils verkleinerte Nachbildungen antiker
Statuen, teils Kopien bekannter franzöſiſcher Werke geben. Wohin
wir ſchauen, faſt überall finden wir alte Bekannte, und es wäre
für den Kunſthiſtoriker ſicher eine lohnende Aufgabe, den oft ganz
entlegenen Vorbildern nachzugehen, nach welchen der König ar—
beiten ließ. Wohl ſelten hat jemand tiefere und umfaſſendere
Kenntniſſe der franzöſiſchen Kunſt des 17. und 18. Jahrhunderts
gehabt als König Ludwig, deſſen Bücherſammlung ziemlich alles
enthalten dürfte, was jemals über dieſe Kunſtperiode veröffentlicht
wurde. Er kaufte jahrelang alle darüber erſchienenen neuen Publi—
kationen an, während er ſeltene alte Werke, die nicht mehr zu
kaufen waren, aus der Kgl. Staatsbibliothek und aus dem Kupfer—
ſtichkabinet entlehnte. Aus dieſen Kupferſtichwerken und photo—
graphiſchen Publikationen ſuchte er dann das zuſammen, was er
in Malerei oder Plaſtik ausführen laſſen wollte und verteilte die
Vorlagen an die ausführenden Künſtler, indem er in vielen Fällen
ſelbſt die Farben beſtimmte. Aber ſo ſehr man dieſe Kenntniſſe
bewundern mag, ſo muß man auf der andern Seite doch ſagen,
daß damit die freie Kunſt nur wenig gefördert wurde, ebenſowenig
wie früher etwa die italieniſche Kunſt gefördert worden wäre, wenn
Julius II. den Rafael und Michelangelo beauftragt hätte, Werke
Wie oft haben wir ſie nicht ſchon in Kupferſtichen betrachtet,
die geiſtreichen Kompoſitionen Bouchers, welche die Plafonds der
einzelnen Zimmer ſchmücken: den „Abend“, den „Morgen“, „Flora“,
„Amor und Pſyche“, „Venus und Bacchus“, „Venus im Bade“?
Aber nicht nur Boucher, auch Watteau können wir als alten Be—
kannten begrüßen, da auf den Gobelins, welche die Wände ein—
zelner Zimmer bekleiden, „Amors Opfergabe“, der „Dudelſack—
pfeifer“ „Dolce far niente“, die „blaue Traube“ und andere
Kompoſitionen Watteaus prangen. Und ringsum ſteht der Apoll
vom Belvedere, die mediceiſche Venus, die Artemis von Verſailles,
ſtehen zahlreiche bekannte Statuen und Büſten aus dem Zeitalter
Ludwigs XV. Welcher Kontraſt gegenüber Neuſchwanſtein! Dort
der ritterliche deutſche Burgſtil, hier das tändelnde franzöſiſche Ro—
koko — dort monumentale Originalarbeiten, hier Kopien! Hau—
ſchild und Schwoiſer mußten in den Plafonds die Kompoſitibnen
Bouchers wiedergeben, während Pechmann für die Wandgobelins
die Kompoſitionen Watteaus zu verwenden hatte. Albert Gräfle,
welcher die Porträts berühmter Männer und Frauen aus der
Zeit Ludwigs XIV. und XV. in Paſtell zu malen hatte, war da—
bei auf das Vorbild alter Kupferſtiche angewieſen. Und Perron,
welcher die zahlreichen in den Zimmern aufgeſtellten plaſtiſchen
Werke lieferte, durfte nur teils verkleinerte Nachbildungen antiker
Statuen, teils Kopien bekannter franzöſiſcher Werke geben. Wohin
wir ſchauen, faſt überall finden wir alte Bekannte, und es wäre
für den Kunſthiſtoriker ſicher eine lohnende Aufgabe, den oft ganz
entlegenen Vorbildern nachzugehen, nach welchen der König ar—
beiten ließ. Wohl ſelten hat jemand tiefere und umfaſſendere
Kenntniſſe der franzöſiſchen Kunſt des 17. und 18. Jahrhunderts
gehabt als König Ludwig, deſſen Bücherſammlung ziemlich alles
enthalten dürfte, was jemals über dieſe Kunſtperiode veröffentlicht
wurde. Er kaufte jahrelang alle darüber erſchienenen neuen Publi—
kationen an, während er ſeltene alte Werke, die nicht mehr zu
kaufen waren, aus der Kgl. Staatsbibliothek und aus dem Kupfer—
ſtichkabinet entlehnte. Aus dieſen Kupferſtichwerken und photo—
graphiſchen Publikationen ſuchte er dann das zuſammen, was er
in Malerei oder Plaſtik ausführen laſſen wollte und verteilte die
Vorlagen an die ausführenden Künſtler, indem er in vielen Fällen
ſelbſt die Farben beſtimmte. Aber ſo ſehr man dieſe Kenntniſſe
bewundern mag, ſo muß man auf der andern Seite doch ſagen,
daß damit die freie Kunſt nur wenig gefördert wurde, ebenſowenig
wie früher etwa die italieniſche Kunſt gefördert worden wäre, wenn
Julius II. den Rafael und Michelangelo beauftragt hätte, Werke